»Nein, Professor, das stimmt absolut nicht. Ich kann Ihnen versichern —«
»Nein, Ms. Kramer, das konnen Sie nicht.« Er sah auf die Uhr. »Wann fliegt Ihre Maschine zuruck?« »Um drei Uhr.«
»Ich kann sofort aufbrechen.« Er schob seinen Stuhl zuruck. »Aber ich fliege nach New York.«
»Dann sollten Sie Ihre Plane besser andern und nach New Mexico fliegen.«
»Sie wollen doch sicher mit Mr. Doniger sprechen, und ich kenne seinen Terminplan nicht...«
»Ms. Kramer.« Er beugte sich uber den Tisch.
Manche meinten, da? Mareks Begeisterung fur die Vergangenheit schon an Besessenheit grenze. Tatsachlich aber war es fur ihn etwas ganz Naturliches: Schon als Kind hatte er sich stark zum Mittelalter hingezogen gefuhlt, und in vieler Hinsicht schien er jetzt in dieser Zeit zu leben. (In einem Restaurant hatte er einem Freund einmal gestanden, er lasse sich keinen Bart wachsen, weil es nicht der Mode der Zeit entspreche. Erstaunt hatte ihm der Freund entgegengehalten: »Naturlich ist es in Mode, schau dir doch blo? die ganzen Barte hier an.« Worauf Marek erwidert hatte: »Nein, nein, ich meine, es ist in
Aber Mareks detaillierte Kenntnis der Vergangenheit lie? ihn manchmal den Bezug zur Gegenwart verlieren, und so merkte er zunachst nicht, wie sehr sich die Stimmung im Camp verandert hatte. Nach der plotzlichen Abreise des Professors fuhlten sich alle Teilnehmer des Projekts verloren und unbehaglich. Wilde Geruchte machten die Runde, vor allein unter den Studenten: ITC stoppe die Finanzierung. ITC wolle aus dem Projekt ein Mittelalterland machen. ITC habe in der Wuste jemanden umgebracht und sei jetzt in Schwierigkeiten. Niemand arbeitete; die Leute standen einfach herum und unterhielten sich.
Marek beschlo? schlie?lich, eine Versammlung einzuberufen, um die Geruchte aus der Welt zu schaffen, und so rief er am fruhen Nachmittag alle unter dem gro?en grunen Zelt neben dem Lagerhaus zusammen. Marek erklarte, zwischen dem Professor und ITC habe es Meinungsverschiedenheiten gegeben, und der Professor sei in die ITCZentrale geflogen, um sie aufzuklaren. Alles sei nur ein Mi?verstandnis, das in wenigen Tagen bereinigt sei. Der Professor stehe in standigem Kontakt mit dem Projekt, fuhr Marek fort, er habe versprochen, sie alle zwolf Stunden anzurufen, und er, Marek, erwarte, da? Johnston in Kurze zuruckkommen und alles wieder seinen gewohnten Gang gehen werde.
Es half nichts. Das Gefuhl tiefen Unbehagens blieb. Einige der Studenten meinten, der Nachmittag sei sowieso zu hei? zum Arbeiten und viel besser geeignet fur eine Kajakfahrt auf dem Flu?. Marek, der endlich begriff, da? Appelle nichts nutzten, lie? sie gehen. Einer nach dem anderen beschlossen auch die Doktoranden, den Rest des Tages freizunehmen. Kate tauchte mit mehreren Pfund klirrenden Metalls an ihrer Taille auf und verkundete, da? sie die Steilwand hinter Gageac ersteigen wolle. Sie fragte Chris, ob er mit ihr kommen wolle (um ihr die Seile zu halten - sie wu?te, da? er nie klettern wurde), aber er sagte, er fahre mit Marek zum Reitstall. Stern erklarte, er fahre nach Toulouse zum Abendessen. Rick Chang wollte nach Les Eyzies, um dort einen Kollegen bei einer palaolithischen Ausgrabung zu besuchen. Nur Elsie Kastner, die Graphologin, blieb in dem Lagerhaus und brutete geduldig uber ihren Dokumenten. Marek fragte sie, ob sie mit ihm kommen wolle. »Mach dich doch nicht lacherlich«, sagte sie und arbeitete weiter.
Der Reitstall au?erhalb von Souillac lag funf Kilometer entfernt, und hier trainierte Marek zweimal pro Woche. In der entfernten Ecke einer wenig benutzten Wiese hatte er ein holzernes T-Kreuz auf einem Drehstander aufgestellt. Am einen Ende der Querstange war ein wattiertes Quadrat befestigt, am anderen hing ein Ledersack, der aussah wie ein Punchingball.
Das war eine
Die
Im Mittelalter bestanden Turnierlanzen aus gedrechselten Rundholzern von uber drei Metern Lange. Aber Rundholzer dieser Lange waren kaum mehr zu finden. Nach langer Suche hatte Marek eine spezielle Holzbearbeitungsfirma in Norditalien entdeckt, nahe der osterreichischen Grenze. Dort war man in der Lage, aus Fichtenholz Lanzen der von ihm geforderten Lange zu drechseln, doch man war auch sehr erstaunt gewesen, als er gleich zwanzig Stuck bestellte. »Lanzen brechen«, sagte er. »Ich brauche viele davon.« Als Schutz gegen Splitter befestigte er ein Stuck feines Drahtgitter am Gesichtsschutz eines Footballhelms. Wenn er beim Reiten diesen Helm trug, zog er betrachtliche Aufmerksamkeit auf sich. Er sah aus wie ein durchgeknallter Imker.
Letztendlich jedoch war er den Versuchungen der modernen Technik erlegen und lie? sich seine Lanzen aus Aluminium herstellen, von einer Firma, die sonst Baseballschlager produzierte. Die Aluminiumlanzen waren besser ausbalanciert und fuhlten sich fur ihn authentischer an, auch wenn sie nicht der damaligen Zeit entsprachen. Und da jetzt Splitter kein Problem mehr waren, konnte er einen ganz normalen Reithelm tragen.
Genau so einen trug er jetzt.
Er stand an einem Ende der Wiese und winkte Chris, der am anderen neben der
Das Training mit der
Beim ersten Mal traf er sein Ziel, war aber nicht schnell genug, um dem Sack zu entgehen, der ihn hart am linken Ohr traf. Er zu-gelte das Pferd und trabte zuruck. »Warum probierst du es nicht mal, Chris?« »Vielleicht spater«, sagte Chris und brachte das T-Kreuz fur die nachste Runde in Stellung.
In letzter Zeit hatte Chris ein paarmal einen Ritt auf die
Marek wendete sein Tier, lie? es steigen und sturmte noch einmal vorwarts. Als er mit dem Lanzenreiten angefangen hatte, war es ihm absurd schwer vorgekommen, in vollem Galopp auf ein Quadrat von nur drei?ig Zentimeter Kantenlange zuzureiten. Inzwischen aber hatte er den Dreh heraus. Bei funf Versuchen traf er viermal das Ziel. Das Pferd donnerte voran. Er senkte die Lanze. »Chris! Hallo!«
Chris drehte sich um und winkte einem vorbeireitenden Madchen zu. In diesem Augenblick traf Mareks Lanze das Ziel, der Ledersack schwang herum und warf Chris zu Boden.
Benommen lag Chris da und horte ein perlendes Madchenlachen. Aber die junge Frau stieg schnell ab und half ihm auf die Beine. »Ach, Chris, tut mir leid, da? ich lache«, sagte sie mit ihrem eleganten britischen Akzent. »Es war auf jeden Fall meine Schuld. Ich hatte dich nicht ablenken durfen.«
»Ich bin okay«, sagte er ein wenig eingeschnappt. Er wischte sich den Staub vom Kinn, und als er sich ihr zudrehte, gelang ihm sogar ein Lacheln.