Jasmin«, und ich neige dazu, deinen Standpunkt, da? sie nichts mit dem Verbrechen zu tun haben, zu teilen. In einem Fall wie diesem mu?t du dir uberlegen, wer gelogen hat; ich habe dies bereits getan. Und doch -« Er entfernte sich ganz unvermutet von meiner Seite und betrat einen Buchladen. Einige Minuten spater sturzte er wieder heraus, ein Paket unter dem Arm tragend. Dann stie? auch Japp zu uns, und gemeinsam suchten wir in einem Gasthaus Unterkunft.
Am nachsten Morgen schlief ich lange. Als ich in das fur uns reservierte Wohnzimmer trat, fand ich Poirot bereits dort vor, auf und ab gehend, mit verbissenem Gesicht. »Bitte keine Fragen«, rief er und winkte mit der Hand ab. »Nicht, bevor ich wei?, da? alles in Ordnung - und die Verhaftung erfolgt ist. Doch mit meiner Psychologie ist auch nicht viel los. Hastings, wenn ein Mann eine Nachricht vor seinem Tode schreibt, so geschieht es, weil sie ihm wichtig erscheint. Ein jeder denkt: gelber Jasmin? Der gelbe Jasmin wachst an der Hausmauer empor - doch das ist ja bedeutungslos. Nun, was bedeutet es in Wirklichkeit? Hor zu.« Er offnete ein Buch, welches er in Handen hielt. »Mir kam der Gedanke, mein Freund, einmal nahere Einzelheiten uber den Jasmin einzuholen. Was, genau gesagt, ist gelber Jasmin? Dieses kleine Buch hat mir den notwendigen Aufschlu? gegeben:
»Aber wie kamst du darauf?«
»Mein Freund, wenn du einen Mann erschie?en oder erstechen wurdest, nachdem er bereits tot ist, oder aber ihm eine Kopfwunde beibrachtest, wurde es sich auf jeden Fall herausstellen, da? ihm die Verletzung nach Eintritt des Todes beigebracht wurde. Jedoch bei einem Kopf, der zu Asche verkohlt ist, wurde es niemand einfallen, nach der vermeintlichen Todesursache zu forschen. Andererseits ein Mann, der offensichtlich bereits einer Vergiftung durch das Abendessen entgangen ist, kann nicht gut spater demselben Anschlag zum Opfer fallen. Nun, wer hat da gelogen, das bleibt hier die Frage. Ich neige dazu, Ah Ling Glauben zu schenken.«
»Nicht moglich«, warf ich ein.
»Du bist uberrascht, Hastings? Ah Ling war uber die Existenz der Gro?en Vier unterrichtet, das war offenkundig - ebenso klar ist, da? er von ihrer Verbindung mit diesem Verbrechen absolut gar nichts ahnte bis zu jenem Uberraschungsmoment. Wenn er der Morder gewesen ware, ware er wohl in der Lage gewesen, angesichts meiner Malerei auf der Tischplatte seinen unbeweglichen Gesichtsausdruck beizubehalten. So komme ich zu dem Schlu?, Ah Ling Glauben zu schenken, und richtete meinen Verdacht auf Gerald Paynter. Es schien mir, Nummer vier konnte muhelos einen Ersatz fur den verschollenen Neffen finden.«
»Meinst du etwa, er selbst sei Nummer vier?« fragte ich erschrocken.
»Nein, Hastings, naturlich nicht. Gleich nachdem ich die Beschreibung uber den gelben Jasmin gelesen hatte, erkannte ich die Wahrheit. Sie war tatsachlich augenfallig.«
»Wie immer«, bemerkte ich kuhl, »fur mich jedoch keinesfalls.«
»Weil du eben nicht deine kleinen grauen Gehirnzellen arbeiten la?t. Wer hatte Gelegenheit, an den Curry heranzukommen?«
»Nur Ah Ling und kein anderer.«
»Kein anderer? Und der Arzt?«
»Aber das war doch zu einem spateren Zeitpunkt.«
»Naturlich war das spater. Es befand sich keine Spur von Opiumpulver in dem Curry, als er Mr. Paynter serviert wurde, jedoch auf den Verdacht hin, den Dr. Quentin gesat hat, i?t Mr. Paynter nichts davon und erklart sich bereit, ihm den Curry zur Untersuchung zu uberlassen, was ganz in Dr. Quentins Plane pa?t.
Er nimmt den Curry entgegen und gibt Mr. Paynter eine Strychnininjektion - wie er sagt - doch in Wirklichkeit eine solche von gelbem Jasmin - und zwar eine todliche Dosis. Als das Gift zu wirken anfangt, entfernt er sich, nachdem er das Fenster entriegelt hat. Sodann, in der Nacht, steigt er durch das Fenster herein, findet das Manuskript und sto?t Mr. Paynter mit dem Kopf in das Feuer. Er beachtet aber nicht die Zeitung, die zu Boden gefallen war und durch den Korper des Toten verdeckt wurde. Paynter hatte das Gift erkannt, welches ihm injiziert wurde, und bemuhte sich, die Gro?en Vier als seine Morder zu entlarven. Es ist fur Dr. Quentin sehr einfach gewesen, Opiumpulver in den Curry zu mischen, bevor er ihn zwecks Analyse weitergab. Er gibt Auskunft uber seine Wahrnehmungen beim Besuche des alten Herrn und erwahnt beilaufig die Strichnininjektion fur den Fall, da? der Einstich in den Arm bemerkt wird. Es besteht einmal der Verdacht eines Unfalls, und andererseits ein solcher, da? Ah Ling den Curry vergiftet hat.«
»Aber Dr. Quentin kann doch unmoglich Nummer vier sein?«
»Ich nehme sogar mit Bestimmtheit an, da? er es ist. Es gibt zweifellos einen richtigen Dr. Quentin, der sich wahrscheinlich irgendwo in Ubersee aufhalt. Nummer vier hat sich einfach vorubergehend fur ihn ausgegeben. Dr. Bolithos Abmachungen wurden brieflich getroffen, und der Stellvertreter, der ursprunglich vorgesehen war, war im letzten Augenblick verhindert.«
In dem Moment sturzte Japp mit hochrotem Kopf herein. »Haben Sie ihn erwischt?« rief Poirot besorgt. Japp schuttelte den Kopf, ganz au?er Atem. »Bolitho kam heute morgen vom Urlaub zuruck - durch ein Telegramm zuruckgerufen. Niemand wei?, wer es ihm sandte. Der andere ist gestern abend verschwunden. Aber wir bekommen ihn noch, trotz allem.« Poirot schuttelte traurig den Kopf.
»Ich glaube nicht daran«, sagte er geistesabwesend und zeichnete mit der Gabel eine gro?e Vier auf den Tisch.
11
Poirot und ich speisten ofters zusammen in einem kleinen Restaurant in Soho. Als wir uns an einem Abend wieder einmal dort einfanden, erblickten wir einen Bekannten an einem Nebentisch. Es war Inspektor Japp, und da an dem unseren noch Platz war, baten wir ihn zu uns heruber. Es war bereits einige Zeit vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. »Sie lassen sich uberhaupt nicht mehr bei uns blicken«, begann Poirot vorwurfsvoll. »Seit dem Fall mit dem gelben Jasmin sind wir nicht mehr zusammengekommen, und das ist beinahe einen Monat her.«
»Ich bin hoch oben im Norden gewesen, das ist der Grund. Wie steht die Sache bei Ihnen? Haben Sie die Gro?en Vier noch immer nicht zur Strecke gebracht?«
Poirot drohte vorwurfsvoll mit dem Finger. »Sie machen sich wohl uber mich lustig, aber die Gro?en Vier - sie existieren wirklich.«
»Oh, das bezweifle ich nicht im geringsten, aber sie stehen nicht im Blickpunkt der Welt, so wie Sie es darstellen.«
»Mein Freund, Sie befinden sich in einem gro?en Irrtum. Die gro?te Macht, das gro?te Ubel, welches heute auf der Welt existiert, das sind die Gro?en Vier. Was sie beabsichtigen, wei? niemand, aber noch nie hat es eine derartige Verbrecherorganisation gegeben. Ihr intelligentester Kopf hat in China die Leitung, ferner gibt es noch einen amerikanischen Millionar, eine Franzosin, ubrigens eine wissenschaftliche Kapazitat, und - was den vierten betrifft -« Japp unterbrach ihn.
»Ich wei?, ich bin vollig im Bilde. Das ist nun einmal Ihr Steckenpferd. Nach und nach wird ihnen diese Angelegenheit zur Manie, Monsieur Poirot. Aber lassen Sie uns das Gesprachsthema wechseln. Interessieren Sie sich fur Schach?«
»Ja, ich habe zuweilen Schach gespielt.«
»Haben Sie denn gestern das merkwurdige Spiel mit angesehen? Ein Meisterschaftsspiel zwischen zwei weltbekannten Gro?en, einer davon ist wahrend des Spiels gestorben.«
»Ich habe etwas daruber gelesen, Dr. Savaronoff, der russische Meister, war einer der Spieler, und der andere, der einem Herzschlag erlegen ist, war ein flotter junger Amerikaner namens Gilmour Wilson.«
»Ganz recht. Savaronoff schlug vor einigen Jahren Rubinstein und wurde Weltmeister. Von Wilson behauptet man, er sei ein zweiter Capablanca.«
»Ein sehr merkwurdiger Fall«, bemerkte Poirot gedankenvoll. »Wenn ich nicht irre, haben Sie also Interesse