Sie gingen den Pfad wieder hoch. Unterwegs fragte Kate: »Was ist mit den Markern?«

»Der Kerl ist zuruckgekehrt und hat seinen Marker mitgenommen.

Gomez' Leiche wurde zertrampelt, ihrer ist zerstort.«

»Was ist mit dem anderen?« fragte Kate.

»Was fur einen anderen?«

»Sie hatte einen Ersatzmarker.«

»Woher wei?t du das?«

»Sie hat es gesagt. Wei?t du das nicht mehr? Als sie von diesem Erkundungsausflug zuruckkam, oder was immer das war, sagte sie, da? alles okay sei und wir uns beeilen und fertigmachen sollten. Und dann sagte sie: >Ich brenne jetzt den Ersatzmarker.< Oder so was ahnliches.« Marek runzelte die Stirn.

»Ist doch einleuchtend, da? es einen Ersatzmarker gibt«, sagte Kate. »Na, Chris wird sich freuen, das zu horen«, sagte Marek. Sie umrundeten die letzte Biegung. Und standen dann da und starrten ins Leere.

Chris war verschwunden.

Ohne auf die Dornen zu achten, die ihm die Beine zerkratzten und an seiner Hose zerrten, pflugte Chris Hughes durchs Unterholz und entdeckte den rennenden Jungen schlie?lich funfzig Meter vor sich. Aber der Junge beachtete ihn nicht, er hielt nicht an, sondern lief einfach weiter. Er lief auf das Dorf zu. Chris bemuhte sich, mit ihm mitzuhalten. Er rannte weiter.

Hinter sich auf dem Pfad horte er das Trampeln und Schnauben der Pferde und die Rufe der Manner. Einer schrie: »Im Wald!«, und ein anderer antwortete mit einem Fluch. Abseits des Pfads war der Boden dicht bewachsen. Chris mu?te uber umgesturzte Baume, verfaulende Stamme und Aste, so dick wie sein Oberschenkel, springen und sich durch dichtes Dornengestrupp arbeiten. War dieser Boden zu schwierig fur Pferde? Wurden die Manner absteigen? Wurden sie aufgeben? Oder wurden sie ihn verfolgen? Naturlich wurden sie ihn verfolgen.

Er rannte weiter. Jetzt spurte er Morast unter den Fu?en. Er schob sich durch hufthohe Pflanzen, die nach Stinktier rochen, und schlitterte durch Schlamm, der mit jedem Schritt tiefer wurde. Er horte das Rasseln seines Atems und das Patschen und Saugen seiner Fu?e im Schlamm. Aber hinter sich horte er niemanden.

Bald hatte er wieder festen Boden erreicht und konnte schneller laufen. Jetzt war der Junge nur noch zehn Schritte vor ihm, lief aber immer noch schnell. Chris keuchte und hatte Schwierigkeiten mitzuhalten, aber der Junge verringerte sein Tempo nicht.

Chris rannte weiter. In seinem linken Ohr horte er ein Knistern.

»Chris?«

Es war Marek.

»Chris, wo bist du?«

Wie antwortete man gleich wieder? Gab es ein Mikrofon? Dann erinnerte er sich, da? sie etwas uber Knochenleitung gesagt hatten. Laut sagte er: »Ich ... ich... renne.«

»Das kann ich horen. Wohin rennst du?«

»Der Junge ... das Dorf...«

»Du rennst zum Dorf?«

»Ich wei? nicht. Ich glaube schon.«

»Du glaubst? Chris, wo bist du?«

Plotzlich horte Chris hinter sich ein Krachen, die Rufe von Mannern und das Wiehern von Pferden.

Die Reiter jagten hinter ihm her. Und er hatte eine deutliche Spur aus zerbrochenen Asten und schlammigen Fu?abdrucken hinterlassen. So konnten sie ihm ganz leicht folgen. Schei?e.

Chris rannte noch schneller, er trieb sich bis zum au?ersten. Und plotzlich erkannte er, da? er den Jungen nicht mehr vor sich sah.

Schwer atmend blieb er stehen und drehte sich im Kreis. Er suchte -Nichts.

Der Junge war verschwunden. Chris war allein im Wald. Und die Reiter kamen naher.

Marek und Kate standen auf dem schlammigen Pfad oberhalb des

Klosters und horchten angestrengt in ihre Ohrstopsel. Im Augenblick war nichts zu horen. Kate hielt sich die Hand uber das Ohr, um besser zu verstehen. »Ich kriege uberhaupt nichts rein.«

»Vielleicht ist er au?er Reichweite«, sagte Marek.

»Warum geht er ins Dorf? Es klingt, als wurde er diesem Jungen folgen«, mutma?te sie. »Aber warum?«

Marek sah zum Kloster hinunter. Es war nicht mehr als zehn Minuten Fu?marsch entfernt. »Der Professor ist wahrscheinlich jetzt gerade da unten. Wir konnten ihn einfach holen und nach Hause verduften.« Er trat verargert gegen einen Baumstumpf. »Es hatte so einfach sein konnen.« »Jetzt nicht mehr«, sagte Kate.

Ein lautes Knistern in ihren Ohrstopseln lie? sie zusammenzucken. Sie horten Chris wieder keuchen.

Marek fragte: »Chris. Bist du das?«

»Ich kann... kann jetzt nicht reden.«

Er flusterte. Und er klang verangstigt.

»Nein, nein, neinl« flusterte der Junge und streckte Chris aus den Asten eines sehr hohen Baums die Hand entgegen. Er hatte schlie?lich Mitleid bekommen mit Chris, der sich unter ihm auf dem Bo-den panisch im Kreis drehte, und gepfiffen. Und ihn zu dem Baum gewinkt.

Jetzt muhte Chris sich ab, auf den Baum zu klettern. Er versuchte sich an den unteren Asten hochzuziehen und stutzte sich dabei mit den Fu?en am Stamm ab. Aber diese Methode schien den Jungen zu verargern. »Nein, nein! Benutzt nur die Hande!« flusterte er entsetzt. »Ihr seid wirklich dumm - seht nur, was Eure Fu?e fur Spuren auf dem Stamm hinterlassen.«

Chris, der nun frei an einem Ast hing, schaute nach unten. Der Junge hatte recht. An der Borke des Stamms waren wirklich deutlich Schlammspuren zu erkennen.

»Beim Kreuz, wir sind verloren«, rief der Junge, schwang sich uber Chris' Kopf hinweg und sprang leichtfu?ig zu Boden. »Was tust du?« fragte Chris.

Aber der Junge rannte bereits wieder, mitten durch das Dor-nengestrupp hastete er von Baum zu Baum. Chris lie? sich zu Boden fallen und folgte ihm.

Verargert murmelnd musterte der Junge die Aste jedes Baums. Anscheinend suchte er einen sehr gro?en Baum mit relativ weit herunterreichenden Asten, aber keiner schien ihm zu passen. Der Larm der Reiter wurde lauter.

Bald hatten sie uber hundert Meter zuruckgelegt und kamen jetzt an eine Stelle, die dicht mit knotigen Latschen bewachsen war. Hier war es ungeschutzter und sonnig, weil rechts von ihnen weniger Baume standen, und dann sah Chris, da? sie am Rand eines Steilhangs hoch uber der Stadt und dem Flu? entlangliefen. Der Junge schlug einen Haken vom Sonnenlicht weg und wieder tiefer in den dunkleren Wald hinein. Fast sofort fand er einen Baum, der ihm gefiel, und er winkte Chris. »Ihr geht zuerst. Und keine Fu?e!«

Der Junge beugte die Knie, verschrankte die Finger und spannte seinen Korper an. Chris hatte den Eindruck, der Junge sei zu schmachtig, um sein Gewicht zu tragen, der aber schuttelte nur ungeduldig den Kopf. Chris stellte seinen Fu? auf die Hande des Jungen, streckte die Arme nach oben und packte den untersten Ast. Mit der Hilfe des Jungen zog er sich hoch, bis er sich mit einem letzten Grunzen uber den Ast schwingen konnte. Nun lag er bauchlings daruber. Er sah zu dem Jungen hinunter, doch der zischte nur: »Weiter!« Chris rappelte sich muhsam auf die Knie hoch und stand dann auf. Der nachste Ast war leicht zu erreichen, und er kletterte weiter. Der Junge sprang einfach nur in die Luft, packte den Ast und zog sich schnell daran hoch. So schlank er war, war er doch uberraschend stark, und er kletterte mit sicheren Bewegungen von Ast zu Ast. Chris befand sich jetzt etwa sieben Meter uber dem Boden. Seine Arme brannten, und er keuchte, doch er bewegte sich weiter von Ast zu Ast. Der Junge packte ihn am Fu?gelenk, und Chris erstarrte. Langsam und vorsichtig schaute er uber die Schulter nach unten und sah, da? der Junge starr auf dem Ast unter ihm kauerte. Dann horte Chris das leise Schnauben eines Pferdes und erkannte, da? das Gerausch nahe war. Sehr nahe.

Auf dem Boden unter ihnen bewegten sich sechs Reiter langsam und leise vorwarts. Sie waren noch ein Stuckchen entfernt und verschwanden immer wieder hinter dichtem Laubwerk. Wenn ein Pferd schnaubte, streichelte der Reiter ihm den Hals, um es zu beruhigen. Die Reiter wu?ten, da? sie ihrer Beute sehr nahe waren. Sie beugten sich in den Satteln vor und musterten den Boden auf der einen und der anderen Seite. Zum Gluck befanden sie sich jetzt in dem Latschengestrupp, hier waren keine Spuren zu sehen. Sich mit Handzeichen verstandigend, verteilten sie sich, bis sie in etwa eine Linie bildeten, und so ritten sie langsam links und rechts des Baums vorbei. Chris hielt den Atem an. Wenn sie jetzt hochschauten ... Aber sie taten es

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