Langsam, mit zitternden Handen und mit vor Wut und Ha? entstelltem Gesicht, beugte sie sich hinab und tat, wie ihr gehei?en. Ich war frei. Poirot gab mir einige Anweisungen. »Verwende deine Fesseln nun fur die Dame, Hastings. So ist es recht, sind sie auch richtig fest? Dann binde mich bitte los. Ein Gluck, da? sie ihre Helfershelfer weggeschickt hat. Mit etwas Gluck konnen wir hoffen, den Ausgang unangefochten zu erreichen.«

Im nachsten Augenblick stand Poirot an meiner Seite. Er beugte sich zu der Dame hinab.

»Hercule Poirot ist nicht so leicht zu beseitigen, Madame. Ich wunsche Ihnen eine recht gute Nacht.«

Der Knebel hinderte sie an einer Antwort, jedoch erschreckte mich der morderische Blick in ihren Augen. Ich hoffte sehnlichst, nicht wieder in ihre Hande zu fallen. Drei Minuten spater waren wir au?erhalb der Villa und durchquerten den Garten. Die Stra?e lag verlassen da, und bald hatten wir die Gegend hinter uns. Dann brach es aus Poirot heraus. »Ich verdiente eigentlich nichts anderes, als was mir jene Frau in Aussicht stellte. Ich bin ein dreifaches Hornvieh und ein ausgemachter Idiot. Erst war ich stolz darauf, ihnen nicht in die Falle gegangen zu sein. Und es war nicht einmal als Falle gedacht - ausgenommen naturlich die Art und Weise, wie ich ihnen ins Garn ging. Sie wu?ten, da? ich sie durchschaut hatte -und sie rechneten damit. Hieraus la?t sich alles erklaren: die Leichtigkeit, mit welcher sie Halliday uberwaltigten, sowie die ganzen Begleitumstande. Madame Olivier war das geistige Oberhaupt, Vera Rossakoff nur ihr Werkzeug. Madame Olivier benotigte Hallidays Erfahrungen, wahrend sie selbst uber die notwendige Genialitat verfugte, die Lucken zu schlie?en, an denen er bisher gescheitert war. Ja, Hastings, nun wissen wir, wer Nummer drei ist, die Frau, die wahrscheinlich als die gro?te Kapazitat auf wissenschaftlichem Gebiet in der ganzen Welt gilt. Denke daran. Das Gehirn des Ostens und die Wissenschaft des Westens. Dann noch zwei Personlichkeiten, deren Identitat uns leider noch verborgen ist. Aber wir mussen sie demaskieren. Zu diesem Zweck fahren wir morgen zuruck nach London, um uns auf ihre Fahrte zu setzen.«

»Also zogerst du immer noch, die Polizei uber Madame Olivier aufzuklaren?«

»Man wurde mir ja doch keinen Glauben schenken, denn jene Frau ist einer der Abgotter Frankreichs, und wir haben noch keine Beweise in Handen. Wir konnen von Gluck sagen, wenn sie es unterla?t, uns einzuklagen.« »Was soll denn das nun wieder hei?en?« »Uberlege einmal: wir wurden zur Nachtzeit auf ihrem Grund und Boden uberrascht, im Besitze von Nachschlusseln, die sie beschworen wurde uns nie gegeben zu haben. Sie uberrascht uns an ihrem Safe, wahrend wir sie knebeln, binden und uns dann aus dem Staube machen. Gib dich keinen Illusionen hin, Hastings, unsere Zeit ist noch nicht gekommen!«

8

Nach unserem Abenteuer in der Villa in Passy kehrten wir auf direktem Wege nach London zuruck. Hier erwarteten Poirot mehrere Briefe, einen davon las er mit einem seltsamen Lacheln und ubergab ihn mir.

Zuerst sah ich auf die Unterschrift »Abe Ryland«, und erinnerte mich an Poirots Worte: »Der reichste Mann der Welt.« Mr. Rylands Brief war hoflich, aber bestimmt. Er brachte seine tiefe Unzufriedenheit zum Ausdruck uber die Grunde, die Poirot im letzten Moment bewegen hatten, von dem Auftrag in Sudamerika zuruckzutreten.

»Das gibt uns sehr viel zu denken, nicht wahr?« bemerkte Poirot.

»Ich finde es nur zu naturlich, da? er daruber etwas aufgebracht ist«, entgegnete ich.

»Nein, nein, du begreifst nicht, was ich meine. Denk doch bitte an die Worte Mayerlings, des Mannes, der hier bei uns Zuflucht suchte - und trotzdem in die Hande seiner Widersacher fiel: Nummer zwei wird bezeichnet durch eine S mit zwei Strichen, sagte er damals - das Dollarzeichen, ebenso durch zwei Striche durch einen Stern. Es spricht alles dafur, da? er ein amerikanischer Burger ist und da? hinter ihm die Macht des Geldes steht. Erinnerst du dich daran, da? Ryland mir eine Riesensumme bot, um mich zu bewegen, England zu verlassen? Was sagst du nun dazu, Hastings?«

»Willst du damit andeuten«, erwiderte ich, ihn gro? anblickend, »da? Abe Ryland, der Multimillionar, im Verdacht steht, Nummer zwei der Gro?en Vier zu sein?«

»Dein klarer Verstand hat das Richtige getroffen, Hastings. Ja, ich bin dieser Ansicht. Deine Betonung des Wortes >Multimillionar< ist vielsagend - doch lasse dich von mir noch ganz besonders auf folgende Tatsache hinweisen: Diese Angelegenheit wird von Leuten geleitet, die zur Spitzenklasse gehoren - und Mr. Ryland steht dazu noch in dem Rufe, in geschaftlichen Dingen keinen Spa? zu verstehen. Er ist ein durchaus fahiger und dazu skrupelloser Mann, dem unbegrenzte Mittel fur seine Zwecke zur Verfugung stehen.«

Zweifellos bedurfte die Betrachtung Poirots noch einer weiteren Erklarung, und so fragte ich ihn, wann er zu dieser Uberzeugung gekommen sei.

»Das ist ja gerade der wunde Punkt; ich bin meiner Sache noch nicht ganz sicher und kann es auch noch gar nicht sein.

Mon ami, ich wurde viel darum geben, untrugliche Beweise zu haben. Vorerst wollen wir annehmen, da? Mr. Ryland tatsachlich Nummer zwei ist, so nahern wir uns etwas mehr unserem Ziel.«

»Hieraus ersehe ich«, sagte ich und deutete auf den Brief, »da? er gerade in London eingetroffen ist. Willst du ihn personlich aufsuchen, um dich zu entschuldigen?«

»Das konnte ich immerhin tun.«

Zwei Tage spater betrat Poirot unsere Wohnung in einem Zustand au?erster Erregung. Er begru?te mich sturmisch und ergriff mich an beiden Handen.

»Mein Freund, eine einzigartige Gelegenheit, beispiellos und einmalig, hat sich uns geboten. Es handelt sich um ein gefahrliches, ein sehr gefahrliches Unternehmen. Ich wage es kaum, dich zu fragen, ob du darauf eingehen willst.« Wenn Poirot versuchte, mir irgendwie bange zu machen, so tauschte er sich, und das lie? ich auch durchblicken. Nach einigem Zogern entwickelte er mir seinen Plan. Er hatte erfahren, da? Ryland nach einem englischen Sekretar suchte, der sowohl gute Umgangsformen wie auch eine reprasentative Erscheinung in sich vereinigte. Poirot schlug mir vor, mich um diesen Posten zu bewerben.

»Ich wurde es selbst tun, mon ami«, erklarte er mir, sich beinahe entschuldigend. »Aber du wirst einsehen, da? es mir kaum gelingen wurde, mein Aussehen genugend zu verandern. Ich spreche zwar ganz gut Englisch - ausgenommen dann, wenn ich erregt bin -, aber doch nicht so gut, um das Ohr eines Amerikaners zu tauschen; ich bin sogar bereit, meinen Schnurrbart zu opfern, ich befurchte jedoch, trotzdem als Hercule Poirot erkannt zu werden.«

Ich teilte seine Befurchtungen und erklarte mich bedingungslos bereit, die Rolle des Sekretars zu ubernehmen, um mich in Rylands Haus einzuschmuggeln.

»Ich wette aber zehn zu eins, da? er mich gleichwohl nicht engagiert«, bemerkte ich.

»O doch, er wird es tun. Ich werde fur dich so glanzende Empfehlungen besorgen, da? er sich samtliche Finger lecken wird. Der Staatssekretar personlich wird dir seine Empfehlung geben.«

Das schien mir doch reichlich ubertrieben zu sein, aber Poirot beseitigte meine Einwande.

»Mais oui, er wird dir sogar eine erstklassige Empfehlung geben. Ich habe ihm namlich seinerzeit in einer Angelegenheit einen Gefallen getan, wo ein Riesenskandal vermieden werden konnte. Die Sache wurde diskret und sorgfaltig beigelegt, und nun ist er mir verpflichtet und fri?t mir - um mit seinen eigenen Worten zu sprechen - wie ein Vogel aus der Hand.« Unsere erste Aufgabe war es, die Dienste eines Maskenbildners zu gewinnen. Es war ein kleiner Mann mit einem wunderlichen Vogelgesicht, nicht unahnlich dem meines Freundes Poirot. Erst betrachtete er mich eine Weile schweigend und machte sich sodann an die Arbeit. Als ich etwa eine halbe Stunde spater in den Spiegel sah, war ich begeistert. Ein Paar Schuhe spezieller Machart lie?en mich fast funf Zentimeter gro?er erscheinen, und der Anzug, den ich trug, war so gearbeitet, da? ich darin hochaufgeschossen und hager aussah. Meine Augenbrauen waren so geschickt hergerichtet, da? sie meinem Gesicht ein vollig anderes Aussehen gaben, meine Wangen waren durch einen Backenbart verdeckt, und die tiefe Braune meines Gesichts war verschwunden. Meine Oberlippe war glattrasiert, und ein Goldzahn trat auffallig im Mundwinkel in Erscheinung.

»Dein Name ist Arthur Neville«, sagte Poirot. »Und nun behut' dich Gott, mein Freund, denn wie ich dir schon sagte, ist die Sache keinesfalls ungefahrlich.«

Mit Herzklopfen begab ich mich zu der von Ryland festgesetzten Zeit zum »Savoy-Hotel« und bat, vorgelassen zu werden. Nachdem ich einige Minuten gewartet hatte, wurde ich in seine Suite gefuhrt.

Ryland sa? an einem Schreibtisch und hielt einen Brief in der Hand, dessen Handschrift ich mit einem verstohlenen Blick als die des Staatssekretars erkennen konnte. Ich sah den amerikanischen Millionar zum ersten Male, und ich war wider Willen beeindruckt. Er war gro? und schlank, mit hervorspringendem Kinn und leicht gebogener Nase. Seine Augen blitzten kalt und grau hinter buschigen Augenbrauen. Er hatte dichtes, angegrautes Haar und rauchte eine dicke, schwarze Zigarre - ohne die er, wie ich spater erfuhr, niemals zu sehen war -, die ihm lassig aus dem Mundwinkel herabhing. »Setzen Sie sich«, grunzte er.

Вы читаете Die Gro?en Vier
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату