Ihnen einen Vorschlag machen. Sie belassen mich in Freiheit - und Sie bekommen dafur Mr. Halliday lebend und wohlauf.«
»Angenommen«, sagte Poirot.»Ich war bereits im Begriff, Ihnen denselben Vorschlag zu machen. Doch erlauben sie mit noch eine Frage: Sind Ihre Auftraggeber die Gro?en Vier, Madame?«
Wiederum bemerkte ich das todliche Erbleichen, das uber ihre Zuge ging, doch lie? sie diese Frage unbeantwortet. Statt dessen sagte sie: »Sie gestatten wohl, da? ich telefoniere?« Sie ging zum Telefon hinuber und wahlte eine Nummer. »Ich rufe jetzt dort an, wo Ihr Freund sich augenblicklich befindet«, sagte sie erklarend. »Sie konnen die Nummer durch die Polizei ermitteln lassen, jedoch wird das Nest bereits leer sein, wenn man dort ankommt. Ah, da haben wir schon die Verbindung. Bist du es, Andre? Ich bin es, Inez. Der kleine Belgier ist uber alles unterrichtet. Schicke Halliday in sein Hotel, und mach dich aus dem Staube.« Sie legte den Horer wieder auf die Gabel und kam lachelnd auf uns zu. »Sie werden uns zum Hotel begleiten, Madame.«
»Naturlich, ich habe auch nichts anderes erwartet.« Wir bestiegen ein Taxi und fuhren gemeinsam dorthin. In Poirots Gesicht lie? sich ein Anflug von Verwirrung erkennen, denn die Angelegenheit hatte sich beinahe zu schnell entwickelt. Wir gelangten zum Hotel, wo uns der Portier empfing.
»Ein Herr ist soeben eingetroffen, er befindet sich auf Ihrem Zimmer und scheint sich sehr krank zu fuhlen. Eine Krankenschwester, die ihn hierher begleitete, hat jedoch bereits wieder das Hotel verlassen.«
»Das ist vollkommen in Ordnung«, sagte Poirot, »er ist ein Freund von mir.«
Zusammen begaben wir uns auf das Zimmer. Auf einem Stuhl in der Nahe des Fensters sa? ein hagerer jungerer Herr, der augenscheinlich zu Tode erschopft war. Poirot ging auf ihn zu. »Sind Sie John Halliday?« Der Herr nickte.
»Zeigen Sie mir bitte Ihren linken Arm. John Halliday tragt ein Muttermal direkt unter dem linken Ellenbogen.« Der Herr entblo?te seinen Arm, wodurch das Mal sichtbar wurde. Poirot nickte der Grafin zu, die sich alsdann abwandte und den Raum verlie?.
Ein Glas Brandy half Halliday wieder etwas auf die Beine. »Mein Gott!« stie? er hervor. »Ich habe Hollenqualen ausgestanden, wahre Hollenqualen! Jene Leute sind Teufel in Menschengestalt. Meine Frau - wo befindet sich meine Frau? Was mu? sie nur von mir denken. Man sagte mir, sie wurde der Meinung sein - wurde annehmen... «
»Das ist durchaus nicht der Fall«, beruhigte ihn Poirot. »Das Vertrauen, das sie in Sie setzt, ist unerschutterlich. Sie werden erwartet - von ihr und Ihrem Kind.«
»Gott sei Dank. Ich kann es kaum fassen, da? ich wieder ein freier Mann bin.«
»Jetzt, da Sie sich wieder etwas erholt haben, Monsieur, mochte ich Sie bitten, mir die ganze Geschichte von Anfang an zu erzahlen.«
Halliday sah ihn verstort an. »Ich erinnere mich an gar nichts.«
»Wie soll ich das verstehen?« »Haben Sie jemals von den Gro?en Vier gehort?«
»Das kann man wohl sagen«, bemerkte Poirot trocken. »Sie wissen jedoch nicht die Halfte von dem, was ich erfahren habe. Diese Leute verfugen uber eine Unbegrenzte Macht. Sofern ich schweige, werde ich mich in Sicherheit befinden; wenn ich jedoch nur ein Wort verlauten lasse, so wird man nicht nur mich, sondern auch alle, die mir lieb und wert sind, in unvorstellbarer Weise qualen. Sie sollten mich nicht ausfragen, denn ich wei? nichts und kann mich an nichts erinnern.« Er erhob sich und verlie? mit unsicheren Schritten das Zimmer. Poirots Gesicht verriet au?erste Besturzung. »Also ist es das?«murmelte er. »Die Gro?en Vier haben also wiederum uber uns triumphiert. Was haltst du denn da in der Hand, Hastings?«
Ich ubergab ihm einen Zettel und erklarte, da? die Grafin etwas in Eile geschrieben hatte, bevor sie uns verlie?. Er lautete:
»Unterzeichnet mit ihren Initialen I. V. Ist es vielleicht nur ein Zufall, da? man auch eine romische Vier daraus lesen kann? Ich mochte zu gern Naheres daruber wissen, mein lieber Hastings.«
7
In der ersten Nacht nach seiner Befreiung horte ich Halliday unablassig laut stohnen und protestieren. Ohne Zweifel hatten seine Erlebnisse in der Villa zu einem Nervenzusammenbruch gefuhrt. Auch am nachsten Morgen erwiesen sich unsere Bemuhungen, etwas Konkretes von ihm in Erfahrung zu bringen, als vergeblich. Er wiederholte nur immer wieder seine Erklarungen uber die unheimliche Macht der Vier und die Bedrohung, Repressalien ausgesetzt zu sein, sofern er auch nur ein Wort verlauten lassen wurde.
Nach dem Lunch reiste er nach England zu seiner Familie, wahrend Poirot und ich in Paris zuruckblieben. Ich setzte mich dafur ein, energische Ma?nahmen in irgendeiner Form zu ergreifen, denn Poirots Unternehmungslosigkeit enttauschte mich tief.
»Um Himmels willen, Poirot«, drangte ich, »wir wollen uns endlich aufraffen und uns an ihre Fersen heften.«
»Ich mu? mich immer wieder uber dich wundern, Hastings. Wen sollen wir denn verfolgen? Drucke dich doch bitte etwas klarer aus.«
»Die Gro?en Vier, naturlich.«
»Wir konnten uns an die Polizei wenden«, schlug ich zogernd vor.
Poirot lachelte.
»Die wurden uns fur Phantasten halten. Wir konnen nichts beweisen, absolut gar nichts, und mussen abwarten.«
»Abwarten, zu welchem Zweck?«
»Abwarten, bis sie irgend etwas unternehmen. Wenn wir uns still verhalten, so mussen die anderen etwas unternehmen. Indem wir nun den anderen die Initiative uberlassen, erfahren wir auf diese Weise etwas mehr uber sie. Es bleibt unsere Starke, die andere Seite zum Handeln zu zwingen.«
»Denkst du, da? sie etwas tun werden?« fragte ich unglaubig. »Ich zweifle nicht im geringsten daran. Sieh, um nochmals zu uberlegen, sie haben versucht, mich von England wegzulocken. Dies schlug fehl. Daraufhin kommen wir ihnen in der Dartmoor-Affare in die Quere und retten ihr Opfer vor dem Galgen. Und gestern durchkreuzten wir wiederum ihre Plane. Ich versichere dir, dies alles werden sie nicht auf sich beruhen lassen.«
Wahrend ich daruber nachdachte, klopfte es an der Tur. Ohne eine Antwort abzuwarten, schob sich ein Mann herein und schlo? die Tur gleich wieder hinter sich zu. Er war gro? und hager, hatte eine leicht gebogene Nase und eine auffallend gelbliche Gesichtsfarbe.
Er trug einen Uberzieher, der bis zum Hals hinauf zugeknopft war, dazu einen weichen Hut, dessen Krempe die Augen fast verbarg. »Entschuldigen Sie mein unangemeldetes Eindringen, meine Herren«, sagte er mit weicher Stimme, »jedoch ist mein Anliegen etwas ungewohnlicher Art.«
Er ging lachelnd zum Tisch hinuber und setzte sich. Ich war bereits im Begriffe aufzuspringen, jedoch hielt mich Poirot mit einer beredten Geste zuruck.
»Wie Sie bereits bemerkten, Monsieur, ist Ihr Besuch wirklich etwas unkonventionell. Wollen Sie so freundlich sein, uns uber dessen Zweck Naheres mitzuteilen?«
»Mein lieber Monsieur Poirot, das ist mit wenigen Worten erklart. Sie haben meine Freunde bitter enttauscht.«
»In welcher Beziehung?«
»Ach, lassen Sie das, Monsieur Poirot, Sie sind vollkommen im Bild, genau wie ich selbst.«
»Es hangt davon ab, Monsieur, wen Sie als Ihre Freunde betrachten.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, zog der Mann ein Zigarettenetui aus der Tasche, offnete es, entnahm ihm vier Zigaretten und warf sie auf den Tisch. Dann sammelte er sie wieder ein und versorgte sie in seinem Etui.
»Aha«, sagte Poirot, »so ist das gemeint. Und was schlagen Ihre Freunde vor?«
»Sie schlagen vor, Monsieur, da? Sie Ihre sehr beachtlichen Talente zur Aufdeckung von Versto?en gegen das Gesetz entfalten sollten - Sie sollten wieder Ihre fruhere Beschaftigung aufnehmen und die Probleme von Damen der Londoner Gesellschaft losen.«
»Ein sehr friedfertiges Geschaft«, bemerkte Poirot, »und angenommen, ich ware damit nicht einverstanden?« Der Mann machte eine vielsagende Bewegung. »Wir wurden es naturlich au?erordentlich bedauern«, setzte er hinzu, »ebenso alle Freunde und Bewunderer von Hercule Poirot. Beileidskundgebungen jedoch, so ehrlich sie auch sein mogen, konnen einen Toten nicht mehr zum Leben erwecken.«