»Ihre Einwande sind vollkommen nutzlos, und Sie wissen es selbst am besten. Nehmen Sie deshalb die Feder und schreiben Sie!«

»Und wenn ich es tue?«

»Dann ist Ihre Gattin frei, und das Telegramm wird sofort abgesandt.«

»Und wie kann ich sicher sein, da? Sie kein falsches Spiel mit mir treiben?«

»Ich schwore es bei den geheiligten Grabern meiner Vorfahren. Abgesehen davon, urteilen Sie selbst: warum sollte ich Ihrer Frau Boses zufugen? Ihre Gefangennahme hat ihren Zweck vollig erfullt.«

»Und - und Poirot?«

»Wir werden ihn in sicherem Gewahrsam behalten, bis wir unsere geplanten Operationen durchgefuhrt haben. Dann werden wir ihn wieder freilassen.«

»Werden Sie das ebenfalls bei den Grabern Ihrer Vorfahren beschworen?«

»Ich habe Ihnen bereits einen Schwur geleistet - und das wird genugen.«

Ich befand mich in einer verzweifelten Lage und war im Begriff, meinen Freund zu hintergehen - fur einen Moment zogerte ich - dann erschien die schreckliche Alternative wie ein Alptraum vor meinen Augen. Cinderella, in den Handen dieser chinesischen Teufel, mu?te sterben nach langsamer Marter. Ein Stohnen entrang sich meinen Lippen, und ich ergriff die Feder. Vielleicht konnte ich, bei sorgfaltiger Wahl des Textes, eine versteckte Warnung durchblicken lassen, so da? Poirot zwischen den Zeilen lesen konnte. Es war meine letzte Hoffnung. Aber dieser Hoffnungsschimmer war nicht von Dauer. Des Chinesen Stimme ertonte sanft und hoflich: »Gestatten Sie mir Ihnen zu diktieren.«

Er hielt inne, griff zu einem Blatt Papier, das in Reichweite lag, und diktierte folgendes :

»Mein lieber Poirot, ich glaube, Nummer vier endlich auf der Spur zu sein. Ein Chinese kam heute nachmittag zu uns und lockte mich mit einer fingierten Nachricht hierher. Glucklicherweise durchschaute ich dies rechtzeitig und entwischte ihm. Dann drehte ich den Spie? um und konnte es so einrichten, ihn auf meine Art zu beschatten, und zwar, wie ich mir schmeichle, auf ganz raffinierte Weise. Ich beauftrage nun einen Stra?enjungen, Dir diese Nachricht zu uberbringen. Gib ihm bitte eine halbe Krone. Ich beobachte indessen hier das Haus und kann meinen Posten nicht verlassen. Bis sechs Uhr abends werde ich auf Dich warten, falls Du bis dahin nicht gekommen bist, will ich allein versuchen, mir Eingang zu verschaffen. Es ist eine gute Gelegenheit, die nicht versaumt werden darf. Zwar besteht die Moglichkeit, da? der Junge Dich nicht antrifft, solltest Du es aber irgendwie moglich machen konnen, so lasse Dich unverzuglich hierherbringen. Und bedecke Deinen unverkennbaren Schnurrbart, falls man Dich vom Hause aus beobachtet und Dich dann erkennt. In Eile

Dein A. H.«

Jedes Wort, das ich schrieb, sturzte mich in immer gro?ere Verzweiflung; die Sache war wahrhaft teuflisch ausgeklugelt. Ich war mir daruber klar, da? unsere Gegner in unsere hausliche Gemeinschaft bis in die kleinste Einzelheit eingeweiht waren. Die Nachricht war in allen ihren Teilen so gehalten, da? sie von mir selbst stammen konnte. Der Umstand, da? ein Chinese am Nachmittag gekommen war, um mich fortzulocken, wurde erhartet durch den Hinweis auf die vier Bande, die ich am Boden verstreut hatte. Da? es sich um eine Falle handelte, die ich bereits durchschaut hatte, wurde Poirot zweifellos zur Gewi?heit werden. Desgleichen war die gewahlte Zeit im voraus geplant. Poirot wurde beim Empfang meiner Nachricht gerade Zeit genug haben, mit dem harmlos aussehenden Boten eiligst davonzusturzen, dessen war ich gewi?. Mein Entschlu?, das Haus allein zu betreten, wurde ihn darin bestarken, keine Zeit zu verlieren. Er zweifelte ohnehin stets an meinen Fahigkeiten und wurde uberzeugt sein, da? ich mich in eine Situation bringen wurde, der ich nicht gewachsen war. Aus diesem Grunde wurde er nichts unversucht lassen, rechtzeitig eingreifen zu konnen.

Ich sah also keinen anderen Ausweg und schrieb, wie mir gehei?en. Mein Peiniger nahm die Mitteilung in Empfang, las sie durch, nickte anerkennend mit dem Kopf und ubergab sie schweigend einem Diener, der damit hinter den seidenen Vorhangen, die den Eingang verdeckten, verschwand. Mit einem Lacheln ergriff mein Gegenuber ein Telegrammformular und schrieb. Er ubergab es mir:

»Der wei?e Vogel ist so schnell wie moglich freizulassen!«

Ein Seufzer der Erleichterung entschlupfte mir. »Sie werden es doch unverzuglich aufgeben«, drangte ich. Er lachelte und schuttelte den Kopf.

»Wenn Hercule Poirot sich in meinen Handen befindet, dann wird es abgesandt, fruher nicht.«

»Aber Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben...«

»Wenn unser Plan fehlschlagt, wurde ich unseren wei?en Vogel noch weiter benotigen und Sie dann nochmals bemuhen mussen.«

Ich erbleichte vor Zorn. »Mein Gott, wenn Sie...« Er winkte mit seiner schmalen, gelben Hand ab. »Seien Sie beruhigt, ich glaube nicht, da? es fehlschlagen kann. In dem Moment aber, in welchem Hercule Poirot sich in meiner Gewalt befindet, will ich mein gegebenes Versprechen halten.«

»Wenn Sie nicht doch noch ein falsches Spiel treiben!«

»Ich habe es nun einmal geschworen bei meinen verehrten Vorfahren. Haben Sie deshalb keine Bedenken, und ruhen Sie sich einstweilen hier etwas aus, meine Diener werden sich wahrend meiner Abwesenheit um Sie kummern.« Ich wurde in dieser unterirdischen luxuriosen Umgebung mir selbst uberlassen. Einer der Diener war wieder erschienen. Man brachte mir Speisen und Getranke und notigte mich, zuzulangen, doch lehnte ich ab. Ich war traurig und niedergeschlagen bis zum tiefsten Grunde meines Herzens. - Nach kurzer Zeit kehrte unvermutet mein Peiniger zuruck, gro? und stattlich in seinen wei?en Gewandern, und gab Anweisungen. Auf seinen Befehl wurde ich durch den Keller und den Tunnel in das Haus zuruckgeleitet, das ich zuerst betreten hatte. Dort fuhrte man mich zu einem ebenerdigen Zimmer. Die Fenster waren mit Sonnenblenden von au?en geschlossen, jedoch konnte man durch die Schlitze auf die Stra?e sehen. Ein alter, zerlumpter Mann humpelte an der gegenuberliegenden Stra?enseite entlang, und als ich sah, da? er ein Zeichen zu unseren Fenstern hin machte, wu?te ich, da? er einer der auf Wache befindlichen Helfershelfer war.

»Alles in bester Ordnung«, sagte der vornehme Chinese.

»Hercule Poirot ist in die Falle gegangen. Er nahert sich bereits dem Hause, und zwar allein, abgesehen von dem Jungen, der ihn hierherfuhrt. Nun, Hauptmann Hastings, haben Sie noch eine weitere' Rolle zu spielen. Wenn Sie sich nicht zeigen, wird er das Haus nicht betreten. Wenn er sich also gegenuber dem Hause befindet, mussen Sie sich unter der Tur zeigen und ihn herein winken.«

»Auch das noch!«rief ich emport.

»Sie spielen Ihre Rolle ganz allein; denken Sie daran, was auf dem Spiele steht, wenn es schiefgeht. Sofern Hercule Poirot Verdacht schopft und das Haus nicht betritt, stirbt Ihre Frau eines langsamen, qualvollen Todes. Ah, da ist er ja.« Mit klopfendem Herzen und einem schrecklichen Gefuhl der Ubelkeit sah ich durch den Schlitz der Holzblenden. In der Person auf der gegenuberliegenden Stra?enseite erkannte ich meinen Freund sofort, obgleich er den Kragen hochgeschlagen hatte und ein gro?er gelber Schal den unteren Teil seines Gesichtes verbarg. Aber es konnte kein Zweifel bestehen, da? er es war, mit seinem unverkennbaren Gang und dem eiformigen Kopf. Es war Poirot, der mir in gutem Glauben zu Hilfe kam und nichts Schlechtes ahnte. An seiner Seite ging ein typischer Londoner Gassenjunge, mit schmutzigem Gesicht und zerlumpter Kleidung. Poirot hielt inne und sah zum Haus heruber, wahrend der Junge eifrig auf ihn einredete und auf das Haus hinwies. Fur mich war die Zeit zum Handeln gekommen, und ich begab mich in den Hausgang. Auf ein Zeichen des gro?en Chinesen entriegelte einer der Diener die Tur. »Denken Sie an die Folgen, wenn es fehlschlagt«, sagte mein Peiniger mit leiser Stimme.

Alsbald befand ich mich auf den Stufen vor dem Haus und winkte zu Poirot hinuber. Er kam eilends auf mich zu. »Aha, so ist also alles in Ordnung bei dir, mein Freund, ich begann mich schon um dich zu sorgen. Offensichtlich hast du dir schon Zutritt verschafft; ist das Haus denn leer?«

»Ja«, sagte ich mit einer Stimme, die so naturlich wie moglich klingen sollte. »Es mu? irgendwo ein geheimer Ausgang vorhanden sein; komm herein und la? uns danach suchen.« Ich trat auf die Schwelle, wahrend Poirot sich in volliger Unbefangenheit anschickte, mir zu folgen.

Und dann begann etwas in meinem Kopf blitzartig umzuschalten. Ich sah nur zu deutlich, welch falsches Spiel ich trieb, die Rolle eines Judas.

»Zuruck, Poirot!« schrie ich. »Zuruck, wenn dir dein Leben lieb ist, du bist in einer Falle, kummere dich nicht um mich, nur schnell fort!«

Wahrend ich noch sprach, vielmehr meine Warnung hinausschrie, griffen bereits Hande wie Schraubstocke nach mir. Einer der chinesischen Diener sprang an mir vorbei, um sich auf Poirot zu sturzen.

Ich sah ihn noch zuruckspringen, seinen Arm erheben - dann eine dichte Rauchwolke, die mich fast erstickte, nahezu totete. Ich fuhlte, da? ich umsank und nicht mehr atmen konnte - so also sah das Ende

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