Traltha, Illensa oder anderen Planeten noch immer mehr Freunde als unter den Angehorigen seiner eigenen Spezies. Wie Conway eingestand, mochte das zwar merkwurdig erscheinen, doch fur einen Arzt in einem Hospital mit vielfaltigen Umweltbedingungen stellte dieser Umstand auch einen eindeutigen Vorteil dar. Drau?en auf dem Korridor setzte sich Conway mit Prilicla in Verbindung, der zu seiner gro?en Erleichterung zur Zeit abkommlich war, und vereinbarte mit ihm eine schnellstmogliche Zusammenkunft auf der sechsundvierzigsten Ebene, wo sich der hudlarische Operationssaal befand. Danach widmete er einen Teil seiner Gedanken Mannons Problem, wahrend ihn der Rest seiner geistigen Aufmerksamkeit zur Ebene sechsundvierzig geleitete und ihn vor allem davor bewahrte, unterwegs zu Tode getrampelt zu werden. Seine Armbinde, die ihn als Chefarzt auswies, gewahrte ihm automatisch den Vortritt, jedenfalls was Schwestern, Pfleger und Assistenzarzte betraf Doch gab es unaufhorlich Zusammensto?e mit den etwas blasierten und haufig geistig abwesenden Diagnostikern, die sich unbekummert ihren Weg durch alles und jeden bahnten, der ihnen entgegenkam, aber auch mit rangniedrigeren Personalangehorigen, die zufallig einer kraftiger gebauten Spezies angehorten. So gab es die Tralthaner der physiologischen Klassifikation FGLI, warmblutige Sauerstoffatmer, die eine gewisse Ahnlichkeit mit sechsbeinigen Elefanten mit langgestrecktem Oberkorper hatten, oder kelgianische DBLFs, riesige Raupen mit silbernem Fell, die wie eine Sirene heulten, wenn man sie anrempelte, ob sie nun rangniedriger waren oder nicht, und krabbenartige ELNTs von Melf IV und und und.

Die Mehrheit der intelligenten Spezies in der galaktischen Foderation gehorte zu den Sauerstoffatmern, deren physiologische Klassifikationen sich allerdings enorm unterschieden. Doch eine weit gro?ere Gefahr fur Conways Fortbewegung zu Fu? stellte gerade ein Wesen dar, das eine Ebene nur in einem Schutzpanzer durchqueren konnte. Der TLTU-Arzt benotigte eigentlich die dreifachen Schwerkraft- und Druckverhaltnisse, als sie auf den Sauerstoffebenen herrschten, und zusatzlich brauchte er extrem hei?en Dampf zur Atmung. Der fur ihn erforderliche Schutzpanzer wirkte wie ein gro?er, scheppernder Lastwagen aus langst vergessenen Vorzeiten, dem man um jeden Preis aus dem Weg gehen mu?te.

In der nachsten Verbindungsschleuse mu?te Conway selbst einen leichten Schutzanzug anlegen, bevor er sich in die neblige, gelbe Welt der chloratmenden Illensaner begab. Hier wimmelte es auf den Korridoren von stacheligen, membranartigen und ungeschutzten Bewohnern des Planeten Illensa, und diesmal waren es die sauerstoffatmenden Tralthaner, Kelgianer oder Terrestrier wie er selbst, die in Schutzkleidung steckten oder sich sogar in Spezialfahrzeugen fortbewegen mu?ten.

Der nachste Abschnitt seines Wegs fuhrte ihn durch das gewaltige Becken der AUGL-Station, wo die bis zu zwolf Meter langen wasseratmenden Wesen von Chalderescol II schwerfallig durch ihre warme, grune Welt schwammen. Den Schutzanzug brauchte er nicht abzulegen, doch die Notwendigkeit zu schwimmen verringerte seine Geschwindigkeit ein wenig, obwohl der Publikumsverkehr hier nicht sonderlich dicht war. Trotz dieser Unwagbarkeiten waren erst funfzehn Minuten vergangen, seit er O’Maras Buro verlassen hatte, und von seinem Anzug tropfelte noch immer chalderisches Wasser, als er auf der Zuschauergalerie der sechsundvierzigsten Ebene ankam. Prilicla traf kurz nach ihm ein.

„Guten Morgen, mein Freund“, begru?te ihn der Empath und schwang sich auf seinen sechs zerbrechlich wirkenden Beinen geschickt an die Decke, wo er dank seiner mit Saugnapfen versehenen Fu?e haftenblieb. Die rollenden Schnalzlaute seiner melodischen cinrusskischen Sprache wurden zunachst von Conways Translator empfangen, dann zum gewaltigen Ubersetzungscomputer im Zentrum des Hospitals ubertragen und schlie?lich ohne merkbare Verzogerung als klang- und emotionsloses Terranisch wieder zu seinem Kopfhorer zuruckgesendet. Leicht zitternd fuhr der Empath fort: „Wie ich spure, brauchen Sie Hilfe, Doktor.“

„Ja, allerdings“, entgegnete Conway, dessen Au?erung umgekehrt denselben Ubersetzungsproze? durchlief und bei Prilicla als gleicherma?en emotionsloses Cinrusskisch ankam. „Es geht um Doktor Mannon. Ich hatte leider keine Zeit, Ihnen samtliche Einzelheiten zu erzahlen, als ich Sie eben angerufen hab und.“

„Das ist auch nicht notig, mein Freund“, erwiderte Prilicla. „Was den Mannon-Vorfall angeht, brodelt es in der Geruchtekuche des Hospitals wieder einmal ganz gehorig. Und Sie wollen jetzt naturlich wissen, was ich alles gehort und gespurt hab.“

„Sicher, aber nur wenn es Ihnen nichts ausmacht“, bat Conway entschuldigend.

Prilicla entgegnete zwar, es mache ihm naturlich nichts aus, aber der Cinrussker war nicht nur das liebenswerteste Lebewesen im gesamten Hospital, sondern obendrein auch der gro?te Lugner.

Er gehorte der physiologischen Klassifikation GLNO an, einer insektenartigen Spezies mit sechs streichholzdunnen Beinen, einem Ektoskelett und zwei schillernden, nicht ganz verkummerten Flugelpaaren. Diese Wesen besa?en hochentwickelte empathische Fahigkeiten. Nur auf seinem Heimatplaneten Cinruss, auf dem weniger als ein Zwolftel der Erdanziehungskraft herrschte, hatte eine Insektenspezies zu solcher Gro?e heranwachsen und mit der Zeit Intelligenz und eine fortschrittliche Kultur entwickeln konnen. Im Orbit Hospital allerdings befand sich Prilicla den gro?ten Teil seines Arbeitstags in echter Todesgefahr. Au?erhalb seiner Unterkunft mu?te er uberall Schwerkraftneutralisatoren, sogenannte G-Gurtel, tragen, weil er unter dem Druck der Anziehungskraft, den die Mehrheit seiner Kollegen fur normal hielt, regelrecht zermalmt worden ware. Und wenn sich Prilicla mit irgend jemandem unterhielt, begab er sich sofort au?er Reichweite seines Gegenubers, denn schon durch eine einzige gedankenlose Bewegung eines Arms oder Tentakels hatte ihm ein Bein abgerissen oder gar sein ganzer zerbrechlicher Korper zerstort werden konnen. Damit ihm ein solches oder ahnliches Schicksal erspart blieb, wenn er zum Beispiel andere Arzte auf einer Visite begleitete, hielt er mit seinen Kollegen Schritt, indem er an den Korridorwanden oder an der Decke entlanglief.

Naturlich wollte niemand im Krankenhaus Prilicla auf irgendeine Weise mutwillig verletzen, denn dazu war er bei allen viel zu beliebt. Seine empathischen Fahigkeiten sorgten dafur, da? der kleine Cinrussker stets die passenden Worte fand oder das Richtige tat, wenn sich andere Wesen in seiner Umgebung befanden — als ein fur Emotionen empfangliches Lebewesen etwas anderes zu tun, hatte namlich bedeutet, durch eigene gedankenlose Handlungen beim Gesprachspartner hervorgerufene Gefuhle des Zorns oder des Kummers buchstablich ins Gesicht zuruckgeschlagen zu bekommen. Deshalb war der kleine Empath gezwungen, permanent zu lugen und immer freundlich und rucksichtsvoll zu sein, um die emotionale Ausstrahlung der Wesen in seiner Umgebung fur sich selbst so angenehm wie moglich zu gestalten.

Ganz anders verhielt es sich, wenn ihn seine dienstlichen Pflichten daran hinderten, sich Schmerzempfindungen und heftigen Emotionen eines Patienten zu entziehen, oder wenn er einem Freund helfen wollte.

Kurz bevor Prilicla mit seinem Bericht anfing, sagte Conway: „Ich bin mir selbst nicht sicher, wonach ich eigentlich suche, Doktor. Aber falls Sie sich an irgend etwas erinnern konnen, das an den Handlungen oder Emotionen Mannons oder seines Mitarbeiterstabs in irgendeiner Weise ungewohnlich war, dann.“

Bei der Erinnerung an den Gefuhlssturm, der vor zwei Tagen in dem jetzt leerstehenden hudlarischen OP gewutet hatte, zitterte Prilicla plotzlich am ganzen Korper, und er beschrieb Conway das Geschehen, wie es sich noch zu Beginn der fraglichen Operation an dem hudlarischen Patienten dargestellt hatte. Er selbst hatte es damals nicht fur notwendig gehalten, sich mit Hilfe eines Schulungsbands uber die Physiologie der Hudlarer zu unterrichten, und hatte deshalb den eigentlichen Operationsverlauf geistig nicht nachvollziehen konnen, zumal der Patient narkotisiert worden war und fast keine Emotionen ausgestrahlt hatte. Mannon und seine Mitarbeiter hingegen waren ganz auf ihre Arbeit konzentriert und hatten deshalb kaum noch andere Gedanken oder Gefuhle ausgestrahlt. Und dann war Chefarzt Mannon dieses. Mi?geschick passiert. Eigentlich hatte es sich dabei um funf einzelne und vollkommen verschiedene Mi?geschicke gehandelt.

Priliclas Korper bebte jetzt heftig, und Conway sagte entschuldigend: „Es. es tut mir wirklich leid, da? die Erinnerung daran, bei Ihnen so starke Gefuhlsregungen auslost, aber.“

„Ach, das wei? ich doch, mein Freund“, entgegnete der Empath und fuhr mit seinem Bericht fort.

Der hudlarische Patient war teilweise einer Dekompression unterzogen worden, damit man an der Operationsstelle effektiver hatte arbeiten konnen. Diese Methode barg zwar in bezug auf Puls und Blutdruck des Hudlarers einige Risiken, doch hatte Mannon dieses Verfahren selbst entwickelt und war von daher am besten in der Lage gewesen, diese Gefahren einzuschatzen. Seit er den Patienten vor der Operation einer Dekompression unterzogen hatte, mu?te er schnell arbeiten, und zuerst schien auch alles glattzugehen. Er hatte bereits einen Hautlappen in dem lederartigen Panzer des Hudlarers geoffnet und die Blutung des subkutanen Zellgewebes unter Kontrolle gehalten, als ihm der erste Fehler unterlief, dem unmittelbar darauf zwei weitere folgten. Bei der blo?en Beobachtung fiel es Prilicla damals gar nicht auf, da? es sich dabei um Fehler handelte, obwohl der Patient erheblich blutete. Erst durch Mannons Gefuhlsreaktionen — die zu den heftigsten zahlten, die der Empath jemals empfangen hatte — erkannte Prilicla, da? dem Chirurgen einige bose und dumme Schnitzer unterlaufen sein

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