Nerven zu gehen. Und der Sauerstoffvorrat ist aufgebraucht, und du gehst zur Arbeitsvermittlungsmaschine, um das alte Lied zu horen, und dann gehst du fur ein paar Munzen in die Traumbar …

Pomrath fragte sich, was er nun wirklich tun wurde, wenn ihn ein Agent der Zeitreisenleute ansprach und ihm eine Reise in eine friedlichere Vergangenheit anbot. Wurde er es wie Bud Wisnack machen und die Gelegenheit beim Schopf ergreifen?

Unsinn, sagte sich Pomrath. So etwas existiert doch nicht. Die Zeitreisenden sind Einbildung. Ein Betrug, den die Hohe Regierung eingefadelt hat. Man kann nicht zuruck in eine andere Welt. Man kann nur unerbittlich nach vorne, Sekunde um Sekunde.

Aber, so fragte sich Pomrath, wo steckte dann Bud Wisnack wirklich?

* * *

Als sich die Tur schlo? und Helaine allein war, sank sie mude an den Rand des Allzweck-Tisches in der Mitte des Zimmers. Sie bi? sich auf die Lippen, um die Tranen niederzukampfen.

Er hat mich nicht einmal bemerkt, dachte sie. Ich habe direkt vor ihm eine Dusche genommen, und er hat es nicht einmal gemerkt.

Eigentlich, mu?te Helaine zugeben, stimmte das nicht. Sie hatte ihn in der kupfernen Wandplatte beobachtet, die ihr Fensterersatz war. Und sie hatte gesehen, da? er heimlich ihren Korper betrachtete, als sie mit dem Rucken zu ihm dastand. Und dann, als sie nackt durch das Zimmer gegangen war, um ihre Tunika zu holen, hatte er sie wieder angesehen.

Aber er hatte nicht reagiert. Das war das Schlimme. Wenn er irgendeinen Funken fur sie empfunden hatte, hatte er es gezeigt. Mit einer Zartlichkeit, einem Lacheln, einem Druck auf den Knopf, der das Bett aus der Wand fuhr. Er hatte ihren Korper angesehen, und es hatte ihm uberhaupt nichts bedeutet. Daran litt Helaine am allermeisten.

Sie war fast siebenunddrei?ig. Das war eigentlich nicht alt. Sie hatte noch siebzig bis achtzig Jahre vor sich. Und doch kam es ihr so vor, als seien die besten Jahre bereits vorbei. Sie hatte in letzter Zeit so stark abgenommen, da? ihre Huftknochen spitz hervorstanden. Ihre busenfreien Kleider trug sie auch nicht mehr. Sie wu?te, da? sie keine sexuelle Anziehungskraft mehr fur ihren Mann besa?, und es schmerzte sie.

Ob die Geschichten uber die Hohe Regierung tatsachlich stimmten? Da? man besondere Anti-Sex- Ma?nahmen treffen wollte? Da? auf Befehl von Danton die Manner Impotenz-Pillen und die Frauen Anti- Sinnlichkeitsmittel bekommen sollten? Die Frauen sprachen im Flusterton davon. Noelle Kalmuck sagte, da? sie es vom Wascherei-Komputer wisse. Man mu?te doch glauben, was ein Komputer sagte, oder? Vermutlich war die Maschine in direkter Verbindung mit der Hohen Regierung.

Aber es war so sinnlos. Helaine war nicht uberma?ig klug, aber sie besa? einen gesunden Menschenverstand. Weshalb sollte sich die Regierung in sexuelle Dinge einmischen? Die Geburtenkontrolle erfolgte auf humanerem Weg. Man beeinflu?te die Fruchtbarkeit, nicht die Potenz. Zwei Kinder pro Ehepaar, und damit Schlu?. Wenn sie nur ein Kind erlaubt hatten, ware das Uberbevolkerungsproblem einigerma?en gelost gewesen, aber leider gab es starke Gruppen, die auf der Zwei-Kinder-Familie beharrten. So blieb die Bevolkerung gleich oder verminderte sich sogar etwas — wenn man Junggesellen wie Helaines Bruder Joe in Betracht zog, oder Paare, die sich zur Kinderlosigkeit verpflichtet hatten — aber einen wirklichen Fortschritt sah man nicht.

Es war also unlogisch, wenn die Hohe Regierung den sexuellen Trieb abschaffen wollte. Sex war die Beschaftigung der Proleten. Ein kostenloses Vergnugen. Man brauchte keinen Job, und die Zeit verging schneller. Helaine beschlo?, nicht mehr auf die dummen Geruchte zu achten. Sie zweifelte daran, da? der Komputer etwas Derartiges zu Noelle gesagt hatte. Weshalb sollte er uberhaupt mit ihr sprechen? Sie war nichts als eine alberne Gans.

Naturlich, sicher wu?te man es nie. Die Hohe Regierung konnte auf unmogliche Ideen kommen. Man brauchte nur an die Sache mit den Zeitreisen denken. Ob es sie wirklich gab? Nun ja, man hatte die Geschichtsschreibung vergangener Jahrhunderte als Beweis, aber angenommen, es handelte sich um einen Betrug, um die Leute zu verwirren? Was war wirklich, und was war Einbildung?

Helaine seufzte. »Wie spat?« fragte sie.

»Zehn vor drei«, antwortete die kleine Uhr im Ohr sanft.

Die Kinder wurden bald von der Schule heimkommen. Der kleine Joe war sieben und Marina neun. In diesem Alter hatten sie noch eine gewisse Unschuld, soweit man das von Kindern behaupten kann, die zusammen mit ihren Eltern in einem Raum hausen. Helaine wandte sich an die Nahrungsbox und programmierte das Essen mit raschen, nervosen Handbewegungen. Sie war kaum fertig, als die Kinder erschienen.

Sie begru?ten sie, und Helaine wies auf die Box. »Setzt euch und e?t etwas.«

Joseph grinste sie freundlich an. »Wir haben heute Kloofman in der Schule gesehen. Er sieht wie Daddy aus.«

»Naturlich«, sagte Helaine. »Die Hohe Regierung hat nichts anderes zu tun, als Klassenzimmer zu besuchen. Und wenn Kloofman Daddy ahnlich sieht, dann nur …« Sie unterbrach sich. Sie hatte etwas Spottisches sagen wollen, aber Joseph merkte sich die Dinge recht genau. Er wurde den Satz wiederholen, und am nachsten Tag hatte sie die Untersuchungsbeamten am Halse.

Marina mischte sich ein. »Es war ja gar nicht der echte Kloofman. Sie zeigten an der Wand Bilder von ihm.« Sie stupste ihren Bruder an. »Glaubst du vielleicht, da? Kloofman in deine Klasse kommen wurde? Dazu hat er viel zu wenig Zeit.«

»Marina hat recht«, sagte Helaine. »Hort zu, Kinder. Ich habe euer Essen programmiert. Danach fangt ihr gleich mit den Hausaufgaben an, ja?«

»Wo ist Daddy?« fragte Joseph.

»Er ging zur Arbeitsvermittlung.«

»Meinst du, da? er heute etwas findet?« wollte Marina wissen.

»Schwer zu sagen.« Helaine lachelte ausweichend. »Ich besuche jetzt Mrs. Wisnack.«

Die Kinder a?en. Helaine ging einen Stock hoher zum Appartment der Wisnacks. Das Turschild zeigte an, da? Beth daheim war, und so meldete sich Helaine an und wurde hereingelassen. Beth Wisnack nickte ihr wortlos zu. Sie sah entsetzlich mude aus. Sie war eine kleine Frau um die Vierzig, mit dunklen, vertrauensvollen Augen und stumpfem Haar, das zu einem festen Knoten zuruckgekammt war. Ihre beiden Kinder, auch ein Junge und ein Madchen, sa?en mit dem Rucken zur Tur und a?en.

»Etwas Neues?« fragte Helaine.

»Nichts. Er ist fort, Helaine. Sie wollen es noch nicht zugeben, aber er hat den Sprung gemacht, und er wird nicht wiederkommen. Ich bin Witwe.«

»Und die Televektor-Suche?«

Die kleine Frau zuckte mit den Schultern. »Nach dem Gesetz mussen sie ihn acht Tage eingeschaltet lassen. Dann geben sie es auf. Sie haben die Registrierlisten von Zeitreisenden durchsucht, aber ein Wisnack ist nicht dabei. Das hei?t naturlich gar nichts. Nur sehr wenige gaben ihre wirklichen Namen an, als sie in der Vergangenheit ankamen. Und bei den ersten fugten sie nicht einmal Beschreibungen bei. Das ist also kein Beweis. Aber er ist fort. Ich bewerbe mich nachste Woche um die Pension.«

Helaine spurte das Gewicht von Beths Elend wie eine dumpfe Feuchtigkeit. Sie hatte Mitleid mit ihr. Das Leben in Klasse Vierzehn war nicht schon, aber in schlechten Zeiten konnte man wenigstens an der Familie Halt finden. Beth hatte nun nicht einmal mehr das. Ihr Mann hatte sich aus dem Staub gemacht und war den Weg gegangen, der nur in eine Richtung fuhrte. »Leb wohl, Beth, lebt wohl, Kinder, leb wohl, lausiges funfundzwanzigstes Jahrhundert!« Und dann war er im Tunnel der Zeit verschwunden. Der Feigling hatte kein Verantwortungsgefuhl, dachte Helaine.

»Es tut mir so leid fur dich«, murmelte sie.

»La? nur. Du wirst schon auch noch Sorgen bekommen. Die Manner werden alle weglaufen. Du wirst sehen. Auch Norm. Erst reden sie gro? von ihren Verpflichtungen, und dann laufen sie doch. Bud hat geschworen, da? er nie gehen wurde. Aber er hatte seit zwei Jahren keine Arbeit mehr, und trotz des Wochengeldes hatte er die Nase einfach voll. Also ging er.«

Helaine pa?te der Hinweis gar nicht, da? ihr Mann auch verschwinden konnte. Auch wenn Beth unglucklich war, schien es eine unpassende Andeutung. Schlie?lich, dachte Helaine, kam ich her, um sie zu trosten. Beths Worte waren nicht nett gewesen.

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