einer gewissen fernostlichen Atmosphare schleichender Verschlagenheit und unheilvoller Undurchsichtigkeit.
Mein Begleiter rollte zwei Behalter beiseite, und ich sah einen niedrigen, tunnelartigen Durchgang in der Mauer. Dann notigte er mich, voranzugehen. Der Tunnel hatte eine betrachtliche Lange und war zu niedrig, als da? ich darin aufrecht hatte gehen konnen. Schlie?lich aber verbreiterte er sich zu einem normalen Durchgang, und etwas spater befanden wir uns in einem anderen Keller.
Der Chinese ging voraus, klopfte viermal an eine Mauer, worauf ein Teil der Wand sich lautlos zuruckbewegte und einen schmalen Durchla? freigab. Ich ging hindurch und befand mich zu meiner au?ersten Verwunderung in einem marchenhaften orientalischen Gemach. Es war ein niedriger, langgestreckter Raum, mit orientalischen Seidenstoffen reich behangen, hell beleuchtet und erfullt mit aromatischen Wohlgeruchen. Mit Seide bedeckte Diwans und ausgesuchte kostbare Teppiche bildeten das Mobiliar. Vom Ende des Raumes ertonte eine tiefe Stimme hinter einem Seidenvorhang. »Hast du unseren verehrten Gast mitgebracht?«
»Er befindet sich hier, Exzellenz«, erwiderte mein Begleiter. »La? unseren Gast eintreten«, war die Antwort. Im selben Moment wurden die Vorhange wie von unsichtbarer Hand beiseite gezogen, und ich stand einem mit Kissen bedeckten uberdimensionalen Diwan gegenuber, auf welchem ein hagerer Orientale ruhte. Er trug ein prunkvolles chinesisches Gewand und schien, der Lange seiner Fingernagel nach zu urteilen, ein bedeutender Mann zu sein.
»Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen, Hauptmann Hastings«, sagte er mit einer einladenden Handbewegung. »Sie entschlossen sich, meiner Aufforderung Folge zu leisten, deshalb freue ich mich, Sie zu sehen.«
»Wer sind Sie?«fragte ich. »Li Chang Yen?«
»Aber keinesfalls, ich bin nur der niederste von des Meisters Bediensteten. Ich fuhre nur seine Befehle aus, das ist alles - wie es auch die ubrigen Bediensteten in anderen Landern tun - zum Beispiel in Sudamerika.« Ich ging einen Schritt vorwarts.
»Wo ist meine Frau, was haben Sie dort mit ihr getan?«
»Sie befindet sich an einem sicheren Ort, wo sie kaum jemand finden wird. Bis jetzt ist ihr noch kein Leid geschehen. Wohlgemerkt, bis jetzt!«
Kalte Schauer rannen mir uber den Rucken, als ich in die grinsende Fratze dieses Teufels sah.
»Was wunschen Sie von mir?« schrie ich. »Geld?«
»Mein lieber Hauptmann Hastings, wir planen keinen Anschlag auf Ihre bescheidenen Ersparnisse, das versichere ich Ihnen. Verzeihen Sie mir, aber ich mu? feststellen, da? Sie in der Beurteilung Ihrer Lage nicht viel Intelligenz zeigen. Ihr Herr Kollege hatte bestimmt keine solche Frage gestellt, dessen bin ich sicher.«
»Dann mu? ich annehmen«, sagte ich gedehnt, »da? Sie mich zu einem Ihrer Werkzeuge machen wollen.
Der lachelnde Orientale strich sich bedachtig die Wangen, mich von der Seite mit seinen Schlitzaugen ansehend. »Sie haben es etwas zu eilig«, erwiderte er katzenfreundlich. »Damit ist die Angelegenheit noch keinesfalls erledigt. Es ist tatsachlich nicht allein unser Bestreben, Sie in unseren Handen zu haben, wie Sie sich auszudrucken belieben, sondern wir hoffen vielmehr, durch Sie auch unseren gemeinsamen Freund Hercule Poirot in unsere Gewalt zu bekommen.«
»Da haben Sie sich aber grundlich verrechnet«, erwiderte ich mit einem spottischen Lacheln.
»Was ich im Sinne habe, ist folgendes«, fuhr der Chinese fort, ohne meinen Worten irgendwelche Beachtung zu schenken. »Sie werden Mr. Hercule Poirot einen Brief schreiben, in welchem Sie ihn veranlassen, hierherzueilen, um an unserer anregenden Unterhaltung teilzunehmen.«
»Schlagen Sie sich so etwas gleich aus dem Kopf«, stie? ich argerlich hervor.
»Die Folgen Ihrer Weigerung werden aber sehr unerfreulich fur Sie sein.«
»Gehen Sie zum Teufel mit Ihren Drohungen!«
»Die Alternative kann den Tod zur Folge haben!« Ein kalter Schauer rann mir uber den Rucken, jedoch bemuhte ich mich, kaltblutig zu erscheinen.
»Es ist zwecklos, mir drohen und mich einschuchtern zu wollen. Das konnen Sie mit Ihren chinesischen Schuften machen.«
»Meine Drohungen sind aber sehr realen Charakters, Hauptmann Hastings. Ich frage Sie nochmals: Wollen Sie diesen Brief schreiben?«
»Ich weigere mich, und daruber hinaus warne ich Sie; wagen Sie nicht, mich zu toten, denn binnen kurzem hatten Sie die Polizei auf Ihren Fersen.«
Mein Gegenuber klatschte nur kurz in die Hande. Wie aus dem Erdboden gestampft, erschienen zwei chinesische Bedienstete und umklammerten meine beiden Arme. Ihr Herr sprach einige rasche Worte in chinesischer Sprache zu ihnen, und sie zogen mich quer uber den Fu?boden zu einer Stelle in der gegenuberliegenden Ecke des Raumes. Einer von ihnen buckte sich, und ganz unvermutet gab der Boden unter meinen Fu?en nach. Ohne die mich zuruckhaltende Hand des anderen Chinesen ware ich unweigerlich in die gahnende Tiefe gesturzt. Ich sah in die Dunkelheit unter mir und konnte das Rauschen von Wasser deutlich vernehmen.
»Der Flu?«, bemerkte mein Peiniger von seinem Platz auf dem Diwan. »Uberlegen Sie es sich gut, Hauptmann Hastings. Wenn Sie sich nochmals weigern, gehen Sie kopfuber in die Ewigkeit und verschwinden in den dunklen Wassern dort unten. Zum letzten Male: Sind Sie gewillt, jenen Brief zu schreiben?« Ich bin nicht mutiger als andere Menschen in einer solchen Situation und gebe offen zu, da? ich zu Tode erschrocken war und in furchtbarer Angst schwebte. Jener chinesische Teufel meinte es bitter ernst, das war mir nur allzu klar. Eine Weigerung bedeutete fur mich nichts anderes als ein Lebewohl an diese schone Welt. Verstandlicherweise zitterte meine Stimme, als ich erwiderte: »Zum letzten Male, nein! Gehen Sie zur Holle mit Ihrem Schreiben.«
Dann schlo? ich ergeben die Augen und murmelte ein kurzes Sto?gebet.
13
Nicht oft im Leben steht ein Mensch an der Schwelle der Ewigkeit; als ich jedoch jene Worte in dem Keller des Eastends sprach, fuhlte ich nur zu deutlich, da? es meine letzten Worte auf Erden sein wurden. Bei dem Gedanken an jenes dunkle, rauschende Wasser dort unten schnurte sich alles in mir zusammen, und ich vergegenwartigte mir im voraus den Schrecken des atemberaubenden Falles.
In diesem Moment tonte zu meinem nicht geringen Erstaunen ein leises Lachen in meine Ohren, und ich offnete die Augen. Einem Wink des Mannes auf dem Diwan gehorchend, brachten mich meine beiden Henker zuruck vor ihren Herrn. »Sie sind ein tapferer Mann, Hauptmann Hastings«, bemerkte er, »wir aus dem Osten wissen solche Tapferkeit zu schatzen. Ich mochte sogar sagen, ich erwartete nichts anderes von Ihnen. Das bringt uns nun zu dem zweiten Akt unseres kleinen Dramas. Ihrem eigenen Tode haben Sie bereits ins Auge gesehen, wollen Sie ihm auch ins Auge sehen, wenn er fur jemand anders bestimmt ist?«
»Wie meinen Sie das?« fragte ich heiser, wobei mich eine schreckliche Angst uberkam.
»Sie haben sicherlich die Dame nicht vergessen, die sich in unserer Gewalt befindet.« Ich starrte ihn in dumpfer Verzweiflung an. »Ich denke, Sie werden jenen Brief doch schreiben, Hauptmann Hastings. Sehen Sie, ich habe bereits ein Telegrammformular vor mir. Die Worte, die es enthalten wird, hangen ganz von Ihnen ab, und sie bedeuten entweder Tod oder Leben fur Ihre Frau.« Auf meiner Stirn brach der Angstschwei? aus, wahrend mein Peiniger liebenswurdig lachelnd mit eisiger Kalte fortfuhr. »Hier, die Feder liegt bereit, Sie haben nur zu schreiben. Falls Sie dies nicht tun...«
»Was dann?« rief ich aus.
»Dann wird die Dame, die Ihnen am Herzen liegt, sterben, und zwar eines sehr langsamen Todes. Mein Meister, Li Chang Yen, vergnugt sich in seinen Mu?estunden damit, neue und sinnreiche Methoden von Torturen zu ergrunden... «
»Mein Gott«, schrie ich, »Sie Unmensch, alles, nur dies durfen Sie nicht tun!«
»Soll ich Ihnen einige dieser neckischen Kleinigkeiten einmal beschreiben?«
Ohne meine Protestrufe zu beachten, fuhr er fort -gleichma?ig und gelassen - bis ich mir mit einem Schreckensruf beide Ohren zuhielt.
»Ich sehe, das genugt Ihnen bereits. So nehmen Sie die Feder und schreiben Sie.«
»Wagen Sie es nur...«
