aus...
Langsam und unter starken Schmerzen kam ich wieder zu mir, alle meine Sinne waren umnebelt. Das erste, was ich erblickte, war Poirots Gesicht. Er sa? mir gegenuber und beobachtete mich mit angstlicher Miene. Als er sah, da? ich die Augen aufschlug, stie? er einen Freudenschrei aus.
»Ah, du kommst wieder zu dir. Nun wird alles gut. Mein Freund, mein armer Freund!«
»Wo befinde ich mich?« fragte ich gequalt. »Wo? Naturlich bei uns daheim.«
Ich sah mich um: tatsachlich befand ich mich in der altvertrauten Umgebung. Hinter dem Kamingitter befanden sich noch die vier Kohlenstucke, die ich dort sorgfaltig placiert hatte. Poirot war meinen Blicken gefolgt.
»Das war einmal eine feine Idee von dir, dies, und dann noch der Hinweis mit den Buchern. Wenn einmal jemand zu mir kommen und behaupten sollte, mein Freund Hastings ware nicht mit allzu gro?em Verstand gesegnet, so werde ich ihm antworten: >Da haben Sie gar keine Ahnung!< Es war ein ausgezeichneter und treffender Einfall, den du gehabt hast.«
»Also hast du sofort den Sinn begriffen?«
»Bin ich denn ein Trottel? Naturlich begriff ich sofort, im Nu erfa?te ich die Warnung und hatte noch Zeit, einige Vorkehrungen zu treffen. Auf irgendeine Weise hatten die Gro?en Vier es fertiggebracht, dich aus der Wohnung zu locken. Zu welchem Zweck? Sicherlich nicht deiner schonen Augen wegen, gleichfalls nicht, weil sie dich furchteten und dich aus dem Wege schaffen wollten. Nein - ihr Zweck war mir sogleich vollig klar. Du warst als Koder gedacht, um den gro?en Hercule Poirot in die Falle zu locken. Ich hatte schon lange etwas Ahnliches erwartet. So traf ich denn meine kleinen Vorbereitungen, und programma?ig traf ein Bote ein, ein ganz harmlos aussehender Stra?enjunge. Ich war meiner Sache ziemlich sicher und machte mich sogleich mit ihm auf den Weg. Glucklicherweise erlaubten sie dir, auf den Treppenabsatz herauszukommen. Meine einzige Besorgnis bestand darin, da? ich unterwegs von ihnen uberwaltigt werden konnte, bevor ich den Ort erreichte, wo sie dich verborgen hielten, oder da? ich nach dir hatte suchen mussen und - dies vielleicht sogar vergeblich.«
»Von ihnen uberwaltigt zu werden, sagtest du?« fragte ich leise. »Und dazu vielleicht ganz allein auf dich gestellt.«
»Oh, das ist gar nicht so etwas Besonderes; wenn man auf ein Ereignis vorbereitet ist, ist alles ganz einfach - so sagen wenigstens die Pfadfinder, ist es nicht so? Ihr Motto: >Allzeit bereit<, ist sehr treffend. Auf jeden Fall war ich vorbereitet. Vor einiger Zeit habe ich einem Chemiker, der wahrend des Krieges mit Giftgas zu tun hatte, einen kleinen Gefallen getan. Dafur stellte er fur mich eine kleine Bombe her - klein und unauffallig zum Mitnehmen. Man braucht sie nur zu werfen, und augenblicklich entwickeln sich starke Gase, die zu Bewu?tlosigkeit fuhren. Ich warf sie beim Betreten des Hauses, und gleich darauf erschienen einige von Japps zuverlassigen Leuten, die die Liegenschaft bereits unter Beobachtung hielten, bevor ich mit dem Jungen dort eintraf, dazu noch einige, die uns auf dem Weg gefolgt waren und sogleich das Notwendige veranla?ten.«
»Aber wie kam es, da? du nicht gleichfalls bewu?tlos wurdest?«
»Ein weiterer glucklicher Umstand. Unser gemeinsamer Freund, Nummer vier, der auch sicherlich jenen Brief an mich zusammengestellt hat, erlaubte sich einen kleinen Scherz bezuglich meines Schnurrbarts, der es mir ermoglichte, unter dem Schal eine kleine Gasmaske zu verbergen.«
»Ja, ich erinnere mich«, rief ich eifrig, und dann kam mir bei der Erwahnung dieses Wortes mit einem Schlag all die gro?e Sorge zum Bewu?tsein, die durch die Ereignisse ganz in den Hintergrund geruckt war. Cinderella... Mit einem Stohnen fiel ich zuruck. Wiederum mu?te ich fur einige Minuten das Bewu?tsein verloren haben und kam erst wieder zu mir, als Poirot mir etwas Brandy einflo?te.
»Was hast du, um Gottes willen,
»Du meinst, da? du meine Frau finden wirst, sie ist doch aber in Sudamerika? Und bis wir dorthin kommen - wird sie schon lange nicht mehr am Leben sein - und, Gott allein wei?, unter welchen furchterlichen Umstanden sie ihr Leben lassen mu?.«
»Nein, nein, du verstehst mich nicht recht, sie ist gesund und wohlbehalten; keinen Augenblick hat sie sich in den Handen der Bande befunden.«
»Ich habe aber doch ein Telegramm von Bronsen erhalten!«
»Auch das stimmt nicht; du magst vielleicht ein Telegramm erhalten haben, das mit >Bronsen< unterzeichnet war. Sage einmal, ist es dir nie eingefallen, da? eine Organisation dieser Art mit Verbindungen uber die ganze Welt sehr leicht zu einem Schlag gegen uns hatte ausholen konnen durch deine kleine Frau, die dir so sehr am Herzen liegt?«
»Nein, daran habe ich nie gedacht«, erwiderte ich. »Nun, aber ich habe es immer ins Auge gefa?t. Ich habe dir gegenuber zwar nichts davon erwahnt, um dich nicht unnotig aufzuregen, doch hatte ich bereits von mir aus Vorkehrungen getroffen. Samtliche Briefe deiner Frau schienen von deiner Farm zu kommen; in Wirklichkeit befand sie sich an einem sicheren Ort, den ich vor drei Monaten fur sie ausgesucht hatte.«
»Bist, du dessen auch ganz sicher?«
Ich drehte den Kopf zur Seite, und Poirot legte mir die Hand auf die Schulter.
Es lag etwas in seiner Stimme, das ich nie vorher bemerkt hatte.
»Ich wei? nur zu genau, da? du keine Sentimentalitaten vertragen kannst, und deshalb will ich dir auch nicht meine innere Bewegtheit zum Ausdruck bringen. Ich will mich hierin auch ganz der Eigenart deiner Landsleute anpassen und keine weiteren Worte verlieren. Nur das eine mu?t du wissen, namlich, da? bei diesem letzten Erlebnis alle Ehre nur dir gebuhrt und da? ich mich glucklich schatze, einen so treuen Freund wie dich zu besitzen.«
14
Ich war bitter enttauscht uber den Ausgang unserer Erlebnisse in Chinatown. Um gleich damit zu beginnen: der Fuhrer der Bande war entkommen. Als Japps Beamte auf Poirots Signal am Tatort erschienen, fanden sie vier bewu?tlose Chinesen im Treppenhaus, jedoch der Mann, der mich mit dem Tod bedroht hatte, war nicht unter ihnen. Ich erinnerte mich spater, da? dieser Mann sich im Hintergrund gehalten hatte, als man mich zwang, auf die Schwelle hinauszugehen, um Poirot ins Haus zu locken. Er hatte sich also wohl au?erhalb der Gefahrenzone der Gasbombe befunden und mochte durch einen der vielen Ausgange entwichen sein, die wir erst spater entdeckten. Von den vier Chinesen, die in unserer Hand waren, erfuhren wir gar nichts. Eine grundliche Untersuchung durch die Polizei erbrachte keinen Hinweis auf irgendeine Verbindung mit den Gro?en Vier. Die Gefangenen erwiesen sich als ganzlich harmlose Einwohner des Stadtteils und versicherten, niemand mit dem Namen Li Chang Yen zu kennen. Ein wohlhabender Chinese hatte sie in seinen Dienst genommen im Haus, das am Wasser gelegen war, und alle beteuerten, auch nicht das geringste uber seine Privatangelegenheiten berichten zu konnen. Im Verlauf des nachsten Tages hatte ich mich, abgesehen von leichten Kopfschmerzen, vollkommen von den Auswirkungen meiner Abenteuer erholt. Wir begaben uns zusammen nach Chinatown und untersuchten das Haus. Die Liegenschaft bestand aus zwei Hausern, die durch einen Tunnel miteinander verbunden waren. Die Erdgeschosse sowie die oberen Raume waren leer und unbewohnt, die zerbrochenen Scheiben verdeckt durch die Sonnenblenden. Japp hatte in den Kellerraumen herumgeschnuffelt und bereits das Geheimnis des Zutritts zu der unterirdischen Kammer, mit welcher mich so schreckliche Erinnerungen verbanden, ergrundet. Eine nahere Untersuchung bestatigte den Eindruck, den der Raum zuvor auf mich gemacht hatte. Die Seidenbehange der Wande sowie die Diwane und die Teppiche auf dem Boden waren von auserlesener Qualitat. Obwohl ich nicht viel von chinesischer Kunst verstehe, konnte man unschwer erkennen, da? jeder Gegenstand von gro?em Wert war.
Mit Hilfe von Japp und seinen Leuten fuhrten wir eine mehr als grundliche Untersuchung durch. Ich hatte zuerst gro?e Hoffnungen darauf gesetzt, Dokumente von Wichtigkeit auffinden zu konnen, vielleicht sogar eine Liste der wichtigsten Agenten der Gro?en Vier, oder chiffrierte Nachrichten uber deren Plane, jedoch blieben unsere Bemuhungen in dieser Richtung ohne Erfolg. Die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen, die wir dort ermitteln konnten, waren jene, deren sich der Chinese bei der Abfassung des Schreibens an Poirot bedient hatte. Sie bestanden aus einigen sehr ausfuhrlichen Notizen uber jede Phase unseres Werdeganges, Betrachtungen uber unsere Charaktereigenschaften und Hinweise auf schwache Punkte, die als beste Angriffspunkte erachtet wurden.
