»La?t an Deutlichkeit nichts zu wunschen ubrig«, bemerkte Poirot kopfnickend. »Und angenommen, ich wurde mich einverstanden erklaren?«
»In diesem Falle bin ich beauftragt, Ihnen eine Entschadigung anzubieten.«
Er zog eine Brieftasche hervor und warf zehn gro?e Banknoten auf den Tisch. »Das ist vorerst einmal ein Beweis unseres guten Willens«, sagte er. »Sie werden spater zehnmal soviel erhalten.«
»Gro?er Gott«, fuhr ich auf, »wagen Sie im Ernst daran zu denken?«
»Setze dich, Hastings«, befahl Poirot in bestimmtem Ton. »Zahme deine guten und ehrenvollen Regungen, und setz dich hin. Ihnen aber, mein Herr, sage ich folgendes: Was wurde mich hindern, die Polizei zu verstandigen und Sie verhaften zu lassen, wahrend mein Freund Sie daran hindert, sich davonzumachen?«
»Tun Sie ihren Gefuhlen keinen Zwang an, wenn Sie es fur ratsam halten«, sagte unser Besucher mit au?erster Ruhe. »So hore doch endlich auf zu zogern, Poirot«, rief ich, »das ist ja nicht mehr auszuhalten. Ruf die Polizei, und la? ihn verhaften.«
Ich erhob mich schnell und stellte mich mit dem Rucken zur Tur.
»Es scheint der einzige Weg zu sein«, murmelte Poirot, als wollte er mit sich ins reine kommen.
»Aber so offensichtlich scheint er Ihnen wohl doch nicht zu sein, was?« sagte unser Besucher mit einem Lacheln. »Nun entschlie?e dich doch endlich, Poirot«, drangte ich. »Auf deine Verantwortung,
Als er den Horer aufnahm, sprang der Mann katzenartig auf mich zu. Ich fing ihn auf, und in der nachsten Minute hielten wir uns in eisernem Griff und taumelten durch das Zimmer. Er schwankte und glitt aus, ich fuhlte mich bereits im Vorteil, als er vor mir zu Boden fiel. Aber dann, meines Sieges sicher, ereignete sich etwas Unvorhergesehenes. Ich fuhlte mich hochgehoben und landete kopfuber, meine Glieder in wustem Durcheinander, an der Wand. Ich erhob mich zwar sofort, doch die Tur fiel schon hinter meinem Widersacher ins Schlo?. Ich rannte hinterher, ruttelte, aber sie war von au?en abgeschlossen. Dann entri? ich Poirot den Horer. »Ist dort der Empfang? Halten Sie einen Mann auf, der hinaus will, ein gro?er Mann mit hochgeschlossenem Uberzieher und weichem Hut. Er wird von der Polizei gesucht.« Nur einige Minuten vergingen, bis wir ein Gerausch auf dem Gang horten. Der Schlussel drehte sich im Schlo?, die Tur wurde aufgesto?en, und der Direktor des Hotels erschien.
»Wo ist der Mann - haben Sie ihn erwischt?« schrie ich. »Nein, mein Herr, es ist niemand heruntergekommen.«
»Aber er mu? doch an Ihnen vorbeigekommen sein?«
»Mir ist niemand begegnet, Monsieur. Er kann unmoglich entkommen sein.«
»Sie sind sicher jemandem begegnet«, sagte Poirot mit gedampfter Stimme.»Vielleicht jemandem vom Hotelpersonal?«
»Nur einem Kellner mit einem Tablett, Monsieur.«
»Aha«, sagte Poirot. »Deshalb also war er zugeknopft bis zum Kragen.«
Poirot versank in tiefes Nachdenken, nachdem das aufgeregte Hotelpersonal sich endlich entfernt halte.
»Es tut mir unendlich leid, Poirot«, murmelte ich ziemlich beschamt. »Ich glaubte ihn bereits uberwaltigt zu haben.« »Ja, das war nun mal eben ein Judogriff, und nun sei nicht weiter so betrubt,
»Was wolltest du bezwecken?« fragte ich, indem ich mich nach einem braunen Gegenstand buckte, der auf dem Fu?boden lag. Es war ein dunnes Taschenbuch aus braunem Leder, das unser Besucher wahrend des Kampfes verloren haben mu?te. Es enthielt zwei quittierte Rechnungen, ausgestellt auf den Namen Felix Laon, und ein zusammengefaltetes Stuck Papier, welches mein Herz schneller schlagen lie?. Es war die halbe Seite eines Notizblockes, auf welche einige Worte gekritzelt waren. »Die nachste Zusammenkunft findet am Freitag um elf Uhr vormittag in der Rue des Echelles Nr. 34 statt.« Es war unterzeichnet mit einer gro?en Zahl - 4. Und heute war Freitag, die Uhr auf dem Kaminsims zeigte gerade 10.30 Uhr.
»Mein Gott, was fur ein Zufall!« rief ich. »Das Schicksal meint es trotzdem gut mit uns. Wir mussen uns unverzuglich auf den Weg machen. Welch erstaunliches Gluck.«
»Deshalb ist er also gekommen«, murmelte Poirot. »Nun sehe ich ganz klar.«
»Was denn, Poirot? So komm doch endlich!«
Poirot sah mich an, schuttelte den Kopf und lachelte in seiner typischen Art.
»Treten Sie bitte ein! sagte die Spinne zu der kleinen Fliege. So steht es doch wohl geschrieben in dem Marchen, das die englischen Kindermadchen ihren Schutzlingen erzahlen, nicht wahr? Nein, nein - sie glauben zwar, mich tauschen zu konnen - und dennoch durchschaue ich sie.«
»Worauf in aller Welt willst du hinaus, Poirot?« »Mein lieber Freund, ich bin nach den heutigen Geschehnissen mit mir zu Rate gegangen. War unser Besucher tatsachlich der Meinung, er wurde irgendwelche Aussichten haben, mich bestechen zu konnen? Oder, andernfalls, mich in Angst versetzen und mich zur Einstellung meiner Tatigkeit veranlassen zu konnen? Es ist kaum anzunehmen. Warum ist er also uberhaupt gekommen? Nun, ich durchschaue den ganzen Plan -sehr schlau und durchdacht -, der scheinbare Vorwand, mich entweder bestechen oder abschrecken zu konnen, sodann der provozierte Kampf, bei dem der Mann absichtlich sein Notizbuch verlor, und nun die Falle! Rue des Echelles, elf Uhr morgens. Ich denke gar nicht daran,
»Allmachtiger Himmel», stammelte ich.
Poirot schaute gedankenverloren vor sich hin.»Es gibt aber noch etwas, das ich durchaus nicht verstehen kann.«
»Das ware?«
»Die Zeit, Hastings - die Zeit. Wenn sie mich in eine Falle locken wollten, so wurde sich doch die Nachtzeit besser dazu eignen. Warum zu so fruher Stunde? Ist es vielleicht moglich, da? sich heute morgen noch irgend etwas anderes ereignet? Etwas, das sie vor mir verbergen wollen?« Er senkte den Kopf.
»Wir werden sehen. Hier bleibe ich sitzen,
Es war genau 11.30 Uhr, als der Stein ins Rollen kam: ein Telegramm. Poirot ri? es auf und gab es mir. Madame Olivier bat uns darin, unverzuglich nach Passy zu kommen. Wir kamen der Aufforderung ohne einen Augenblick zu zogern nach. Madame Olivier empfing uns in demselben kleinen Salon. Ich war von neuem tief beeindruckt von der wundervollen Erscheinung dieser Nachfolgerin von Becquerel und den Curies, ihrem schmalen, nonnenhaften Gesicht und ihren ausdrucksvollen Augen.
Sie kam sogleich zur Sache.
»Messieurs, Sie stellten mir gestern einige Fragen in Verbindung mit dem Verschwinden von Mr. Halliday. Ich erfahre soeben, da? Sie ein zweites Mal hierher zuruckkehrten, um meine Sekretarin, Inez Veroneau, zu sehen. Sie verlie? das Haus mit Ihnen und ist bis jetzt noch nicht zuruckgekommen.«
»Ist das alles, Madame?«
»Nein, Monsieur, nicht alles; letzte Nacht wurde in mein Laboratorium eingebrochen, und es wurden mehrere wertvolle Papiere und Aufzeichnungen gestohlen. Die Diebe haben versucht, noch etwas weit Wertvolleres zu stehlen, aber glucklicherweise konnten sie den gro?en Safe nicht offnen.«
»Madame, ich mochte Sie von folgenden Tatsachen unterrichten. Ihre fruhere Sekretarin, Madame Veroneau, ist in Wirklichkeit die Grafin Rossakoff, eine Expertin im Diebstahl, und sie war auch verantwortlich fur das Verschwinden von Mr. Halliday. Wie lange stand sie schon in Ihren Diensten?«
»Funf Monate, Monsieur. Was Sie mir da berichten, beunruhigt mich in hochstem Ma?e.«
»Leider ist es so. Waren diese verschwundenen Unterlagen leicht zu finden, oder nehmen Sie an, da? ein Eingeweihter an dem Verschwinden beteiligt ist?«
»Allerdings ist es ziemlich seltsam, da? die Diebe genau wu?ten, wo sie zu suchen hatten. Denken Sie etwa, da? Inez -?«
»Ja, ich zweifle keine Minute daran, da? der Diebstahl auf Grund ihrer Informationen erfolgte. Aber was ist das weit Wertvollere, das die Diebe nicht finden konnten? Etwa Juwelen?«
Madame Olivier schuttelte den Kopf mit einem schwachen Lacheln.
»Weitaus wertvoller als das, Monsieur.« Sie sah sich vorsichtig um, beugte sich vor und sprach mit leiser Stimme:
»Radium, Monsieur.«