die Namen kannte. Zwei Angestellte arbeiteten gerade an einem Experiment. Madame Olivier stellte sie vor.

»Mademoiselle Claude, eine meiner Assistentinnen.« Eine gro?e, ernst blickende junge Dame nickte uns zu. »Monsieur Henri, ein alter und vertrauter Freund.« Der Herr, klein und dunkel, verbeugte sich hoflich. Poirot sah sich im Raum um. Es boten noch zwei weitere Turen Zugang au?er der einen, durch die wir hereingekommen waren. Eine davon, erklarte Madame Olivier, fuhre in den Garten, die andere in einen Nebenraum, der ebenfalls fur Untersuchungen bestimmt sei. Poirot nahm alles aufmerksam zur Kenntnis und erklarte sodann, in den Salon zuruckkehren zu wollen.

»Madame, waren Sie wahrend Ihrer Unterredung mit Mr. Halliday allein?«

»Ja, Monsieur. Meine Assistenten waren in dem kleinen Raun nebenan.«

»Konnte das Gesprach belauscht werden - von diesen oder irgend jemand anders?«

Madame Olivier uberlegte und schuttelte dann den Kopf. »Ich glaube nicht. Ich bin dessen beinahe sicher. Die Turen waren alle verschlossen.«

»Konnte sich vielleicht ein Fremder in dem Raum verborgen gehalten haben?«

»Es befindet sich zwar ein gro?er Schrank in der Ecke, aber die Idee erscheint mir absurd.«

»Pas tout a fait, Madame; aber nun noch eine Frage: Hat Mr. Halliday irgendeine Au?erung uber seine Plane fur den Abend gemacht?«

»Er hat mir gegenuber nichts dergleichen erwahnt, Monsieur.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Madame, und entschuldigen Sie bitte die Storung. Bitte bemuhen Sie sich nicht, wir finden den Ausgang schon.«

Wir waren im Treppenhaus, als eine Dame gerade durch die Haustur trat. Sie eilte die Treppen hinauf, und ich bemerkte noch die strenge Trauerkleidung, wie sie von franzosischen Witwen getragen wird.

»Eine au?ergewohnliche Frau«, bemerkte Poirot, als wir uns entfernten.

»Madame Olivier? Ja, sie... «

»Mais non, nicht Madame Olivier. Cela va sans dire! Es gibt nicht viele Genies ihresgleichen in der Welt. Nein, ich meinte die andere, die Dame, die uns im Treppenhaus begegnete!«

»Ich habe ihr Gesicht nicht sehen konnen«, entgegnete ich erstaunt. »Ich kann mir auch nicht denken, da? du es gesehen haben kannst, nachdem sie es offensichtlich abwandte.«

»Das ist eben der Grund, warum ich von einer ungewohnlichen Frau sprach«, sagte Poirot ruhig. »Eine Frau, die ihr Haus betritt - denn ich nehme an, sie wohnt hier, da sie einen Schlussel hatte - und schnell die Treppe hinaufsturmt, ohne die zwei fremden Besucher, die sich im Treppenhaus befinden, auch nur anzusehen, ist wirklich als au?ergewohnlich zu bezeichnen. Mille tonnerres! Was soll das bedeuten?« Er ri? mich zuruck - gerade noch zur rechten Zeit. Ein Baumstamm war auf den Weg gesturzt, gerade scharf an uns vorbei. Poirot schaute hin, starr vor Entsetzen.

»Das war sehr knapp! Aber wie konnte ich auch darauf vorbereitet sein - ich hatte keinen Verdacht - wenigstens kaum einen Verdacht. Ja, wenn meine Augen die Situation nicht gleich erfa?t hatten, dann durfte Hercule Poirot wohl jetzt nicht mehr unter den Lebenden sein - ein schrecklicher Verlust fur die Welt! Und auch du, mon ami, warest nicht mehr da, obgleich das nicht eine Katastrophe von solch weltbewegender Bedeutung gewesen ware«, setzte er spottisch hinzu. »Vielen Dank«, entgegnete ich kuhl, »und was werden wir jetzt tun?«

»Tun?« rief Poirot. »Wir werden jetzt nachdenken. Ja, hier, und zwar gleich auf der Stelle werden wir unsere kleinen grauen Zellen in Funktion treten lassen. Dieser Mr. Halliday - war er nun tatsachlich in Paris? Ja, denn Professor Bourgoneau, mit dem er bekannt ist, hat ihn gesehen und mit ihm gesprochen.«

»Worauf, in aller Welt, willst du hinaus?« rief ich aus.

»Das war am Freitag morgen. Er wurde zuletzt Freitag nacht um elf Uhr gesehen - aber hat man ihn wirklich zu dieser Zeit gesehen?«

»Der Portier - «

»Ein Nachtportier, der zudem Halliday vorher noch nie gesehen hatte. Ein Herr betritt das Hotel, anscheinend Halliday -Nummer vier hat sicher fur einen Doppelganger gesorgt -fragt nach eingegangener Post, geht auf sein Zimmer, packt einen kleinen Koffer und schlupft heimlich am nachsten Morgen hinaus. Niemand hat Halliday wahrend des ganzen Abends gesehen - niemand, da er sich ja bereits in den Handen seiner Widersacher befand. War es wirklich Halliday, den Madame Olivier empfing? Er mu? es gewesen sein, obgleich sie ihn nicht von Angesicht kannte. Einem Unbeteiligten ware es kaum moglich gewesen, sie auf ihrem Spezialgebiet zu tauschen. Halliday suchte sie also tatsachlich auf, hatte eine Unterredung mit ihr und entfernte sich wieder. Was ereignete sich dann?« Poirot packte meinen Arm und zog mich formlich zur Villa zuruck.

»Nun, mon ami, stell dir einmal vor, es ist am Tag nach seinem Verschwinden, und wir verfolgen Spuren. Du liebst doch Spuren, nicht wahr? Sieh, hier haben wir solche, und zwar die von Mr. Halliday...« Er wandte sich nach rechts, wie wir es vorhin getan hatten, und entfernte sich eilig. »Ah! Andere Schritte folgen ihm mit der gleichen Eile, die Schritte einer Frau. Sieh, jetzt hat sie ihn erreicht - eine schlanke junge Dame in Witwentracht. »Pardon, Monsieur, Madame Olivier wunscht, da? ich Sie zuruckrufe.« Er stockt und kehrt um. Nun, welchen Weg wahlt die junge Dame? Sie will nicht mit ihm gesehen werden. Ist es ein Zufall, da? sie ihn gerade am Zugang eines schmalen Pfades anspricht, der zwei Garten voneinander trennt? Sie geht ihm voraus und erklart, dieser Weg sei eine Abkurzung. Zur Rechten befindet sich Madame Oliviers Villa, zur Linken eine andere - und von diesem Gartengrundstuck stammt ja der Baum, der vorhin niedergesturzt ist. Die Gartentore der beiden Villen fuhren auf diesen Pfad heraus. Hier befindet sich der Hinterhalt, einige Manner sturzen sich auf Halliday, uberwaltigen ihn und schleppen ihn in die fremde Villa.«

»Lieber Himmel, Poirot«, rief ich aus, »willst du mir einreden, da? dies alles geschehen ist?«

»Ich sehe es vor meinem geistigen Auge, mon ami. So und nur so kann es passiert sein. Komm, la? uns zum Haus zuruckgehen.«

»Willst du Madame Olivier nochmals aufsuchen?« Poirot lachelte seltsam.

»Nein, Hastings, ich mochte mir gern die Dame genau ansehen, der wir im Treppenhaus begegnet sind.«

»Wofur haltst du sie denn, vielleicht fur eine Verwandte von Madame Olivier?«

»Mit gro?ter Wahrscheinlichkeit ist es ihre Sekretarin - und zwar noch nicht lange in ihren Diensten.« Derselbe wurdevolle junge Mann offnete uns. »Konnen Sie«, erkundigte sich Poirot, »mir den Namen der Dame sagen, die gerade vorhin das Haus betrat?«

»Madame Veroneau, Madames Sekretarin?«

»Das ist die Dame. Wurden Sie so freundlich sein, sie zu einer kurzen Unterredung zu bitten.«

Der junge Mann entfernte sich, erschien aber bald wieder. »Es tut mir leid, Madame Veroneau mu? bereits wieder fortgegangen sein.«

»Das glaube ich nicht«, antwortete Poirot gelassen. »Wollen Sie ihr bitte meinen Namen ausrichten, Hercule Poirot, ich wurde sie gern in einer wichtigen Angelegenheit sprechen, da ich mich gerade auf dem Wege zur Prafektur befinde.«

Der Bedienstete verschwand wiederum, und gleich darauf erschien die Dame. Sie betrat den Salon, und wir folgten ihr. Dann drehte sie sich um und luftete ihren Schleier. Zu meinem nicht geringen Erstaunen erkannte ich in ihr unsere alte Bekannte, die Comtesse Rossakoff, die russische Grafin, wieder, die seinerzeit in London einen einzigartig dreisten Juwelenraub inszeniert hatte.

»Schon als ich Sie im Treppenhaus erblickte, furchtete ich das Schlimmste«, bekannte sie klaglich. »Meine liebe Grafin Rossakoff -« Sie schuttelte den Kopf.

»Jetzt Inez Veroneau«, murmelte sie, »eine Spanierin mit einem Franzosen verheiratet. Was wunschen Sie von mir, Monsieur Poirot? Sie sind doch ein schrecklicher Mensch. Sie jagten mich ja bereits von London weg. Jetzt, nehme ich an, werden Sie alles unserer wundervollen Madame Olivier berichten und mich so aus Paris vertreiben. Wir armen Russinnen mussen doch auch leben, konnen Sie das nicht verstehen?«

»Es handelt sich um weitaus ernstere Angelegenheiten als Sie annehmen, Madame«, sagte Poirot, sie scharf beobachtend. »Ich schlage vor, Sie begeben sich sofort zur Villa nebenan und befreien Mr. Halliday, wenn er noch am Leben ist. Sie sehen, ich bin uber alles unterrichtet.«

Ich sah, wie sie plotzlich erbleichte. Erst nagte sie an ihrer Oberlippe, dann sprach sie mit der bei ihr ublichen Entschlossenheit.

»Er ist noch am Leben, aber er befindet sich nicht in der Villa nebenan. Horen Sie, Monsieur Poirot, ich will

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