Temperatur.
Der Oberst von Kermor und der Sergeant Martial gingen bis zum Rande des Wassers hinab, um ihre Kinder noch einmal zu umarmen. Weder die einen, noch die andern suchten ihre naturliche Erregung zu verbergen. Jeanne, die ja sonst so energisch war, weinte still in den Armen ihres Vaters.
»Ich fuhre Dich zu ihm zuruck, meine geliebte Jeanne, flusterte ihr Jacques Helloch trostend zu. In einigen Monaten werden wir Beide wieder in Santa-Juana sein!.
- Nein, wir alle Drei, schaltete Germain Paterne ein, denn ich habe ubersehen, einige von den seltenen Pflanzen zu sammeln, die nur in der Umgebung der Mission vorkommen, und ich denke dem Minister fur offentliche Aufklarung zu beweisen.
- Gott mit Dir, mein guter Martial, Gott sei mit Dir! sagte die junge Frau, die den alten Soldaten zum Abschied umarmte.
- Ach, Jeanne. gedenke Du auch Deines Onkels, der Dich keinen Augenblick vergessen wird!«
Dann kam die Reihe an Gomo, von dem Jeanne auch noch mit einer Umarmung Abschied nahm.
»Leb wohl, mein Vater, sagte Jacques Helloch, indem er die Hand des Missionars warm druckte, und auf Wiedersehen. auf Wiedersehen!«
Jacques Helloch, seine Gattin und Germain Paterne bestiegen die »Gallinetta«.
Die Segel wurden gehi?t, die Haltetaue losgeworfen und die beiden Piroguen schwenkten nach der Stromung in dem Augenblicke ab, wo der Pater Esperante die Arme ausstreckte, um ihnen einen letzten Segen zu ertheilen.
Dann schlugen der Sergeant Martial, der junge Indianer und er, in Begleitung der Guaharibos, den Weg nach der Mission wieder ein.
Wir brauchen hier nicht Strecke fur Strecke die Fahrt der Falcas auf dem Orinoco hinunter zu schildern. Dank der Stromung beanspruchte diese Reise gut drei bis viermal so wenig Zeit und gewi? zehnmal weniger Anstrengung und brachte zehnmal weniger Gefahr, als wenn es sich darum handelte, den Strom nach den Quellen hinauszusegeln. Nie brauchte jetzt die Espilla benutzt zu werden, um die Piroguen aufzuholen, und im schlimmsten Falle genugten die Palancas, wenn der Wind sich ganz legte oder zu widriger Richtung umschlug.
Die Passagiere sahen jetzt, wie in einem beweglichen Panorama, die Orte, woran sie fruher vorbeigekommen waren -dieselben Dorfer, Ranchos, Raudals und dieselben Stromschnellen. Schon machte sich ein Wachsen des Wassers bemerkbar, so da? dieses fur die Piroguen uberall Tiefe genug haben mu?te, eine Loschung der Ladung zu vermeiden, und so ging denn die Fahrt voraussichtlich ohne Muhe und Anstrengung von statten.
Welcher Unterschied, wenn sich die junge Frau und ihr Gatte jetzt an die Beschwerden, die Unruhe und an die Gefahren der
Reise erinnerten, die sie vor noch nicht so vielen Wochen vollendet hatten!
Beim Auftauchen des Sitios des Capitan Bare dachte Jeanne daran, da? sie hier ein Opfer des Sumpffiebers geworden ware, wenn Jacques Helloch nicht die unschatzbare Coloraditorinde entdeckt hatte, die ihr einen wiederholten Anfall verhutete.
Weiterhin erkannte man, unsern dem Cerro Guararo, die Stelle, wo die den Strom uberschreitende Rinderherde von den schrecklichen elektrischen Zitterrochen uberfallen worden war.
In Danaco ferner stellte Jacques Helloch seine Gattin Manuel Assomption vor, dessen Gastfreundschaft sie mit Germain Paterne einen Tag lang genossen hatten. Wie erstaunten aber die guten Leute im Rancho, als sie in der reizenden jungen Frau den Neffen wiedererkannten, der mit seinem Onkel Martial in einer der Hutten des Mariquitarerdorfes Unterkommen gefunden hatte.
Am 4. Januar endlich vertauschten die »Gallinetta« und die »Moriche« das Bett des Orinoco gegen das des Atabapo und legten sich am Quai von San-Fernando fest.
Drei Monate waren vergangen, seit Jacques Helloch und seine Gefahrten sich hier von den Herren Miguel, Felipe und Varinas verabschiedeten. Weilten nun die drei Collegen noch immer am namlichen Orte? Das konnte man doch kaum annehmen. Nachdem sie die Frage bezuglich des Orinoco, des Guaviare und des Atabapo grundlich behandelt hatten, waren sie gewi? gleich nach Ciudad-Bolivar heimgekehrt.
Germain Paterne hatte nun gar zu gern erfahren, welcher der drei Flusse den endlichen Sieg davongetragen habe. Da die Falcas nun hier einige Tage liegen bleiben sollten, um vor der Fahrt nach Caicara ihren Proviant zu erneuern, konnte ihm die Gelegenheit, seine Neugier zu befriedigen, ja nicht fehlen.
Jacques Helloch und seine Gattin gingen also ans Land und erwahlten als Wohnung das Hauschen, worin sich der Sergeant Martial schon einmal aufgehalten hatte.
Noch an demselben Tage machten sie ihren Besuch bei dem Gouverneur, der mit gro?er Befriedigung von den Ereignissen horte, deren Schauplatz die Mission von Santa-Juana gewesen war - einerseits von der fast vollstandigen Ausrottung der Alfaniz'schen Verbrecherbande, und andrerseits von dem glucklichen Erfolge der Reise.
Was die Herren Miguel, Felipe und Varinas betraf, so hatten diese - erstaune nur niemand daruber! - die Ortschaft noch nicht verlassen, da sie uber die hydrographische Streitfrage bezuglich der drei Wasserlaufe jetzt ebensowenig einig waren, wie bei ihrer Abreise aus Ciudad-Bolivar.
Noch am namlichen Abend konnten die Passagiere von der »Gallinetta« und der »Moriche« einen Handedruck mit den Insassen der »Maripare« wechseln.
Herr Miguel und seine gelehrten Freunde empfingen die alten Reisegefahrten mit gro?ter Zuvorkommenheit.
Man vergegenwartige sich aber ihre Verbluffung, als sie Jean - »ihren lieben Jean« - am Arme Jacques Helloch's und - in Frauenkleidung wiedersahen.
»Wollen Sie uns wohl mittheilen, warum er sich so verwandelt hat? fragte Herr Varinas.
- O, sehr einfach: weil ich ihn geheiratet habe, erklarte Jacques Helloch.
- Sie. Sie haben Jean von Kermor geheiratet? rief Herr Felipe, der die Augen weit aufri?.
- Das nicht. doch Fraulein Jeanne von Kermor.
- Wie? platzte Herr Miguel heraus, Fraulein von Kermor?
- Das ist die Schwester Jeans! antwortete Germain Paterne lachend. Nicht wahr, sie sehen sich zum Verwechseln ahnlich?«
Bald folgte eine weitere Erklarung, und die jungen Gatten wurden in aufrichtigster Weise begluckwunscht, Frau Jacques Helloch aber noch einmal besonders, da? sie ihren Vater, den Oberst von Kermor, in dem Missionar von Santa-Juana wiedergefunden hatte.
»Und der Orinoco? fragte Germain Paterne. Fullt er noch immer seinen fruheren Platz aus?
- Noch immer, versicherte Herr Miguel.
- Er ist es also, der unsre Piroguen bis zu seinen Quellen in der Sierra Parima getragen hat?.«
Die Gesichtszuge der Herren Varinas und Felipe bewolkten sich bei dieser Frage, aus ihren Augen spruhten Blitze, die Vorboten eines Unwetters, wahrend Herr Miguel nur mit den Schultern zuckte. Dann entwickelte sich wieder der Redekampf, dessen Starke die Zeit nicht abzuschwachen vermocht hatte, zwischen dem Vertreter des Atabapo und dem Parteiganger des Guaviare. Nein - sie stimmten noch nicht uberein, wurden das niemals thun, und ehe der Eine seine Anschauung zu Gunsten der des Andern verleugnete, hatten sie gewi? weit lieber Herrn Miguel Recht gegeben und sich zu Gunsten des Orinoco ausgesprochen.
»Beantworten Sie das Eine, rief Herr Varinas, und leugnen Sie einmal, da? der Guaviare nicht schon sehr viele Male als der westliche Orinoco bezeichnet worden ware, und zwar von den competentesten Geographen!
- Von ebenso uncompetenten wie Sie, mein Herr Varinas!« antwortete Herr Felipe, ebenso laut, wie sein Gegner gefragt hatte.
Man sieht, da? Rede und Gegenrede hier schon von den ersten Worten an in hitzigster Weise gefuhrt wurden. Das konnte freilich niemand wundern, der etwa wu?te, da? die beiden Gegner jeden Tag, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, uber das namliche Thema ganz ebenso in
Wortwechsel geriethen. Wenn die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente auch jetzt noch nicht bis zum Tz abgenutzt waren, konnte das nur daran liegen, da? sie von au?erordentlicher Zahigkeit waren.
Herr Varinas setzte den Streit noch weiter fort.
»Seine Quelle in der Sierra Suma-Paz, ostlich vom obern Magdalenenstrome im Gebiete Columbias zu haben, das ist denn doch ein ander Ding, als sich, kein Mensch wei? wo, muhsam hervorzuwinden.