hatte. Sie hatte hohe Auszeichnungen durch die franzosische Regierung erhalten und war eine der prominentesten Personlichkeiten der Welt. »Er kam in den Abendstunden dort an und begab sich sogleich zum >Hotel Castiglione< in der Rue de Castiglione. Am folgenden Morgen plante er eine Zusammenkunft mit Professor Bourgoneau, welche auch stattgefunden hat. Sein Benehmen war normal und vollig unbefangen. Sie hatten eine sehr interessante Unterredung, und es wurde verabredet, da? mein Mann am folgenden Morgen an einigen Experimenten in des Professors Laboratorium teilnehmen sollte. Er hatte im >Cafe Royal< allein zu Mittag gegessen, unternahm einen Spaziergang in den Bois und besuchte dann Madame Olivier in ihrem Haus in Passy. Auch dort war sein Benehmen vollkommen normal, und er verlie? das Haus gegen sechs Uhr abends. Wo er zu Abend gegessen hat, ist nicht bekannt, wahrscheinlich in irgendeinem Restaurant.
Er kehrte gegen elf Uhr abends zum Hotel zuruck und ging sogleich auf sein Zimmer, nachdem er gefragt hatte, ob fur ihn Post eingegangen sei. Am folgenden Morgen verlie? er das Hotel und ist nicht wieder gesehen worden.«
»Um welche Zeit verlie? er das Hotel? Zu der Zeit, da er in Professor Bourgoneaus Laboratorium erwartet wurde?«
»Das wissen wir nicht, denn niemand hat ihn das Hotel verlassen sehen. Auch hat er kein Fruhstuck zu sich genommen, was darauf hinzudeuten scheint, da? er sehr fruh fortgegangen ist.«
»Konnte er vielleicht gleich wieder ausgegangen sein, nachdem er nachts heimgekommen war?«
»Das glaube ich nicht. Sein Bett war benutzt, und der Nachtportier hatte jeden bemerken mussen, der um diese Zeit das Hotel verlie?.«
»Das ist vollkommen richtig, Madame. Wir konnen somit als sicher annehmen, da? er das Hotel fruhmorgens verlie?, und eine andere Moglichkeit vollkommen ausschlie?en. Es ist hiernach auch nicht anzunehmen, da? er zur Nachtzeit irgendwelchen Pariser Apachen in die Hande gefallen ist. Fehlte etwas von seinem Gepack?«
Mrs. Halliday zogerte sichtlich bei dieser Frage, jedoch sagte sie schlie?lich:
»Nein, er mu? nur einen kleinen Koffer mitgenommen haben.«
»Hm«, sagte Poirot nachdenklich, »ich mochte gerne wissen, wo er den Abend verbracht hat. Wenn wir das herausbringen konnten, waren wir ein gutes Stuck weiter. Wen hat er an diesem Abend getroffen, da liegt das Geheimnis. Madame, ich teile durchaus nicht den Standpunkt der Polizei, bei der es immer hei?t:
»Nur einen Brief, und das mu? der gewesen sein, den ich an dem Tage geschrieben habe, an dem er England verlie?.« Poirot blieb eine Zeitlang stumm; dann erhob er sich. »Nun, Madame, die Losung des Ratsels liegt in Paris, und zu diesem Zwecke werde ich mich unverzuglich auf die Reise machen.«
»Es liegt aber alles bereits so lange zuruck, Monsieur.«
»Ja, trotz allem, wir mussen dort weitersuchen.« Er wandte sich zur Tur, hielt jedoch inne, die Hand am Turgriff. »Sagen Sie, Madame, erinnern Sie sich, da? Ihr Gatte jemals irgend etwas uber die Gro?en Vier erwahnt hat?«
»Die Gro?en Vier«, wiederholte sie verstandnislos, »nein, ich kann mich nicht erinnern.«
6
Das war alles, was wir von Mrs. Halliday in Erfahrung bringen konnten. Wir eilten zuruck nach London, und am nachsten Tag waren wir bereits auf dem Weg zum Kontinent. Mit ziemlich resigniertem Lacheln bemerkte Poirot: »Diese Gro?en Vier halten mich tatsachlich in Trab,
»Vielleicht triffst du ihn in Paris«, sagte ich; ich wu?te wohl, da? er einen gewissen Giraud damit meinte, einen der findigsten Detektive der Surete, den er bei einer fruheren Gelegenheit kennengelernt hatte.
Poirot zog eine Grimasse. »Ich hoffe, da? es mir erspart bleibt. Der mag mich nicht leiden.«
»Wird es nicht schwierig sein«, fragte ich, »ausfindig zu machen, was ein unbekannter Englander an einem bestimmten Abend vor zwei Monaten unternommen hat?«
»Sogar sehr schwierig,
»Denkst du an die Moglichkeit, da? die Gro?en Vier ihn verschleppt haben konnten?« Poirot nickte.
Unsere Ermittlungen hatten bisher nichts Neues erbracht, und wir wu?ten nicht viel mehr als das, was uns Mrs. Halliday schon erzahlt hatte. Poirot hatte eine langere Unterredung mit Professor Bourgoneau, in deren Verlauf er herauszufinden suchte, ob Halliday von irgendwelchen anderen Planen fur den Abend gesprochen hatte, aber diese Frage blieb vollstandig offen.
Unsere nachste Informationsquelle lag bei der beruhmten Madame Olivier. Ich war ziemlich erregt, als wir die Stufen zu ihrer Villa in Passy hinaufgingen. Es erschien mir au?ergewohnlich, da? es einer Frau gelungen sein sollte, eine so prominente Stellung in der Welt der Wissenschaft einzunehmen. Bisher war ich jedenfalls der Meinung gewesen, da? nur die mannliche Intelligenz diesen Aufgaben gewachsen sei. Die Tur wurde durch einen jungen Burschen geoffnet, der auf mich den Eindruck eines Me?dieners machte, der streng auf die Einhaltung eines gewissen Rituals bedacht ist.
Poirot hatte sich die Muhe gemacht und uns vorher angemeldet, da es ihm bereits bekannt war, da? Madame Olivier wegen ihrer intensiven Forschungsarbeit niemals Besucher ohne Voranmeldung empfing.
Wir wurden in einen kleinen Salon gefuhrt, den kurz darauf die Dame des Hauses betrat. Madame Olivier war eine gro?e Erscheinung, ihre Schlankheit wurde noch betont durch einen langen wei?en Mantel und eine wei?e Kappe, die ihren Kopf umhullte. Sie hatte ein schmales, bleiches Gesicht und wundervolle dunkle Augen, die beinahe schwarmerisch leuchteten. Sie glich eher einer Priesterin alter Zeiten als einer modernen Franzosin. Die eine Wange war durch eine Narbe entstellt, und ich erinnerte mich, da? ihr Gatte und sein Assistent vor drei Jahren bei einer Explosion im Laboratorium getotet wurden, wahrend sie schreckliche Verbrennungen davongetragen hatte. Seither hatte sie sich von der Umwelt abgeschlossen und sich mit wahrem Eifer in ihre wissenschaftlichen Arbeiten vertieft. Sie empfing uns mit kuhler Hoflichkeit.
»Ich bin bereits des ofteren durch die Polizei vernommen worden, meine Herren. Ich glaube daher kaum, da? ich Ihnen noch irgendwie von Nutzen sein kann, da ich auch der Polizei keine befriedigende Auskunft habe geben konnen.«
»Madame, es ist durchaus wahrscheinlich, da? meine Fragen von denen der Polizei abweichen. Um gleich zu beginnen, was war der Inhalt Ihrer Gesprache mit Mr. Halliday?« Sie sah etwas uberrascht auf.
»Naturlich seine Arbeit! Seine Arbeit und auch die meine.«
»Erzahlte er Ihnen auch uber seinen Vortrag, welchen er vor nicht allzu langer Zeit vor einem britischen Auditorium gehalten hat?«
»Naturlich tat er das. Es war das Hauptthema unserer Unterhaltung.«
»Seine Ideen waren wohl etwas phantastischer Natur, oder nicht?« fragte Poirot skeptisch.
»Einige Leute waren wohl dieser Meinung, ich bin jedoch anderer Ansicht.«
»So halten Sie sie also als durchaus durchfuhrbar?«
»Auf jeden Fall. Meine Forschungen gingen nach derselben Richtung, obgleich sie nicht das gleiche Ziel hatten. Ich habe die Gammastrahlen untersucht, die bei einer Substanz in Erscheinung treten, welche unter dem Namen Radium C, dem Produkt einer Radiumstrahlung, bekannt ist, und dabei bin ich auf dieselben magnetischen Erscheinungen gesto?en. Tatsachlich habe ich eine Theorie bezuglich des wahren Ursprungs der Krafte, die wir als Magnetismus bezeichnen, jedoch sind meine Untersuchungen noch nicht so weit abgeschlossen, da? sie veroffentlicht werden konnten. Mr. Hallidays Experimente und Gedankengange waren au?erordentlich interessant fur mich.«
Poirot nickte. Dann stellte er eine Frage, die mich vollig uberraschte.
»Madame, wo fanden die Gesprache statt - in diesem Raum?«
»Darf ich es einmal sehen?«
» Selbstverstandlich.«
Sie fuhrte uns durch die Tur, durch welche sie hereingekommen war, und wir betraten einen schmalen Gang. Danach durchschritten wir zwei weitere Turen und befanden uns in einem gro?en Laboratorium mit seinen vielen Gefa?en, Schmelztiegeln und Hunderten von anderen Versuchsgegenstanden, von welchen ich nicht einmal