Boden. Kate war viel kleiner als er. Er hatte sie sehr schnell am Boden festgenagelt. Marek griff mit beiden Handen durch die Stangen, zog den Schlussel aus dem Schlo? und probierte einen anderen. Auch der pa?te nicht. Nun sa? der Soldat rittlings auf Kate und wurgte sie mit beiden Handen. Marek probierte einen dritten Schlussel. Kein Gluck. Noch sechs andere Schlussel hingen an dem Ring.
Kate lief bereits blau an. Ihr Atem kam rasselnd, keuchend. Sie schlug dem Mann mit den Fausten auf die Arme, aber die Schlage waren wirkungslos. Sie boxte ihn zwischen die Beine, aber sein Uberwurf schutzte ihn.
Marek rief: »Messer! Messer!«, aber sie schien ihn nicht zu verstehen. Marek probierte den nachsten Schlussel. Noch immer kein
Erfolg. Aus der gegenuberliegenden Zelle rief Johnston dem Soldaten etwas auf franzosisch zu.
Der Mann hob den Kopf und knurrte eine Erwiderung, und in diesem Augenblick zog Kate ihren Dolch und rammte ihm dem Mann mit all ihrer Kraft gegen die Schulter. Doch die Klinge konnte das Kettenhemd nicht durchdringen. Sie versuchte es noch einmal und noch einmal. Wutend fing der Mann an, ihren Kopf auf den Steinboden zu schlagen, damit sie das Messer fallenlie?. Marek probierte einen weiteren Schlussel. Er drehte sich mit lautem Quietschen.
Der Professor schrie, Chris schrie, und Marek stie? die Tur auf. Der Soldat drehte sich zu ihm um, lie? Kate los und stand auf. Hustend schwang sie das Messer gegen seine ungeschutzten Beine und er schrie vor Schmerz auf. Marek schlug ihm zweimal mit aller Kraft auf den Kopf. Der Mann fiel zu Boden und ruhrte sich nicht mehr. Chris sperrte die Zellentur des Professors auf. Kate stand auf, und langsam kehrte die Farbe in ihr Gesicht zuruck.
Marek hatte den wei?en Keramikmarker aus der Tasche gezogen und hielt den Daumen uber den Knopf. »Okay. Jetzt sind wir endlich alle zusammen.« Er sah sich den Leerraum zwischen den Zellen an. »Ist genug Platz? Konnen wir die Maschinen hierher rufen?« »Nein«, sagte Chris. »Wir brauchen zwei Meter ringsherum, wei?t du noch?«
»Wir mussen irgendwohin, wo es mehr Platz gibt«, sagte der Professor und wandte sich an Kate. »Wei?t du, wie wir hier rauskommen?« Kate nickte. Sie rannten den Korridor hinunter.
Wahrend Kate die anderen die Wendeltreppe hochfuhrte, war sie plotzlich von neuer Zuversicht erfullt. Der Kampf mit der Wache hatte sie irgendwie befreit; das Schlimmstmogliche war passiert, und sie hatte es uberlebt. Obwohl es in ihrem Kopf pochte, fuhlte sie sich jetzt freier und klarer als zuvor. Nun war auch die Erinnerung an ihre Forschungsarbeit zuruckgekehrt: Sie wu?te wieder, wie die Gange verliefen.
Sie erreichten das Erdgescho? und sahen auf den Burghof hinaus. Es war noch bevolkerter, als sie erwartet hatte. Viele Soldaten waren zu sehen, und auch Ritter in voller Rustung und Hoflinge in feinen Kleidern, die alle vom Turnier zuruckkehrten. Es mu?te gegen drei Uhr nachmittags sein; noch erstrahlte der Hof im Nachmittagslicht, aber die Schatten wurden bereits langer.
»Wir konnen nicht da raus«, sagte Marek kopfschuttelnd.
»Keine Angst.« Sie fuhrte sie die Treppe hoch ins Obergescho? und dann schnell in einen Gang mit Fenstern auf der Au?en- und Turen an der Innenseite. Sie wu?te, da? sich hinter diesen Turen kleine
Gemacher fur Familienangehorige oder Gaste befanden.
Hinter ihr sagte Chris: »Ich war schon mal hier.« Er deutete auf eine der Turen. »Das ist Claires Zimmer.«
Marek schnaubte. Kate ging weiter. Am anderen Ende des Gangs bedeckte ein Teppich die linke Wand. Sie hob ihn hoch — er war uberraschend schwer - und glitt dann, die Steine abtastend, an der Wand entlang. »Ich bin mir ziemlich sicher, da? er hier ist«, sagte sie. »Ziemlich sicher, da? was hier ist?« fragte Chris. »Der Gang, der uns in den hinteren Burghof fuhrt.«
Sie hatte das Ende der Wand erreicht, aber eine Tur hatte sie nicht gefunden. Und wenn sie jetzt an der Wand entlangschaute, mu?te sie zugeben, da? es auch nicht aussah, als ware hier irgendwo eine Tur. Die Steine waren gleichma?ig und glatt mit Mortel verfugt. Die Wand war plan, ohne Ein- oder Ausbuchtungen. Es gab keinen Hinweis auf nachtragliche oder kurzlich hinzugefugte Veranderungen. Als sie die Wange an die Wand legte und entlangspahte, wirkte sie wie aus einem Stuck.
Irrte sie sich?
War es die falsche Stelle?
Sie konnte sich nicht irren. Die Tur mu?te hier irgendwo sein. Sie ging zuruck und tastete noch einmal die Steine ab. Als sie die Tur schlie?lich fand, war es reiner Zufall. Sie horte Stimmen vom anderen Ende des Gangs, Stimmen, die aus dem Treppenhaus kamen, und als sie sich umdrehte, streifte ihr Fu? einen Stein am Sockel der Mauer. Sie spurte, wie der Stein sich bewegte.
Mit einem leisen metallischen Klicken offnete sich direkt vor ihr eine Tur. Nun konnte sie sehen, da? die Maurer den Spalt mit erstaunlichem Geschick versteckt hatten.
Sie druckte die Tur auf. Alle gingen hindurch, Marek als letzter, und als er die Tur hinter sich schlo?, hing der Teppich wieder glatt an der Wand.
Sie befanden sich in einem dunklen, schmalen Gang. Durch kleine Schlitze, die im Abstand von ein paar Metern in die Wand eingelassen waren, fiel ein schwaches Licht, so da? keine Fackeln notig waren. Als Kate in den Ruinen von Castelgard diesen Gang in ihre Burgkarte eingezeichnet hatte, hatte sie sich gefragt, warum er uberhaupt existierte. Er schien vollig nutzlos zu sein. Aber jetzt, da sie hier war, begriff sie seinen Zweck.
Das war kein Gang, um von einem Raum in einen anderen zu kommen. Es war ein Geheimgang, von dem aus man in die Gemacher im Obergescho? spahen konnte.
Sie bewegten sich leise vorwarts. Aus einem angrenzenden Zimmer horte Kate Stimmen: eine Frauen- und eine Mannerstimme.
Als sie zu den kleinen Gucklochern kamen, blieben sie alle stehen und lugten hindurch.
Von Chris kam ein Seufzen, das fast ein Aufstohnen war. Zuerst sah Chris nur die Silhouetten eines Mannes und einer Frau vor einem hellen Fenster. Es dauerte einen Augenblick, bis seine Augen sich an das Licht gewohnt hatten. Dann erkannte er Lady Claire und Sir Guy. Sie hielten sich an den Handen, beruhrten sich vertraut. Er ku?te sie leidenschaftlich, sie hatte die Arme um seinen Hals gelegt und erwiderte den Ku? mit ahnlichem Feuer. Chris starrte nur hin.
Nun trennten sich die Liebenden, und Guy sprach zu ihr, wahrend sie ihm tief in die Augen schaute. »Mylady«, sagte er, »Euer offentliches Gebaren und Eure barsche Unhoflichkeit verleiten viele dazu, mich hinter meinem Rucken auszulachen und mich der Unmannlichkeit zu zeihen, weil ich Euch solche Beleidigungen durchgehen lasse.« »Aber es mu? so sein«, sagte sie. »Um unser beider willen. Dies wi?t Ihr sehr genau.«
»Doch hatte ich es gern, wenn Ihr es nicht gar so heftig treiben wurdet.« »Ach so. Und wie denn dann? Wollt Ihr das Vermogen aufs Spiel setzen, das wir beide erstreben? Es gibt auch anderes Gerede, guter Ritter, das wi?t Ihr nur zu gut. Solange ich mich der Heirat widersetze, teile ich den Verdacht, den viele hegen: da? Ihr beim Tod meines Gatten eine Hand im Spiel hattet. Doch wenn Lord Oliver mir diese Heirat aufzwingt, trotz aller meiner Gegenwehr, dann kann mir niemand mangelnde Achtung vor dem Toten vorwerfen. Habe ich recht?« »Ihr habt recht«, erwiderte er und nickte unglucklich. »Doch wie anders waren die Umstande, wenn ich Euch meine Gunst bezeugen wurde«, fuhr sie fort. »Dieselben Zungen, die jetzt lastern, wurden bald flustern, da? auch ich Anteil hatte am unzeitigen Tod meines Gatten, und solche Geruchte wurden sehr schnell die Familie meines Gatten in England erreichen. Schon jetzt trachten sie danach, mir seine Landereien wieder wegzunehmen. Es fehlt ihnen nur noch ein Vorwand dazu. Deshalb hat Sir Daniel ein wachsames Auge auf alles, was ich tue. Guter Ritter, mein Ruf als Frau ist schnell besudelt und dann nicht wiederherzustellen. Unsere einzige Sicherheit liegt in meiner unbeugsamen Feindseligkeit Euch gegenuber, und deshalb bitte ich Euch, ertragt, was Euch jetzt auch bekummern mag, und denkt statt dessen an die winkende Belohnung.« Chris blieb der Mund offen stehen. Sie legte die gleiche innige Vertraulichkeit an den Tag - die tiefen Blicke, die sanfte Stimme, das zartliche Streicheln im Genick —, die sie auch bei ihm benutzt hatte. Er hatte es als Zeichen dafur genommen, da? er sie verfuhrt hatte. Aber jetzt war klar, da? sie ihn verfuhrt hatte.
Sir Guy war verdrossen, trotz ihrer Zartlichkeiten. »Und Euer Besuch im Kloster? Ich hatte es gern, wenn Ihr nicht mehr dorthin geht.« »Wie das? Seid Ihr eifersuchtig auf den Abt, Mylord?« fragte sie neckisch.
»Ich sage nur, ich hatte es gern, wenn Ihr nicht mehr dorthin geht«, erwiderte er stur.
»Und doch tat ich es aus wichtigem Grund, denn wer das Geheimnis von La Roque kennt, hat Sir Oliver in der Hand. Er mu? tun, was man von ihm verlangt, will er das Geheimnis erfahren.« »Wie wahr, Mylady, und doch habt Ihr das Geheimnis nicht erfahren«, sagte Sir Guy. »Kennt der Abt es denn?«