hinter sich herzog. Diese Egge schlo? die Furchen und schutzte die Aussaat. Alles schien sich im gleichen langsamen, aber stetigen Rhythmus zu bewegen: die Hand, die die Saat auswarf, der Pflug, der die Furche zog, die Egge, die die Erde ebnete. Und kaum ein Gerausch storte den stillen Morgen, nur Insekten summten und Vogel zwitscherten. Hinter den Ackern sah Marek die sieben Meter hohe Steinmauer, die das Stadtchen von Castelgard umgab. Der Stein war von einem dunklen, verwitterten Grau. An einem Abschnitt wurde die Mauer gerade repariert, die neuen Steine waren heller, gelblich grau. Davor krummten Maurer den Rucken; sie arbeiteten schnell. Und auf der Mauerkrone gingen Wachposten in Kettenhemden auf und ab und blieben manchmal stehen, um nervos in die Ferne zu blicken. Uber allem jedoch erhob sich die Burg selbst mit ihren runden Turmen und schwarzen Steindachern. Fahnen flatterten an den Turmen, und alle zeigten das gleiche Emblem: einen kastanienbraunen und grauen Schild mit einer silbernen Rose.
Die Fahnen gaben der Burg ein festliches Aussehen, und tatsachlich wurde direkt vor den Stadtmauern eine gro?e holzerne Tribune fur die Zuschauer des Turniers errichtet. Bereits jetzt stromte die Menge zusammen. Ein paar Ritter waren zu sehen, die Pferde neben den leuchtend farbigen, gestreiften Zelten angebunden, die uberall um den eigentlichen Turnierplatz herum aufgestellt waren. Knappen und Stallburschen bewegten sich zwischen den Zelten und trugen Rustungen und Waffen oder Wasser fur die Pferde.
Marek nahm das alles in sich auf und lie? ein tiefes, befriedigtes Seufzen horen.
Alles, was er sah, stimmte genau, bis ins kleinste Detail. Und alles war real.
Kate Erickson starrte Castelgard verwirrt an. Marek neben ihr seufzte wie ein Verliebter, aber sie wu?te nicht so recht, wieso.
Naturlich war Castelgardjetzt ein lebhaftes Dorf, beeindruckend in seiner ganzen einstigen Pracht, alle Hauser und die Burg intakt. Im gro?en und ganzen sah die Szene fur sie aber nicht viel anders aus als irgendeine landliche franzosische Gegend. Vielleicht ein bi?chen ruckstandiger als die meisten, mit Pferden und Ochsen anstelle von Traktoren. Aber ansonsten ...na ja, so anders war es einfach nicht. Architektonisch sah sie vor allem einen gro?en Unterschied zwischen der Szene hier und der Gegenwart: Alle Hauser hatten Lauzes-Dacher, die aus geschichteten schwarzen Steinen bestanden. Diese Steindacher waren unglaublich schwer und erforderten ein au?erst stabiles Dachgestuhl, was auch der Grund war, warum die Hauser im Perigord, au?er in Touristenzentren, keine solchen Dacher mehr hatten. Kate war daran gewohnt, franzosische Hauser mit rotbraunen Dachern zu sehen, gedeckt entweder mit den geschwungenen romischen Pfannen oder den flachen Ziegeln franzosischer Machart.
Doch hier waren uberall nur Lauzes-Dacher zu sehen. Und nirgendwo Ziegel.
Wahrend sie nun weiter die Szene betrachtete, entdeckte sie noch andere Details. Zum Beispiel gab es sehr viele Pferde — wirklich sehr viele, wenn man alle zusammenzahlte, die Pferde auf den Feldern, die Pferde beim Turnier, die Pferde, die auf schlammigen Stra?en geritten wurden, und die Pferde auf den Weiden. Was ich von hier aus sehe, sind mindestens hundert Pferde, dachte sie. Sie konnte sich nicht erinnern, je so viele Pferde auf einmal gesehen zu haben, nicht mal in ihrem Heimatstaat Colorado. Alle moglichen Pferde, von den schonen, geschmeidigen Schlachtrossern beim Turnier bis hin zu den alten Kleppern auf den Feldern.
Und wahrend viele Leute, die auf den Feldern arbeiteten, trist und dunkel gekleidet waren, trugen andere so leuchtende Farben, da? sie fast ein wenig an die Karibik erinnert wurde. Diese Kleidungsstucke waren immer wieder geflickt, aber immer mit kontrastierenden Farben, so da? das bunte Flickwerk sogar aus der Entfernung zu sehen war. Es ergab fast eine Art von Muster.
Auch wurde ihr eine deutliche Grenze zwischen den relativ kleinen Bereichen menschlichen Lebens - den Stadten und den be-bauten Feldern — und dem sie umgebenden Wald bewu?t, ein ausgedehnter, dichter gruner Teppich, der sich in alle Richtungen erstreckte. In dieser Landschaft war der Wald das Vorherrschende. Sie hatte den Eindruck einer allumfassenden Wildnis, in der die Menschen nur Eindringlinge waren. Und noch dazu unbedeutende Eindringlinge. Als sie sich dann noch einmal der Stadt Castelgard zuwandte, spurte sie, da? da noch etwas war, das sie allerdings nicht so recht fassen konnte. Bis sie es schlie?lich erkannte: Es gab keine Kamine! Nirgendwo Kamine.
Die Bauernhauser hatten einfach Locher in den Strohdachern, aus denen der Rauch quoll. In der Stadt waren die Hauser ahnlich, auch wenn die Dacher mit Stein gedeckt waren: Der Rauch kam aus einem Loch oder aus einer Abzugsoffnung in der Au?enmauer. Auch die Burg hatte keine Kamine.
Sie befanden sich also in einer Zeit, in der dieser Teil Frankreichs noch keine Kamine kannte. Aus irgendeinem Grund jagte ihr diese architektonische Nebensachlichkeit einen Schauer uber den Rucken. Eine Welt vor den Kaminen. Wann waren Kamine eigentlich erfunden worden? Sie konnte sich nicht genau erinnern. Um sechzehnhundert waren sie auf jeden Fall schon weit verbreitet. Doch das war vom Jetzt noch eine lange Zeit entfernt. Von diesem Jetzt, erinnerte sie sich.
Hinter sich horte sie Gomez sagen: »Was soll denn das, verdammt noch mal?«
Kate drehte sich um und sah, da? der murrische Kerl, Baretto, angekommen war. Sein einzelner Kafig war auf der anderen Seite des Pfades, ein Stuckchen tiefer im Wald gelandet. »Das ist meine Sache«, sagte er zu Gomez.
Er hatte seine Sackleinenkutte hochgeschoben, und darunter war ein schwerer Gurtel mit einer Pistole im Halfter und zwei schwarzen
Granaten zu sehen. Er kontrollierte eben die Pistole.
»Wenn wir die Welt betreten«, sagte Baretto, »will ich vorbereitet sein.«
»Dieses Zeug nimmst du nicht mit.« »Aber naturlich tue ich das, Schwester.« »Tust du nicht. Es ist nicht gestattet. Gordon wurde nie zulassen, da? moderne Waffen in diese Welt mitgenommen werden.«
»Aber Gordon ist nicht hier, oder?« sagte Baretto.
»Dann schau mal her, verdammt noch mal«, sagte Gomez, zog ihren wei?en Keramikmarker heraus und schwenkte ihn vor Baretto.
Es sah aus, als wollte sie ihm mit dem sofortigen Abbruch der Mission drohen.
Im Kontrollraum sagte einer der Techniker: »Wir bekommen Feldanomalien.«
»Ach, wirklich? Das ist eine gute Nachricht«, sagte Gordon. »Warum?« fragte Stern.
»Das bedeutet«, erwiderte Gordon, »da? innerhalb der nachsten zwei Stunden jemand zuruckkehrt. Mit Sicherheit Ihre Freunde.« »Dann schaffen sie es also innerhalb von zwei Stunden, den Professor zu finden und zuruckzukommen?«
»Ja, genau das —« Gordon brach ab und starrte das Wellenbild auf dem Monitor an. Eine kleine, wellenformig bewegte Oberflache mit einer herausragenden Spitze. »Ist sie das?« »Ja«, sagte der Techniker.
»Aber die Amplitude ist viel zu stark«, sagte Gordon. »Und das Intervall wird immer kurzer. Und zwar schnell.« »Soll das hei?en, da? jetzt jemand zuruckkommt?« »Ja. Bald, so wies aussieht.«
Stern sah auf die Uhr. Das Team war erst wenige Minuten weg. So schnell konnten sie den Professor unmoglich gefunden haben. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er Gordon.
»Ich wei? es nicht«, antwortete Gordon. In Wahrheit gefiel ihm diese Entwicklung ganz und gar nicht. »Offensichtlich haben sie irgendwelche Schwierigkeiten.« »Was fur Schwierigkeiten?«
»Zu einem so fruhen Zeitpunkt wahrscheinlich ein mechanisches Problem. Vielleicht ein Transkriptionsfehler.« »Was ist ein Transkriptionsfehler?« fragte Stern.
Der Techniker sagte: »Ich errechne eine Ankunft in zwanzig Minuten und siebenundfunfzig Sekunden.« Er ma? die Feldstarke und die Impulsintervalle.
»Wie viele kommen zuruck?« fragte Gordon. »Alle?« »Nein«, sagte der Techniker. »Nur einer.«
Chris konnte nicht anders, er hatte schon wieder Angst. Trotz der kuhlen Morgenluft schwitzte er, seine Haut war kalt und sein Herz hammerte. Und dieser Streit zwischen Gomez und Baretto starkte seinen Mut nicht gerade.
Den Pfutzen dicken Schlamms ausweichend, ging er zum Pfad zuruck. Marek und Kate folgten ihm. Ein Stuckchen von den Streitenden entfernt blieben sie stehen.
»Na gut,
Gomez redete noch immer sehr leise. Kaum mehr als ein Flustern. Chris konnte sie nicht verstehen.
»Ist ja gut!« sagte Baretto, beinahe ein Fauchen.
Gomez' Erwiderung war wieder sehr leise. Baretto knirschte mit den
Zahnen. Chris fand es au?erst unangenehm, hier zu stehen. Er entfernte sich ein paar Schritte und drehte