schienen dem Zerrei?en nahe. Seit einigen Tagen benahm er sich wie eine Katze auf der Lauer. Soweit wie irgend moglich vermied er alle Diskussionen uber die Gro?en Vier und schien sogar sein Interesse an den Dingen des Alltags zuruckzugewinnen. Trotzdem wu?te ich genau, da? er sich insgeheim mit seinem gro?en Problem befa?te. Fremdartig aussehende Leute, vermutlich Slawen, gingen bei ihm aus und ein, und obgleich er keinerlei Erklarung uber ihre Anwesenheit abgab, konnte ich doch annehmen, da? er mit Hilfe dieser etwas zweifelhaft aussehenden Fremden einen neuen Angriff vorbereitete. Als er mich einmal gelegentlich bat, eine Bankuberweisung in seinem Scheckbuch zu bestatigen, bemerkte ich die Anweisung einer sogar fur Poirots verhaltnisma?ig hohes Einkommen betrachtlichen Summe - an einen Russen mit einem schier unaussprechlichen Namen.

Jedoch gab er mir nicht die geringste Erklarung, zu welchem Verwendungszweck diese hohe Summe gedacht war. Wieder und immer wieder betonte er seinen Grundsatz: »Der gro?te Fehler besteht darin, seinen Gegner zu unterschatzen, denke stets daran, mon ami!«

Und ich stellte fest, da? er mit allen Kraften bemuht war, danach zu handeln.

So verstrich die Zeit im taglichen Einerlei bis gegen Ende Marz; dann, eines Morgens, machte Poirot eine Bemerkung, die mich in betrachtliches Staunen versetzte.

»Heute morgen wurde ich dir empfehlen, mein Freund, deinen besten Anzug anzuziehen, denn wir machen einen Besuch beim Staatssekretar.«

»Das ist allerdings sehr interessant, hat er dich etwa gebeten, einen neuen Fall zu ubernehmen?«

»Nicht ganz, die Rucksprache findet auf mein Betreiben hin statt. Du wirst dich wohl noch an meine Bemerkung erinnern, da? ich ihm einmal einen kleinen Dienst erwiesen habe? Seither neigt er dazu, meine Fahigkeiten betrachtlich zu uberschatzen; und nun stehe ich im Begriffe, einmal seine Hilfe fur mich in Anspruch zu nehmen. Wie dir ferner bekannt sein durfte, weilt der franzosische Premierminister Monsieur Desjardeaux zur Zeit in London, und auf meine Anregung hat der Staatssekretar seine Anwesenheit bei der heutigen Rucksprache angeregt.«

Mr. Sydney Crowther, Seiner Majestat Staatssekretar fur Innere Angelegenheiten, war eine bekannte und sehr beliebte Personlichkeit. Ein Mann in den Funfziger Jahren, mit etwas spottischem Mienenspiel und scharfblickenden grauen Augen, empfing uns mit der Herzlichkeit, die man allgemein an ihm kannte. Mit dem Rucken zum Kamin stand ein gro?er, hagerer Herr mit gestutztem schwarzem Bart und ausdrucksvollen Gesichtszugen.

»Monsieur Desjardeaux«, sagte Crowther, »erlauben Sie mir, Sie mit Monsieur Hercule Poirot bekannt zu machen, von dem Sie sicher schon gehort haben werden.«

Der Franzose verbeugte sich hoflich und reichte Poirot die Hand. »Naturlich habe ich bereits von Monsieur Poirot gehort«, sagte er erfreut, »wer hatte das nicht?«

»Sie sind zu liebenswurdig, Monsieur«, entgegnete Poirot, sich verbeugend, wobei sich sein Gesicht vor Freude rotete. »Darf ich mich als alter Freund auch in Erinnerung bringen?« fragte eine leise Stimme, und ein Herr trat aus der Ecke bei einem gro?en Bucherschrank auf uns zu. Es war unser alter Bekannter Mr. Ingles. Poirot schuttelte ihm mit gro?er Herzlichkeit die Hand. »Und nun, Monsieur Poirot«, sagte Crowther, »stehen wir zu Ihrer Verfugung. Sie sprachen davon, da? Sie uns eine Mitteilung von ganz au?erordentlicher Wichtigkeit zu machen hatten.«

»Genauso ist es, Monsieur. Es handelt sich um die Aufdeckung einer einflu?reichen Weltorganisation kriminellen Charakters. Sie wird geleitet von vier Personen, die sich selbst die Bezeichnung >Die Gro?en Vier< zugelegt haben. Nummer eins ist ein Chinese mit Namen Li Chang Yen, Nummer zwei ist der amerikanische Multimillionar Abe Ryland, Nummer drei ist eine Franzosin, und von Nummer vier glaube ich mit Bestimmtheit sagen zu konnen, da? es ein obskurer englischer Schauspieler namens Claude Darrell ist. Diese vier haben sich zu einer Bande vereinigt, um die bestehende Weltordnung zu zerstoren und sie durch eine Anarchie zu ersetzen mit dem Ziel, als alleinige Diktatoren aufzutreten.«

»Unglaublich«, flusterte der Franzose, »ein Mann wie Ryland in eine solche Angelegenheit verwickelt? Diese Idee erscheint mir phantastisch.«

»Wenn Sie mich bitte anhoren wollen, Monsieur, so will ich Ihnen einiges von den Untaten der Gro?en Vier zur Kenntnis bringen.«

Es war eine bewundernswerte Schilderung, die Poirot gab. So gelaufig sie mir auch in allen Einzelheiten war, fesselte sie mich wieder aufs neue, als er in nuchterner Form unsere Erlebnisse und deren Ausgang schilderte.

Monsieur Desjardeaux und Mr. Crowther wechselten einen Blick, als Poirot zu Ende erzahlt hatte.

»Ja, Monsieur Desjardeaux, ich denke, wir mussen uns mit der Existenz der Gro?en Vier abfinden. Scotland Yard neigte zuerst dazu, der Angelegenheit sehr skeptisch gegenuberzustehen, jedoch hat man zugegeben, da? viele von Poirots Anklagen zu Recht bestehen. Es bleibt die Frage offen bezuglich des Ausma?es ihrer Bestrebungen. Ich mu? leider gestehen, da? Monsieur Poirot - hm - da ein wenig zu ubertreiben scheint.« Zur Festigung seiner Behauptungen brachte Poirot zehn weitere untrugliche Beweise. Ich bin ersucht worden, diese im einzelnen nicht bekanntzugeben, und so halte ich auch damit zuruck; nur so viel sei davon erwahnt, da? es sich um eine Kette von au?ergewohnlichen Vorfallen in der englischen Flotte innerhalb eines scharf begrenzten Zeitraumes sowie um eine Serie von Flugzeugunfallen und unerklarlichen Notlandungen handelte. Nach Poirots Behauptung waren sie alle auf das Konto der Gro?en Vier zu setzen, und alle Anzeichen sprachen dafur, da? diese sich im Besitze von aufsehenerregenden wissenschaftlichen Geheimnissen befinden mu?ten, die der Welt in diesem Umfange noch nicht zuganglich waren. Diese Erklarungen fuhrten den Premierminister zu der Frage, die ich seit langem erwartet hatte.

»Sie sagten vorher, das dritte Glied dieser Organisation sei eine Franzosin? Haben Sie eine Ahnung uber ihre Identitat?«

»Es ist ein weithin bekannter Name, Monsieur, ein sehr beruhmter Name. Nummer drei ist niemand Geringerer - als die beruhmte Madame Olivier.«

Bei der Erwahnung der weltbekannten Wissenschaftlerin und Nachfolgerin von Madame Curie schien Monsieur Desjardeaux buchstablich vom Stuhl zu fallen, sein Antlitz war rot vor Erregung. »Madame Olivier! Unmoglich! Absurd! Was Sie da behaupten, ist geradezu eine Verleumdung.« Poirot schuttelte langsam den Kopf, enthielt sich jedoch einer weiteren Au?erung.

Desjardeaux betrachtete ihn einen Moment vollig verwirrt. Dann hellte sich sein Gesicht auf, er sah den Staatssekretar an und deutete vielsagend an die Stirn.

»Monsieur Poirot ist zweifelsohne ein sehr bedeutender Mann«, bemerkte er, »aber auch solch ein bedeutender Mann -kann manchmal an Wahnvorstellungen leiden und sucht in seiner Einbildung selbst bei hochgestellten Personlichkeiten nach Verratern; so was kommt vor. Sind Sie nicht auch dieser Ansicht. Mr. Crowther?«

Der Staatssekretar blieb ihm die Antwort hierauf schuldig. Dann sprach er langsam und mit Uberzeugung. »Bei meiner Seele, ich kann Ihnen darauf nichts entgegnen«, sagte er schlie?lich, »ich hatte stets und habe auch jetzt noch ein unerschutterliches Vertrauen zu Monsieur Poirot, aber - nun, es klingt trotzdem zu unglaublich.«

»Was diesen Li Chang Yen betrifft«, fuhr Monsieur Desjardeaux fort, »wer hat jemals etwas uber ihn gehort?«

»Ich«, lie? sich unerwartet die Stimme von Mr. Ingles vernehmen.

Der Franzose starrte ihn an, wahrend Mr. Ingles das gleiche tat und dabei einer chinesischen Gotzenfigur ahnlich sah. »Mr.

Ingles«, erklarte der Staatssekretar, »ist unsere gro?te Kapazitat in allen Fragen, die den Fernen Osten betreffen.«

»Und Sie haben bereits von diesem Li Chang Yen gehort?«

»Bis zu dem Zeitpunkt, da Monsieur Poirot mich aufsuchte, war ich der Meinung, da? ich der einzige Mensch in England sei, der etwas uber ihn wei?. Sie mussen es als feststehende Tatsache hinnehmen, Monsieur Desjardeaux: es gibt heute in China nur einen einzigen Mann, der tonangebend ist - und das ist Li Chang Yen. Vielleicht, ich betone: vielleicht ist er gegenwartig der klugste Kopf, den es gibt.« Monsieur Desjardeaux sa? wie versteinert da, erlangte jedoch bald seine Fassung wieder.

»Es mag etwas Wahres an dem sein, was Sie berichten, Monsieur Poirot«, sagte er kuhl, »aber hinsichtlich Madame Olivier sind Sie sicherlich im Irrtum. Sie ist eine wahre Tochter Frankreichs und widmet sich einzig und allein ihrer Wissenschaft.« Poirot zuckte mit den Achseln und antwortete nicht. Nach einer angemessenen Pause

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