Das Zentrale Beschaftigungsregister befand sich in der gro?en Vorhalle eines Katastergebaudes. Das kuppelformige Gebaude war mit einer Platinschicht uberspruht. Im Innern, entlang der Kuppelwande, sah man die Ergebnisse der Komputerberechnungen. Die Berechnungen selbst wurden anderswo durchgefuhrt. Ein geschaftiges, maschinelles Gehirn arbeitete Tag und Nacht daran, die Arbeitsmoglichkeiten auszuwerten und sie auf die Arbeitsuchenden abzustimmen.
Norm Pomrath nahm ein Schnellboot zur Job-Maschine. Er hatte auch gehen und eine Munze sparen konnen, denn Zeit hatte er. Aber er wollte es nicht. Es war ein absichtliches Verschwenden. Zeit hatte er in Hulle und Fulle. Sein Bargeld war trotz der Gro?zugigkeit der Hohen Regierung beschrankt. Das wochentliche Stempelgeld, das er durch die Gnade Dantons, Kloofmans und der anderen Mitglieder der Fuhrungsschicht erhielt, reichte aus, um die Grundbedurfnisse einer vierkopfigen Familie zu decken, aber damit war auch schon Schlu?. Pomrath ging im allgemeinen sparsam mit seinem Geld um. Er ha?te das Stempeln naturlich, aber da er kaum eine Moglichkeit sah, zu geregelter Arbeit zu kommen, nahm er das Geld wie jeder andere an. Auf dieser Welt verhungerte keiner, wenn er es nicht freiwillig tat — und selbst das war nicht leicht.
Pomrath hatte die Maschine wirklich nicht aufsuchen mussen. Telefonleitungen verbanden jedes Apartment mit jedem Komputer, zu dem es offentlichen Zutritt gab. Er konnte telefonieren, um den augenblicklichen Stand der Dinge zu erfahren. Und au?erdem, wenn es in seinem Beruf eine Chance gegeben hatte, ware die Maschine von sich aus mit ihm in Verbindung getreten. Aber er zog es vor, aus dem Haus zu sein. Er kannte die Antwort der Maschine im voraus, und so war alles nur eine Geste, eine der vielen Gesten, die ihm vergessen halfen, da? er ein vollig nutzloses Mitglied der Gesellschaft war.
Suchstrahlen unter dem Boden summten, als Pomrath das Gebaude betrat. Er wurde abgetastet, identifiziert und uberpruft. Wenn er auf dem Register der bekannten Anarchisten gestanden hatte, ware er nicht bis uber die Schwelle gekommen. Klammern, die aus dem Marmorboden kamen, hatten ihn sanft festgehalten, bis man ihn entwaffnet und weggeschickt hatte. Aber Pomrath hatte nichts Boses mit der Job-Maschine vor. Seine Feindseligkeit war gegen das Universum im allgemeinen gerichtet. Er war zu intelligent, um seinen Zorn an Komputern auszulassen.
Die wohlwollenden Gesichter von Benjamin Danton und Peter Kloofman strahlten aus der Hohe der Kuppel auf ihn herab. Riesige Tri-Di-Bilder hingen von der Decke. Danton wirkte trotz seines Lachelns ernst. Kloofman, dem man gro?e menschliche Warme nachsagte, sah angenehmer aus. Pomrath erinnerte sich an eine Zeit vor etwa zwanzig Jahren, als die offentlichen Vertreter der Hohen Regierung noch ein Triumvirat gebildet hatten. Kloofman und zwei andere, deren Namen er bereits vergessen hatte. Dann war eines Tages Danton aufgetaucht, und man hatte die Bilder der beiden anderen abgenommen. Zweifellos wurden eines Tages auch Kloofman und Danton verschwinden, und in den offentlichen Gebauden wurde man zwei oder drei neue Gesichter sehen. Pomrath beschaftigte sich nicht sehr eingehend mit dem Personalwechsel der Hohen Regierung. Wie die meisten Menschen hatte er seine Zweifel an der Existenz von Kloofman und Danton. Es gab genug Grunde zu der Annahme, da? die Komputer das ganze Leben steuerten und da? sie es seit einem guten Jahrhundert taten. Und doch nickte er den Tri-Di-Bildern ehrfurchtig zu, als er das Gebaude betrat. Was wu?te er? Vielleicht beobachtete ihn Danton hinter dem Bild aus kalten Augen.
Die Halle war uberfullt. Pomrath schlenderte zur Mitte und geno? einen Augenblick das Summen und Klappern der Maschine. Zu seiner Linken war der Rote Speicher, der fur Stellentausch zustandig war. Hier hatte Pomrath nichts verloren. Man mu?te erst eine Arbeit haben, bevor man sie wechseln konnte. Direkt vor ihm befand sich der Grune Speicher — fur Arbeitslose wie er. Rechts von ihm stand der Blaue Speicher, wo sich neue Mitglieder um Arbeit bewarben. Vor jedem der Speicher war eine lange Reihe von Wartenden. Ganz rechts ein paar Halbwuchsige; links ein paar ubereifrige Mitglieder der Klasse Zehn, die sich nach einer Beforderung umsahen. Und vor ihm die Schlange der Arbeitslosen.
Es ging schnell vorwarts. Niemand sprach mit ihm. Pomrath stand inmitten der Menge wie auf einer einsamen Insel und uberlegte, wie schon so oft, wann sein Leben eigentlich abgeglitten war. Er wu?te, da? er einen hohen Intelligenzquotienten besa?. Gute Reflexe. Entschlossenheit, Ehrgeiz und Beweglichkeit. Er hatte jetzt Klasse Acht sein konnen, wenn alles nach seinem Willen gegangen ware.
Aber das war es nicht. Er hatte sich als technischer Mediziner ausbilden lassen, da er wu?te, da? selbst in einer geordneten Welt immer Kranke waren und er somit immer eine Beschaftigung haben wurde. Leider waren viele junge Manner seiner Generation zu dem gleichen Schlu? gekommen. Es war wie bei diesen Wettrennen. Man suchte sich einen Favoriten heraus, auf den man setzen konnte. Man beurteilte seine Fahigkeiten, man besah sich seine Kondition. Man ging mit aller Schlaue zu Werk. Aber die anderen waren ebenso schlau. Wenn man einen wirklich uberragenden Kandidaten ausmachen konnte, setzten sie auch auf ihn und druckten die Gewinne. Und doch gab es manche, die einen potentiellen Sieger schneller als andere erkannten und die dicken Gewinne einstrichen. Es lag nicht an der Ungerechtigkeit der Welt, dachte Pomrath seufzend. Aber das Universum war einfach gleichgultig.
Er hatte auf die sichere Sache gesetzt, und so war sein Gewinn klein gewesen. Ein paar Wochen Arbeit, viele Monate Nichtstun. Pomrath war ein guter Techniker. Seine Fahigkeiten waren mindestens so gro? wie die eines guten Arztes vor ein paar Jahrhunderten. Heute befanden sich die wirklichen Arzte — es gab nur noch ganz wenige — in Klasse Drei, direkt unter der Regierungsschicht. Aber Pomrath, als technischer Mediziner, steckte im Sumpf der Klasse Vierzehn mit all ihren Unannehmlichkeiten, und er konnte nur hoher hinaufgelangen, wenn er mehr Erfahrung sammelte. Aber wie sollte er das, wenn er keine Arbeit bekam?
Welche Ironie, dachte er. Joe Quellen, der uberhaupt keine Spezialkenntnisse hat, sitzt in Klasse Sieben. Und ich stehe um das Doppelte unter ihm. Aber Quellen war eben ein Mitglied der Regierung — nicht der Hohen Regierung naturlich, die die Politik machte, aber immerhin —, und so mu?te Quellen einen gewissen Status bekommen. Sie mu?ten ihn einfach in eine hohere Klasse stecken, um seine Autoritat zu bekraftigen. Pomrath kaute an einem Fingernagel und uberlegte, weshalb er nicht so schlau gewesen war, in den Regierungsdienst zu gehen.
Doch dann mu?te er sich gestehen: die Moglichkeiten dort waren noch schlechter. Quellen hatte Gluck gehabt. Vielleicht auch ein wenig Geschick. Pomrath mu?te es widerstrebend zugeben. Wenn ich in den Regierungsdienst getreten ware, statt Mediziner zu werden, sa?e ich heute als kleiner Angestellter in Klasse Vierzehn, und mein einziger Vorteil gegenuber jetzt ware eine geregelte Arbeit.
Pomrath war an der Spitze der Schlange angelangt.
Er stand vor einer blanken Aluminiumscheibe, einem Quadrat von etwa einem halben Meter, in dessen Zentrum sich ein rundes Suchschild befand. Das Schild leuchtete grun auf, und Pomrath legte wie immer die Hand daruber. Es war eine Art Zeremonie geworden.
Es war nicht notig, mit der Maschine zu sprechen. Sie wu?te, weshalb Pomrath gekommen war, wer er war und was ihn erwartete. Dennoch fragte Pomrath mit seiner tiefen, heiseren Stimme: »Wie steht es mit einem kleinen Job fur mich?« Er druckte auf den Antwortknopf.
Und er bekam die Antwort schnell.
Etwas in der Wand hinter der blanken Aluminiumscheibe begann zu surren und zu klappern. Vielleicht nur, um uns zu beeindrucken, dachte Pomrath. Um uns Proleten einzureden, da? die Maschine wirklich etwas fur uns tut. Ein Schlitz offnete sich in der Scheibe, und eine Mini-Notiz wurde herausgeschoben. Pomrath ri? sie ab und studierte sie ohne gro?es Interesse.
Sie trug seinen Namen, seine Klasse und das ubrige Identifizierungszeug, das ihn auf seiner Reise durch das Leben begleitete. Darunter stand in sauberer Blockschrift die Entscheidung:
BESCHAFTIGUNGSPROGNOSE IMMER NOCH UNGUNSTIG. WIR GEBEN IHNEN BESCHEID, WENN SICH MOGLICHKEITEN FUR EINE ANSTELLUNG ERGEBEN. WIR BITTEN DRINGEND UM GEDULD UND VERSTANDNIS. AUGENBLICKLICHER DRUCK ZWINGT DIE HOHE REGIERUNG, NUR EINEN TEIL DER ZUR VERFUGUNG STEHENDEN ARBEITSKRAFTE EINZUSETZEN.
»Schade«, murmelte Pomrath. »Mein herzliches Beileid an die Hohe Regierung.«
Er steckte den Zettel in den Abfallschlitz und wandte sich ab. Er bahnte sich einen Weg durch die reglos wartende Menge, die wie er die schlechten Nachrichten personlich erfahren wollte. Das war also sein Besuch bei der Job-Maschine gewesen.
»Wie spat ist es?« fragte er.
»Halb funf«, erwiderte die Uhr.
»Ich denke, ich gehe noch auf einen Sprung in eine nette Traumbar. Keine schlechte Idee, was?«