genau hieruber brauchen wir Angaben. Fehler mussen logischerweise auftreten, besonders bei Auszubildenden. Das ist uns allen klar. In diesem Fall mussen wir aber wissen, ob es einen allgemeinen oder einen ortlich begrenzten Anstieg der Fehlerquote gegeben hat und, wenn ja, wann und wo genau diese Fehler aufgetreten sind.“
„Ist diese Angelegenheit vertraulich zu behandeln?“ fragte eine der Kelgianerinnen.
Conway wurde bei der Vorstellung, im Orbit Hospital etwas vertraulich behandeln zu mussen, regelrecht ubel. Doch glucklicherweise wurde der ironische Unterton in seiner Stimme durch den Ubersetzungsvorgang herausgefiltert.
„Je mehr Leute Angaben daruber machen und auch selbst sammeln, desto besser“, antwortete er. „Handeln Sie einfach nach eigenem Ermessen.“
Einige Minuten spater befand er sich bereits an einem anderen Tisch und sagte dort dasselbe, dann an einem weiteren und schlie?lich an noch einem. Zwar wurde er heute erst spat auf seiner Station sein, aber zum Gluck hatte er einige sehr gute Assistenten, die immer begierig darauf waren, ihm zu beweisen, wie gut sie auch ohne ihn zurechtkamen.
Wahrend des restlichen Tages erhielt er zwar keine gro?e Resonanz, aber etwas anderes hatte er auch gar nicht erwartet hatte. Doch schon am zweiten Tag traten Schwestern und Pfleger der verschiedensten Spezies an ihn heran, um ihm in gekunstelter Heimlichtuerei von Zwischenfallen zu berichten, die einer dritten Partei zugesto?en waren. Conway notierte sich jeweils sorgfaltig Zeit und Ort des Geschehens, ohne irgendwelche Neugier uber die Identitat der betreffenden Wesen zu zeigen.
Am Morgen des dritten Tages machte ihn dann Dr. Mannon wahrend einer Visite ausfindig. „Sie arbeiten wirklich hart an dieser Sache, Conway, stimmt’s?“ begru?te ihn der Chefarzt und fugte dann etwas ungehalten hinzu: „Ich bin Ihnen zwar durchaus dankbar, schlie?lich ist Loyalitat immer angenehm, selbst wenn sie unangebracht ist, aber ich wunschte mir, Sie wurden endlich aufhoren. Sie steuern auf ernsthafte Schwierigkeiten zu.“
„Sie sind derjenige, der hier in Schwierigkeiten steckt, Doktor, nicht ich“, widersprach Conway.
„Das glauben auch nur Sie“, entgegnete Mannon schroff. „Ich komme namlich gerade aus O’Maras Buro. Er will Sie sprechen, und zwar sofort.“
Wenige Minuten spater wurde Conway von einem von O’Maras Assistenten in das Innere des Allerheiligsten hereingewinkt. Der Assistent versuchte verzweifelt, Conway mit den Augenbrauen vor heraufziehendem Unheil zu warnen, wobei er gleichzeitig durch herabgezogene Mundwinkel sein Mitgefuhl ausdrucken wollte. Die lacherliche Wirkung dieser merkwurdigen Kombination zweier Gesichtsausdrucke wurde Conway erst richtig bewu?t, als er sich bereits im Buro des Chefpsychologen befand und selbst mit einer Art Mischung aus dummen Grinsen und verlegenem Lacheln einem au?erst wutenden O’Mara gegenuberstand.
Der Psychologe zeigte mit einem Finger auf den unbequemsten Stuhl und brullte: „Was, zum Teufel, denken Sie sich eigentlich dabei, uber das ganze Hospital mit so etwas wie einer korperlosen Intelligenz herzufallen?“
„Mit was.?“ fragte Conway betroffen.
„Wollen Sie sich nur selbst lacherlich machen?“ tobte O’Mara weiter, ohne ihn zu beachten. „Oder wollen Sie mich lacherlich machen? Und unterbrechen Sie mich gefalligst nicht! Zugegeben, Sie sind hier der jungste Chefarzt, und Ihre Kollegen halten viel von Ihnen, obwohl keiner von denen Spezialist in angewandter Psychologie ist. Aber so ein idiotisches und unverantwortliches Verhalten wie sie es an den Tag legen, ist doch allenfalls eines Patienten in einer geschlossen Anstalt wurdig!
Dank Ihnen geht die Disziplin der Assistenzarzte zusehends den Bach runter“, fuhr O’Mara ein klein wenig leiser fort. „Es gilt jetzt schon als normal, Fehler zu machen! Praktisch jede Oberschwester verlangt mittlerweile in kreischendem Ton von mir — von mir! — , dieses. dieses Etwas endlich loszuwerden. Alles, was Sie bisher zustande gebracht haben, ist, dieses unsichtbare, nicht ausfindig zu machende, immaterielle Monster zu erfinden! Aber anscheinend fallt es allein in den Zustandigkeitsbereich des Chefpsychologen, dieses Etwas wieder loszuwerden!“
O’Mara machte eine Pause, um wieder zu Atem zu kommen, und als er weitersprach, war sein Ton ruhig und fast freundlich geworden. „Und glauben Sie ja nicht, da? Sie irgend jemanden an der Nase herumfuhren konnen. Um es auf die einfachste Formel zu bringen: Sie hoffen, da? die Fehler Ihres Freunds relativ unbemerkt bleiben, wenn nur genugend andere Mitarbeiter Fehler begehen. Und horen Sie endlich damit auf, standig Ihren Mund auf- und zuzumachen! Sie kommen schon noch dran! Einer der Aspekte, der mich an dieser ganzen Angelegenheit wirklich stort, ist der, da? ich selbst fur diesen ganzen Mist mitverantwortlich bin, weil ich Sie mal wieder vor ein unlosbares Problem gestellt hab. Ich hatte einfach gehofft, Sie wurden die ganze Geschichte vielleicht von einem anderen Standpunkt her in Angriff nehmen, von einem Standpunkt, der womoglich wenigstens eine Teillosung des Problems ergeben hatte, um Ihren Freund herauszupauken. Doch statt dessen haben Sie ein neues und vielleicht noch gro?eres Problem geschaffen.
Nun, ich hab die Dinge aus verstandlichem Arger vielleicht ein wenig ubertrieben dargestellt, Doktor“, fuhr O’Mara jetzt noch ruhiger fort, „aber das andert nichts an der Tatsache, da? Sie wegen dieser Angelegenheit womoglich in ernste Schwierigkeiten geraten. Ich glaube nicht, da? die Schwestern und Pfleger absichtlich Fehler begehen werden — zumindest nicht so schwerwiegende, da? sie ihre Patienten damit gefahrden wurden. Doch jede Senkung des Standards ist naturlich gefahrlich. Begreifen Sie allmahlich, was Sie eigentlich damit angerichtet haben, Doktor?“
„Ja, Sir“, antwortete Conway kleinlaut und mit betroffener Miene.
„Gut, das kann man Ihnen sogar ansehen“, entgegnete O’Mara in fur ihn untypischer Milde. „Und jetzt wurde ich gerne wissen, warum sie all das getan haben. Also, Doktor?“
Conway nahm sich mit der Antwort Zeit. Zwar wurde er das Buro des Chefpsychologen nicht zum erstenmal mit angekratztem Selbstbewu?tsein verlassen, aber dieses Mal schien es ernst zu sein. Es herrschte die allgemeine Ansicht, O’Mara konne sich nur dann wirklich entspannen und sich ganz als der schlechtgelaunte, unausstehliche Chefpsychologe geben, wenn er sich keine uberma?igen Sorgen uber jemanden machte oder wenn er den Betreffenden wirklich mochte. Wurde der Chefpsychologe jedoch ruhig, freundlich und alles andere als sarkastisch — behandelte er mit anderen Worten eine Person eher wie einen Patienten und nicht wie einen Kollegen —, dann steckte diese bis zum Hals in Schwierigkeiten.
Schlie?lich berichtete Conway: „Zunachst war es einfach nur eine vorgeschobene Geschichte, die erklaren sollte, warum ich so neugierig bin, Sir. Schwestern und Pfleger plaudern zwar gerne ubereinander, schwarzen sich gegenseitig aber nicht an, und es hat vielleicht so ausgesehen, als ob ich gewollt hatte, da? sie das tun. Da Doktor Mannon in jeder Hinsicht gesund ist, hab ich lediglich darauf hingewiesen, da? au?ere Ursachen wie Bakterien oder Parasiten oder etwas Ahnliches wegen der Grundlichkeit unserer aseptischen Verfahren auszuschlie?en sind. Sie, Sir, hatten uns ja bereits hinsichtlich seines Geisteszustands beruhigen konnen. Ich hab deshalb eine. eine au?ere, immaterielle Ursache vorausgesetzt, die vielleicht bewu?t gesteuert ist oder auch nicht.
Allerdings hab ich allen gegenuber ausdrucklich betont, noch nichts in der Hand zu haben, was meine Theorie untermauern wurde“, fuhr Conway schnell fort, „und genausowenig hab ich irgend jemandem gegenuber eine korperlose Intelligenz erwahnt. Aber in diesem OP ist tatsachlich etwas Merkwurdiges passiert, und das nicht nur wahrend der Zeit, als Mannon operiert hat.“
Er beschrieb den Echoeffekt, den Prilicla wahrend der Uberwachung von Mannons emotionaler Strahlung wahrgenommen hatte, und den ahnlichen Effekt, als Naydrad das Mi?geschick mit dem Messer passiert war. Spater ereignete sich auch noch ein weiterer Zwischenfall mit einem melfanischen Assistenzarzt, dessen Spruhdose nicht spruhen wollte. Auf die Mundgliedma?en der Melfaner passen namlich keine Operationshandschuhe, weshalb sie diese vor einer Operation mit schnelltrocknendem Plastik bespruhen. Als der melfanische Assistenzarzt versuchte, die Spruhdose zu benutzen, quoll eine Masse heraus, die der Melfaner mir gegenuber als metallischen Brei bezeichnete. Und spater war die fragliche Spruhdose verschwunden. Vielleicht hatte sie nie existiert. Es gab noch weitere seltsame Zwischenfalle, Schnitzer, die mir ein wenig zu einfach erschienen, als da? sie geschultem Personal unterlaufen wurden, wie Fehler beim Zahlen der Instrumente und dem Fallenlassen von Gegenstanden. Und bei all diesen Vorkommnissen schien ein gewisses Ma? an geistiger Verwirrung und vielleicht sogar regelrechter Halluzination mit im Spiel gewesen zu sein.
„Bis jetzt liegt zwar noch nicht genug Material fur eine statistisch bedeutungsvolle Auswertung vor“, fuhr Conway fort, „aber es hat gereicht, um mich neugierig zu machen. Ich wurde Ihnen gern die Namen der Betroffenen geben, wenn ich nicht hatte versprechen mussen, sie fur mich zu behalten — denn ich glaube, es
