zuerst das Fenster; jedoch ist sie ein ganz unzuverlassiger Zeuge - will sich beim Verhor an nichts erinnern konnen!«

»Wie verhalt es sich mit dem Schlussel?« wollte Poirot wissen. »Das ist auch wieder so eine Sache; er befand sich unter den Trummern der zerbrochenen Tur. Er konnte aus dem Schlusselloch gefallen sein, ebensogut durch einen der Eintretenden fallen gelassen oder von drau?en unter der Tur hereingeschoben worden sein.«

»So sind also tatsachlich alle Moglichkeiten vorhanden?«

»Sie haben es erraten, Monsieur Poirot, gerade so ist es.« Poirot schaute sich mit finsteren Blicken um. »Ich bin noch vollig im unklaren«, murmelte er, »eben noch glaubte ich einen Lichtschimmer zu sehen, doch schon ist alles wieder in Dunkel gehullt. Ich habe uberhaupt keine Anhaltspunkte - und gar kein Motiv.«

»Der junge Paynter hat ein gutes Motiv«, bemerkte Japp ernst. »Ich kann Ihnen verraten, da? er ein ziemlich leichtfertiges Leben gefuhrt hat, dazu war er sehr extravagant. Im ubrigen wissen Sie selbst, da? man bei Kunstlern nach Moral geradezu suchen mu?.«

Poirot schenkte Japps Betrachtungen uber die Eigenart von Kunstlern wenig Beachtung, statt dessen lachelte er vielsagend.

»Mein guter Japp, ist es moglich, da? Sie mir Sand in die Augen streuen wollen? Ich wei? nur zu gut, da? es der Chinese ist, den Sie verdachtigen. Aber Sie beschreiten seltsame Wege. Sie wunschen, da? ich Ihnen helfen soll, und gleichzeitig versuchen Sie die Fahrte zu verwischen.« Japp brach in schallendes Gelachter aus.

»Das sind wieder einmal unverkennbar Sie selbst, Monsieur Poirot. Jawohl, ich tippe auf den Chinesen, ich gebe es zu. Es besteht kein Zweifel daruber, da? er es war, der den Curry anrichtete, und wenn er an jenem Abend versuchte, seinen Herrn zu beseitigen, so durfte er es zum zweiten Male ebenfalls getan haben.«

»Ich mochte gern ergrunden, ob er das beabsichtigte«, sagte Poirot leise.

»Aber es ist das Motiv, das noch fehlt. Konnte man heidnische Rachgier oder dergleichen annehmen?«

»Und dann noch etwas«, fuhr Poirot fort. »Bestehen irgendwelche Anzeichen von Raub? Ist nichts abhanden gekommen, wie Juwelen, Geld oder Wertpapiere?«

»Nein, das nicht gerade, aber -« Ich spitzte die Ohren.

»Es ist zwar kein Raub festgestellt worden«, erklarte Japp, »nur war Mr. Paynter gerade im Begriff, ein Buch zu schreiben. Wir erhielten heute morgen durch den Brief eines Verlegers davon Kenntnis, der darin ein Manuskript erwahnte. Es hat den Anschein, als wenn das Werk gerade fertiggestellt war. Der junge Paynter und ich haben gemeinsam den Raum von oben bis unten durchsucht, aber keine Spur davon entdeckt - er mu? es irgendwo anders versteckt haben.« Poirots Augen bekamen den grunen Schimmer, den ich so gut kannte.

»Wie war der Titel des Werkes?« fragte er. »'Die geheime Hand in China', soweit ich mich erinnern kann.«

»Aha«, rief Poirot, tief Luft holend. Dann sagte er schnell: »Rufen Sie mir bitte den Chinesen Ah Ling!« Der Chinese wurde gerufen und erschien mit der den Chinesen eigenen Gangart niedergeschlagenen Blickes und mit baumelndem Zopf. Sein unbewegliches Gesicht verriet keine Spur innerer Erregung.

»Ah Ling«, sagte Poirot, »bist du traurig, da? dein Herr tot ist?«

»Ich sehr traurig, er guter master.«

»Wei?t du, wer ihn getotet hat?«

»Ich nicht wissen, ich erzahlen policeman, wenn ich wissen.« Fragen und Antworten gingen hin und her. Mit demselben unbewegten Gesichtsausdruck schilderte Ah Ling, wie er den Curry zubereitet hatte. Der Koch hatte nichts damit zu schaffen gehabt, erklarte er, keine anderen Hande als die seinen hatten die Speise beruhrt. Ich wunderte mich, da? er nicht sah, wohin seine Erklarungen fuhrten. Er blieb auch dabei, das Fenster zur Terrasse an jenem Abend verriegelt zu haben. Wenn es am Morgen geoffnet gewesen war, so mu?te sein Herr es selbst geoffnet haben. Schlie?lich wurde er von Poirot entlassen.

»Das war es, was wir von dir wissen wollten, Ah Ling!« Gerade als der Chinese an der Tur war, rief Poirot ihn nochmals zuruck.

»Und du wei?t gar nichts, wie du sagtest, von dem gelben Jasmin?«

»Nein, ich nichts wissen.«

»Auch nicht von dem Zeichen, das sich unter den Worten auf der Zeitung befand?«

Poirot beugte sich vor, als er zu ihm sprach, und zeichnete schnell etwas in den Staub, mit dem der kleine Tisch bedeckt war. Ich war nahe genug, um zu erkennen, bevor er es wieder fortwischte. Es war ein Abstrich, ein Querstrich und dann ein weiterer Abstrich, der die Zahl 4 vervollstandigte. Der Chinese zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Einen Augenblick blieben seine Zuge von Schrecken verzerrt, dann setzte er die Maske wieder auf und beteuerte, ehe er sich zuruckzog, nochmals seine Unwissenheit.

Japp entfernte sich, um den jungen Paynter zu suchen, wahrend Poirot und ich allein zuruckblieben.

»Die Gro?en Vier, Hastings«, rief Poirot aus. »Wieder einmal die Gro?en Vier. Paynter war ein weitgereister Mann. In seinem Werk befanden sich zweifellos wichtige Informationen uber die Tatigkeit von Nummer eins, Li Chang Yen, des Hauptlings der Gro?en Vier.«

»Man sollte es kaum fur moglich halten«, erwiderte ich. »Still, da kommt jemand.«

Gerald Paynter war ein liebenswurdiger, jedoch ziemlich charakterlos aussehender junger Mann. Er trug einen braunen Bart und eine gro?e Kunstlerschleife. Poirots Fragen beantwortete er mit der gro?ten Bereitwilligkeit. »Ich a? auswarts mit Nachbarn von uns, den Wycherlys«, erklarte er. »Wann bin ich doch heimgekommen? O ja, es mag gegen elf Uhr gewesen sein. Ich habe einen eigenen Hausschlussel. Alle Bediensteten hatten sich bereits zur Ruhe begeben, und ich nahm an, da? mein Onkel das gleiche getan hatte. Ich bin der festen Meinung, jenen schleichenden Chinesen Ah Ling um die Ecke der Empfangshalle schlupfen gesehen zu haben, jedoch kann ich mich auch getauscht haben.«

»Wann haben Sie Ihren Onkel zuletzt gesehen, Mr. Paynter? Ich meine, bevor Sie hierherkamen, um bei ihm zu wohnen?«

»Oh, ich war damals ein Kind von nicht mehr als zehn Jahren. Er und sein Bruder, mein Vater, hatten Streit miteinander, mussen Sie wissen.«

»Aber er konnte Sie wohl ohne allzu gro?e Muhe ausfindig machen, nicht wahr? Trotz all der Jahre, die inzwischen vergangen waren?«

»Ja, es war dabei etwas Gluck mit im Spiel, da? ich zufallig die Veroffentlichung seines Notars in der Zeitung erblickte.«

Poirot hatte nichts mehr zu fragen.

Unser nachster Gang fuhrte uns zu Dr. Quentin. Seine Ausfuhrungen waren im wesentlichen die gleichen, die er bei der Leichenschau bereits gemacht hatte, und er hatte diesen wenig hinzuzufugen. Er empfing uns in seinem Ordinationszimmer und hatte gerade seine Sprechstunde beendet. Zweifellos machte er den Eindruck eines intelligenten Mannes. Seine gewisse altmodische Art wurde durch den Zwicker betont, jedoch hatte ich den Eindruck, da? er in seinen Behandlungsmethoden durchaus fortschrittlich war.

»Ich wunschte, ich konnte mich bezuglich des Fensters genau erinnern«, sagte er frei heraus. »Aber es ist nicht ungefahrlich, rekonstruieren zu wollen, man ist leicht versucht, etwas als feststehend zu behaupten, was spater nicht zutrifft. Das nennt man Psychologie, oder etwa nicht, Monsieur Poirot? Sehen Sie, ich habe sehr viel uber Ihre Methoden gelesen, und ich darf sagen, da? ich Sie au?erordentlich bewundere. Uberdies nehme ich mit gro?er Bestimmtheit an, da? der Chinese das Opium in den Curry getan hat, obwohl er es nie zugeben wird, und wir werden nie ergrunden, warum er es tat. Aber einen Mann Kopf voran in den Gaskamin zu sto?en - das pa?t ganz und gar nicht zu dem Charakter unseres chinesischen Freundes, so erscheint es mir wenigstens.«

Ich unterhielt mich uber diesen letzten Punkt mit Poirot, als wir uns wieder auf der Hauptstra?e von Market Handford befanden. »Glaubst du, da? er einen Helfershelfer in das Haus gelassen hat?« fragte ich. »Ubrigens, ich nehme an, da? Japp ihn uberwachen la?t.« (Der Inspektor hatte inzwischen die Polizeistation aufgesucht, um einige Anordnungen zu treffen.) »Die ausfuhrenden Organe der Gro?en Vier sind auf jeden Fall sehr aktiv.«

»Japp halt sogar beide unter Bewachung«, sagte Poirot grimmig.»Seit der Tote entdeckt wurde, hat man sie nicht aus den Augen gelassen.«

»Nun, auf jeden Fall wissen wir, da? Gerald Paynter mit der ganzen Angelegenheit nichts zu schaffen hat.«

»Du wei?t aber auch immer mehr als ich, Hastings; das wirkt allmahlich etwas ermudend.«

»Du alter Fuchs«, lachte ich, »du willst dich nur nicht festlegen.«

»Um ehrlich zu sein, Hastings, der Fall scheint mir vollkommen klar - mit Ausnahme der Worte »gelber

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