Die Uhr in seinem Ohr war nicht auf Antworten dieser Art programmiert. Fur das doppelte Geld konnte man eine bekommen, die sich wirklich mit einem unterhielt, die uber andere Dinge als die Zeit sprach. Pomrath fand, da? er sich so einen Luxus jetzt nicht leisten konnte. Au?erdem war er nicht so auf Geselligkeit aus, da? er sich nach einer Unterhaltung sehnte. Aber er wu?te, da? es Menschen gab, die darin Trost suchten.

Er trat in das blasse Sonnenlicht des Fruhlingsnachmittags hinaus.

Die Traumbar, die er zumeist aufsuchte, befand sich vier Hauserblocks weiter. Es gab eine Menge Traumbars im naheren Umkreis der Job-Maschine, aber Pomrath ging nur in die eine. Weshalb auch nicht? Man bekam in jeder die gleichen Gifte, und so wahlte man eben eine, in der man am besten bedient wurde. Selbst ein Arbeitsloser der Klasse Vierzehn schatzt es, wenn man ihn als Kunden betrachtet — wenn auch nur in einer Traumbar.

Pomrath ging schnell. Die Stra?en waren uberfullt. In letzter Zeit kam das Fu?gangertum wieder in Mode. Der kleine, untersetzte Pomrath hatte wenig Geduld mit Hindernissen, die sich ihm in den Weg stellten. In einer Viertelstunde hatte er die Traumbar erreicht. Sie befand sich im vierzigsten Untergescho? eines Tankbaubetriebs. Alle Bars, in denen mit Illusionen gehandelt wurde, mu?ten sich unter der Erde verstecken. Man wollte nicht, da? Kinder, die ja leicht zu beeinflussen sind, fruhzeitig auf die schiefe Bahn gerieten. Pomrath betrat das Gebaude und nahm den Expre? nach unten. Es gab hier achtzig Stockwerke, und die untersten standen in Verbindung mit anderen Gebauden. Aber so tief unten war Pomrath noch nie gewesen. Er uberlie? die unterirdischen Abenteuer den Mitgliedern der Hohen Regierung.

Vor der Traumbar brannten grelle Argonlampen. Die meisten dieser Etablissements hatten sich auf Automation umgestellt, aber hier wurde man noch personlich bedient. Und das war es, was Pomrath schatzte. Er konnte hineingehen, und da stand der gute, alte Jerry, der ihn aus blutunterlaufenen Augen ansah. Es waren menschliche Augen.

»Norm. Schon, da? du kommst.«

»Ich wei? nicht. Was macht das Geschaft?«

»Lausig. Willst du eine Maske?«

»Mit Vergnugen«, sagte Pomrath. »Und die Frau? Endlich schwanger?«

Der dicke Mann hinter der Theke grinste. »Ich mu?te ja glatt verruckt sein. In Klasse Vierzehn kann man keinen Stall voller Kinder brauchen. Ich habe mich zur Kinderlosigkeit verpflichtet, Norm. Hast du das vergessen?«

»Wahrscheinlich«, meinte Pomrath. »Ist ja auch egal. Manchmal wunsche ich, ich hatte es auch getan. Gib mir die Maske.«

»Was atmest du ein?«

»Butylmerkaptan«, sagte er beilaufig.

»Mach keine Witze. Du wei?t genau …«

»Dann eben Nitrosaure. Mit einem Schu? Laktose-Dehydrogenase 5. Zur Anregung.«

Pomrath erntete ein Lachen, aber es war das mechanische Lachen eines Barkeepers, der einen verbitterten Kunden besanftigen mochte. »Hier, Norm. Hor auf, mich zu argern, und nimm das da. Auf einen schonen Traum! Du hast Lager Neun. Und ich bekomme anderthalb.«

Pomrath nahm die Maske und legte ein paar Munzen hin. Dann zog er sich auf die Liege zuruck. Er streifte die Schuhe ab und streckte sich aus. Dann druckte er die Maske ans Gesicht und atmete tief ein. Ein harmloses Vergnugen, ein mildes Halluzinationsgas, eine schnelle Illusion, um den Alltag zu farben. Wahrend Pomrath umnebelt wurde, spurte er, wie Elektroden gegen seine Stirn gepre?t wurden. Die offizielle Erklarung war, da? man sie zur Kontrolle seines Alpha-Rhythmus brauchte. Wenn die Illusion zu heftig wurde, konnte man ihn wecken, bevor er sich etwas antat. Pomrath hatte schon Geruchte gehort, da? die Elektroden anderen, schlimmeren Zwecken dienten. Sie sollten die Halluzinationen aufzeichnen und den Klasse-Zwei-Millionaren vorspielen, die hin und wieder ein Vergnugen daran fanden, in der Haut eines kleinen Proleten zu stecken. Pomrath hatte Jerry deswegen zur Rede gestellt, aber Jerry hatte es verneint. Nun ja, so wichtig war es nicht. Wenn man gern mit Halluzinationen aus zweiter Hand handelte, bitte. Pomrath war es egal, solange er sein eigenes Vergnugen hatte.

Er lie? sich von den Traumen einfangen.

Plotzlich war er in Klasse Zwei, als Besitzer einer Villa auf einer kunstlichen Insel im Mittelmeer. Er hatte nichts als einen Streifen grunen Tuchs um die Hufte geschlungen und lag wohlig auf einem aufgeblasenen Stuhl am Rand des Meeres. Ein Madchen schaukelte vor ihm im kristallklaren Wasser, und auf ihrer feuchten, sonnengebraunten Haut schimmerte die Sonne. Sie lachelte ihn an, und er winkte ihr zu. Sie sah hubsch aus im Wasser, dachte er.

Er war Vizekonig fur die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Moslem-Ost, ein herrliches Klasse-Zwei- Postchen, das hin und wieder einen Besuch in Mekka und ein paar Winterkonferenzen in Kairo erforderte. Er hatte ein schones Haus in der Nahe von Fargo in Nord-Dakota, ein geschmackvolles Apartment in der New Yorker Zone von Appalachia und naturlich seine Insel im Mittelmeer. Er rechnete fest damit, da? er bei der nachsten Umbildung der Hohen Regierung in Klasse Eins gelangte. Danton beriet sich oft mit ihm, und Kloofman hatte ihn schon ein paarmal zum Abendessen in das hundertste Kellergescho? eingeladen. Sie hatten sich uber Weinsorten unterhalten. Kloofman war ein Feinschmecker. Er und Pomrath hatten einen Abend lang einige Flaschen Chambertin genossen, den die Maschinen noch im Jahre 74 hergestellt hatten. Ein gutes Jahr, 74. Besonders fur die schweren Burgunder.

Helaine kletterte aus dem Wasser und stand schlank und nackt vor ihm, nur in warmes Sonnenlicht eingehullt.

»Liebling, warum schwimmst du heute nicht?« fragte sie.

»Ich habe nachgedacht. Es scheint sich einiges anzubahnen.«

»Du wei?t, da? mir das Denken Kopfschmerzen macht. Gibt es dafur denn keine Regierung?«

»Kleine Wurstchen wie dein Bruder Joe? Sei nicht albern, Kleines. Es gibt die Regierung, und es gibt die Hohe Regierung, und das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Ich habe meine Verantwortung. Und deshalb mu? ich nachdenken.«

»Worum geht es?«

»Ob ich Kloofman helfen soll, Danton um die Ecke zu bringen.«

»Tatsachlich, Liebling? Aber ich dachte, du warst in Dantons Partei.«

Pomrath lachelte. »Ich war es. Aber Kloofman ist ein Weinkenner. Er hat mich herumgekriegt. Wei?t du, was er sich fur Danton zurechtgelegt hat? Es ist gro?artig! Ein Laser, der so programmiert ist, da? er losgeht, wenn …«

»Sag’s nicht«, meinte Helaine. »Ich konnte das Geheimnis nicht fur mich behalten.« Sie drehte sich um. Pomrath lie? seine Blicke uber ihren uppigen Korper gleiten. Sie hat noch nie so gut ausgesehen, dachte er. Er fragte sich, ob er wirklich bei der Ermordung mitmachen sollte. Danton wurde ihn gut belohnen, wenn er ihm den Plan verriet. Er mu?te sich die Sache noch einmal grundlich uberlegen.

Der Butler kam aus der Villa gerollt und blieb auf seinen vier ausziehbaren Beinen neben Pomraths Stuhl stehen. Pomrath betrachtete den grauen Metallkasten liebevoll. Was gab es Besseres als einen Butler, der auf den Alkoholkreislauf seines Herrn programmiert war!

»Rum, abgeseiht«, sagte Pomrath.

Der spinnenartige Arm aus Titanfiber reichte ihm das Getrank. Er schlurfte voll Genu?. Hundert Meter vom Ufer entfernt stiegen plotzlich Blasen aus dem Wasser auf, als ob irgendein Ungeheuer durch die Tiefe zoge. Und dann kam eine lange Korkenziehernase an die Wasseroberflache. Ein Metallkrake, der ihm einen Besuch abstatten wollte. Pomrath machte eine Verteidigungsbewegung, und sofort bildeten die Wachzellen der Insel einen Staketenzaun aus Kupferdraht. Zwischen den Kupferdrahten schimmerte ein Verteidigungsschirm.

Der Krake kletterte ans Ufer. Er griff den Verteidigungsschirm nicht an. Sechs Meter ma? das graugrune Ding, als es sich ganz aus dem Wasser erhoben hatte. Es warf einen Schatten uber Helaine und Pomrath. Die Augen waren gro? und gelb. In dem rohrenformigen Schadel offnete sich ein Deckel, und eine Plattform wurde nach oben geschoben, auf der ein menschliches Wesen stand. Der Krake war also nichts als ein Transportmittel, dachte Pomrath. Er erkannte die Gestalt, die ans Ufer kam, und senkte den Verteidigungsschirm.

Es war Danton.

Kuhle Augen, eine scharfe Adlernase, schmale Lippen und eine dunkle Gesichtshaut verrieten eine sehr gemischte Vorfahrenschaft. Als der machtige Mann aus Klasse Eins ans Ufer trat, nickte er hoflich der nackten

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