sah ihn unglaubig an, konnte jedoch keinen Spott in seinen Augen wahrnehmen.

»Und dann«, fuhr ich fort, »kamen die aufregenden Enthullungen der Leichenschau. Nun ist der Moment gekommen, wo du wahrscheinlich die Lippen spitzt, nehme ich an. Der Verdacht richtete sich zuerst gegen Dr. Quentin. Erstens war er nicht der Hausarzt, sondern nur der Vertreter des Hausarztes Dr. Bolitho. Es stellte sich heraus, da? der Unfall auf Unachtsamkeit zuruckzufuhren war. Mr. Paynter war seit seiner Ankunft in »Croftlands« etwas kranklich gewesen. Dr. Bolitho hatte ihn einige Zeit behandelt, jedoch als Dr. Quentin seinen Patienten das erste Mal sah, fielen ihm gewisse Krankheitssymptome besonders auf. Er hatte ihn nur einmal gesehen, und zwar an dem Abend, als nach dem Dinner zu ihm geschickt wurde.

Sobald er mit Mr. Paynter allein war, hatte dieser ihm eine uberraschende Eroffnung gemacht. Er betonte gleich zu Anfang ausdrucklich, er fuhle sich uberhaupt nicht krank, doch erklarte er, der Geschmack des Curry, den er zum Dinner gegessen hatte, habe ihn befremdet. Er habe Ah Ling fur einige Minuten zu entfernen gewu?t und habe den Inhalt der Schussel in einen anderen Behalter getan. Er hatte diesen dem Arzt mit der Bitte ubergeben, Untersuchungen anzustellen, ob irgend etwas beigemischt worden sei. Trotz seiner Erklarung, er fuhle sich nicht krank, bemerkte der Arzt, da? der Verdacht augenscheinlich eine Schockwirkung bei dem Patienten ausgelost hatte und sein Herz davon in Mitleidenschaft gezogen war. Deshalb hielt er eine Injektion fur angebracht. Keine von narkotisierender Wirkung, sondern nur eine Dosis Strychnin. Das, denke ich, ware alles, was uber diese Angelegenheit zu sagen ware - abgesehen von der Tatsache, da? der analysierte Curry genug Opiumpulver enthalten hatte, um gleich zwei Menschen auf der Stelle zu toten.«

Eine Pause trat ein. »Und deine abschlie?ende Meinung, Hastings?« fragte Poirot mit Gelassenheit.

»Das ist sehr schwer zu sagen. Es konnte sich immerhin um einen Unfall handeln; die Tatsache, da? jemand versucht hat, ihn an demselben Abend zu vergiften, konnte lediglich ein Zufall sein. Du glaubst zwar nicht daran und ziehst es vor, an einen Mord zu denken, oder etwa nicht?«

»Mon ami, deine Gedankengange und die meinigen bewegen sich nicht in der gleichen Richtung. Ich versuche nicht, zwischen zwei gegensatzlichen Moglichkeiten zu entscheiden -Mord oder Unfall - das wird sich ergeben, wenn wir das andere Problem gelost haben, das Geheimnis des gelben Jasmins. Au?erdem hast du etwas vergessen.«

»Du denkst wohl an die zwei Striche, die rechtwinklig zueinander undeutlich unter den zwei Worten erkennbar waren. Ich bin nicht der Meinung, da? sie von irgendwelcher Wichtigkeit sein konnten.«

»Es ist alles immer ganz unwichtig fur dich, lieber Hastings. Doch lasse uns vom Geheimnis des gelben Jasmins zu dem des Curry ubergehen.«

»Wer vergiftete Paynter und aus welchem Grunde? Es gibt hundert Fragen, die man stellen konnte. Ah Ling hat ihm das Essen zubereitet. Aber warum sollte er gewunscht haben, seinen Herrn zu toten? Ist er Mitglied eines Geheimbundes oder dergleichen? Man liest gelegentlich von diesen Dingen. Der Geheimbund vom gelben Jasmin vielleicht? Ferner haben wir noch nicht von Gerald Paynter gesprochen.«

Ich verstummte.

»Ganz recht«, bekraftigte Poirot und nickte. »Wie du ganz richtig sagst, bleibt da noch Gerald Paynter. Er ist der alleinige Erbe seines Onkels, und er hat an dem betreffenden Abend auswarts gegessen.«

»Es ist ihm aber vielleicht gelungen, etwas unter die Zutaten des Curry zu mischen«, warf ich ein. »In diesem Fall mu?te er abwesend sein, um nicht an der Mahlzeit teilnehmen zu mussen.«

Ich glaubte zu bemerken, da? Poirot durch meine Erwagungen ziemlich beeindruckt war. Er betrachtete mich mit weitaus gro?erer Aufmerksamkeit, als es sonst seine Art war. »Er kommt spat zuruck«, fuhr ich mit der Schilderung nachdenklich fort, den vermutlichen Verlauf rekonstruierend, »sieht Licht in des Onkels Arbeitszimmer, tritt ein, und bei der Erkenntnis, da? sein Plan fehlgeschlagen ist, sto?t er seinen Onkel in den Gaskamin.«

»Mr. Paynter, ein ziemlich kraftiger Mann, hatte sich bestimmt gewehrt, Hastings; eine solche Annahme ist unglaubwurdig.«

»Well, Poirot«, fuhr ich fort, »ich denke, wir sind nahe an der Losung, nun lasse mich bitte deine Meinung horen!« Poirot lachelte, warf sich in die Brust und begann mit geheimnisvoller Miene:

»Bei der Annahme, da? es ein Mord war, erhebt sich sogleich die Frage, warum diese sonderbare Methode gewahlt wurde. Ich sehe hierfur nur eine Absicht, namlich eine Identifizierung unmoglich zu machen und das Gesicht zur Unkenntlichkeit verbrennen zu lassen.«

»Wie«, rief ich aus, »denkst du etwa -?«

»Einen Augenblick Geduld, Hastings. Ich bin gerade dabei, dir zu erklaren, da? ich diese Moglichkeit untersuche. Gibt es irgendeinen Grund zur Annahme, da? der Tote nicht Mr. Paynter ist? Besteht die Moglichkeit, da? es jemand anders sein konnte? Ich erwage diese zwei Fragen und beantworte beide in negativem Sinn.«

Poirot zwinkerte mit seinen Augen und fuhr dann fort. »Da ich mir nun selbst sage, da? hier noch etwas mitspricht, was ich noch nicht verstehen kann, tue ich gut daran, die ganze Sache noch einmal grundlich zu untersuchen. Ich kann es mir nicht erlauben, diesen Fall ohne weiteres in Verbindung mit den Gro?en Vier zu bringen. Doch wir sind gleich an Ort und Stelle. Wo ist meine Kleiderburste, wo hat sie sich wieder versteckt? Ah, hier ist sie schon - burste mich bitte etwas ab, mein Freund.«

Als Poirot seine Kleiderburste verstaut hatte, bemerkte er gedankenvoll: »Man darf nicht immer von ein und derselben Idee besessen sein; ich war gerade wieder dabei, in diesen alten Fehler zu verfallen. Stell dir vor, mein Freund, ich komme sogar in diesem Fall in Versuchung, geheime Faden zu sehen. Jene beiden Striche, die du erwahntest, einen Abstrich und dazu einen Strich im rechten Winkel - beginnt man nicht so, eine Vier zu schreiben?«

»Du meine Gute, Poirot«, rief ich lachend.

»Ja, ist das nicht geradezu absurd? Uberall sehe ich die Hand der Gro?en Vier. Es ware gut, deine Gedanken einmal in eine ganz andere Richtung schweifen zu lassen. Ah, da kommt ja unser Freund Japp.«

10

Der Inspektor von Scotland Yard, der uns auf dem Bahnhof erwartete, begru?te uns freundschaftlich.

»Nun, Monsieur Poirot, gut, da? Sie kommen. Ich habe mir schon gedacht, Sie wurden gern dabei sein. Eine mysteriose Angelegenheit, nicht wahr?«

Es war offensichtlich, da? Japp vollkommen im dunkeln tappte und von Poirot einen Fingerzeig erwartete. Japps Wagen stand vor dem Bahnhof, und wir fuhren sofort nach »Croftlands«. Es war ein quadratisches wei?es Haus, ziemlich bescheiden und mit wildem Wein und Jasmin bewachsen. Japp betrachtete es mit gleichem Interesse, wie wir es taten. »Der arme Kerl mu? durch den Duft berauscht gewesen sein, als er seine letzten Worte schrieb«, bemerkte er. »Hatte vielleicht Halluzinationen und war der Annahme, sich au?erhalb des Hauses zu befinden.«

Poirot schien ziemlich belustigt durch seine Worte. »Was war es nun, mein guter Japp«, fragte er, »Unfall oder Mord?«

Der Inspektor schien etwas verlegen bei dieser Frage. »Well, wenn nicht die Curry-Angelegenheit mitspielen wurde, hatte ich einen Unfall angenommen. Es klingt nun einmal unglaubwurdig, einen lebendigen Menschen mit dem Kopf ins Feuer zu sto?en; das ganze Haus ware doch bei seinem Geschrei zusammengelaufen.«

»Ah«, sagte Poirot mit leiser Stimme ,»was bin ich doch fur ein Narr. Ein dreifacher Idiot. Sie sind doch bedeutend kluger als ich, Japp!«

Der Inspektor war sichtlich erstaunt uber dieses Kompliment, denn er kannte Poirot nicht von dieser Seite. Er wurde rot und murmelte verlegen, da? noch eine Menge Unklarheiten bestunden.

Er fuhrte uns sodann durch das Haus zu dem Raum, in dem sich die Tragodie abgespielt hatte - Mr. Paynters Arbeitszimmer. Es war ein breiter, niedriger Raum mit Bucherregalen an den Wanden und gro?en ledernen Armsesseln. Poirot interessierte sich sogleich fur das Fenster, welches Aussicht auf eine mit Kies bestreute Terrasse bot. »War das Fenster unverschlossen?« fragte er. »Das ist naturlich von wesentlicher Bedeutung. Als der Arzt den Raum verlie?, zog er nur die Tur hinter sich zu. Am nachsten Morgen wurde sie jedoch verschlossen vorgefunden. Wer hat sie abgeschlossen, vielleicht Mr. Paynter selbst? Ah Ling erklart, da? das Fenster geschlossen und verriegelt war. Dr. Quentin andererseits meint, da? es geschlossen, jedoch nicht verriegelt war, aber er kann es keinesfalls beschworen. Wenn er hierzu in der Lage ware, wurden wir um ein gutes Stuck weiterkommen. Wenn der Mann tatsachlich getotet wurde, hat jemand den Raum entweder durch die Tur oder das Fenster betreten - falls durch die Tur, durfte es sich um Tater handeln, die zum Haus gehoren, falls durch das Fenster, konnte es auch ein Fremder gewesen sein. Als die Tur aufgebrochen war, offnete das Madchen

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