Beth schien es selbst zu merken.

»Setz dich«, sagte sie. »Ruh dich aus und unterhalte dich ein wenig mit mir. Ich sage dir, Helaine, da? ich kaum noch zwischen Wirklichkeit und Traum unterscheiden kann, seit Bud nicht zuruckkam. Ich wunsche nur, da? dir diese Qual erspart bleibt.«

»Du darfst die Hoffnung noch nicht aufgeben«, sagte Helaine sanft.

Leere Worte. Helaine wu?te es. Beth Wisnack wu?te es auch.

Vielleicht sollte ich mit meinem Bruder sprechen, dachte sie. Vielleicht kann er etwas fur uns tun. Er ist Klasse Sieben, ein bedeutender Mann.

3

Quellen war froh, da? er Koll und Spanner entfliehen konnte. Sobald er in seinem eigenen Buro, hinter seinem kleinen, aber privaten Schreibtisch sa?, spurte er wieder seinen Status. Egal, wie sehr Koll ihn herumschubste, er war immerhin jemand.

Er klingelte nach Brogg und Leeward, und die beiden Untersekretare erschienen sofort.

»Schon, da? Sie wieder da sind«, sagte Brogg murrisch. Er war ein gro?er, nuchterner Mann mit einem schwerfalligen Gesicht und dicken, haarigen Fingern. Quellen nickte ihm zu und griff nach dem Schalter fur die Sauerstoffzufuhr, den er von Koll aufgefangen hatte. Aber Brogg schien ganz und gar nicht beeindruckt. Er war zwar nur Klasse Neun, aber er hatte Macht uber Quellen, und er wu?te es.

Auch Leeward war nicht beeindruckt, allerdings aus anderen Grunden. Leeward hatte einfach kein Gefuhl fur kleine Gesten. Er war ein gro?er, unscheinbarer, fahler Mensch, der seine Arbeit mit Methode und Routine erledigte. Nicht dumm, aber auch nicht dazu geeignet, je uber Klasse Neun hinauszukommen.

Quellen beobachtete seine beiden Assistenten. Er konnte dem prufenden Blick von Brogg nicht standhalten. Brogg war der Mann, der von seinem Versteck in Afrika wu?te. Ein Drittel von Quellens Monatsgehalt war der Preis fur Broggs Schweigen. Leeward wu?te nichts, und er kummerte sich auch um nichts. Er bekam seine Befehle nicht von Quellen, sondern direkt von Brogg, und Erpressung war nicht seine Art.

»Ich nehme an, Sie wissen, da? man uns mit der Nachforschung uber das Verschwinden der Proleten beauftragt hat«, begann Quellen. »Die sogenannten Zeitreisenden sind ein Problem fur unsere Abteilung geworden, wie wir es schon seit einigen Jahren vorausgesehen haben.«

Brogg legte ein dickes Bundel von Mini-Notizen auf den Tisch. »Ich wollte mich gerade mit Ihnen uber die Lage unterhalten. Die Hohe Regierung zeigt ein besonderes Interesse an dem Fall. Koll hat Ihnen zweifellos gesagt, da? Kloofman personlich dahintersteckt. Ich habe die neue Statistik. In den ersten vier Monaten dieses Jahres sind achtundsechzigtausend Proleten verschwunden.«

»Aber Sie nehmen sich der Falle an?«

»Naturlich«, sagte Brogg.

»Schon Fortschritte gemacht?«

»Hm.« Brogg ging in dem kleinen Raum auf und ab und wischte sich den Schwei? von den Hangebacken. »Sie kennen die Theorie, die von manchen bestritten wird. Da? namlich die Zeitreisenden aus unserem Zeitraum kommen. Ich habe alles nachgepruft. Geben Sie Ihren Bericht, Leeward.«

»Eine statistische Untersuchung zeigt, da? die Theorie stimmt«, sagte Leeward. »Das augenblickliche Verschwinden von Proleten steht in direkter Verbindung zu geschichtlichen Berichten, die das Erscheinen von Zeitreisenden im spaten zwanzigsten Jahrhundert behandeln.«

Brogg deutete auf einen blauen Umschlag, der auf Quellens Schreibtisch lag. »Eine Spule mit einem Geschichtswerk. Ich habe es fur Sie hingelegt. Es bestatigt meine Untersuchungen. Die Theorie ist richtig.«

Quellen fuhr sich mit dem Finger uber das Kinn und fragte sich, wie es wohl sein mu?te, wenn man so viel Fett wie Brogg mit sich herumschleppte. Brogg schwitzte entsetzlich. Er hatte einen gequalten Gesichtsausdruck. Seine Augen bettelten Quellen geradezu, die Sauerstoffzufuhr weiter zu offnen. Der Augenblick der Uberlegenheit machte den Kriminalsekretar glucklich, und er machte keine Bewegung zur Wand.

»Bis jetzt haben Sie nur die Fakten bestatigt«, sagte Quellen scharf. »Wir wissen, da? die Zeitreisenden etwa aus unserer Ara stammen. Das steht seit etwa 1979 fest. Die Hohe Regierung befiehlt uns, den Verteilungsvektor festzustellen. Ich habe einen Aktionsplan ausgearbeitet.«

»Der naturlich von Koll und Spanner genehmigt wurde«, sagte Brogg in seiner unverschamten Art.

»Jawohl«, sagte Quellen mit Nachdruck. Es verargerte ihn, da? Brogg ihn so leicht aus dem Konzept bringen konnte. Koll, ja, Spanner, ja — aber Brogg wu?te zu viel uber ihn. »Sie sollen den Kerl ausfindig machen, der die Zeitreisen organisiert«, erklarte Quellen. »Tun Sie alles, um seine illegale Tatigkeit zu unterbinden. Bringen Sie ihn her. Ich mochte, da? er gefangen wird, bevor er weitere Personen in die Vergangenheit schickt.«

»Ja, Sir«, sagte Brogg mit ungewohnter Unterwurfigkeit. »Wir werden uns damit beschaftigen. Das bedeutet, da? wir unsere bisherige Untersuchung fortfuhren werden. Wir haben in den verschiedenen Proletengebieten Spurensucher eingesetzt. Wir tun, was wir konnen, und wir glauben, da? alles nur eine Frage der Zeit ist. Noch ein paar Tage oder eine Woche. Die Hohe Regierung wird zufrieden sein.«

»Hoffentlich«, sagte Quellen scharf und entlie? die beiden.

Er schaltete einen Sichtschirm ein und sah weit hinunter auf die Stra?e. Es schien ihm, als konnte er die winzigen Gestalten von Brogg und Leeward ausmachen, als sie auf die Stra?e traten und sich unter die Menschenmassen mischten, die zu den Schnellbootrampen drangten. Quellen wandte sich ab, griff mit einem erleichterten Aufatmen nach dem Schalter und stellte die Sauerstoffzufuhr auf Maximum. Er lehnte sich zuruck. Verborgene Finger im Stuhl massierten ihn. Er sah das Material an, das Brogg ihm dagelassen hatte, und rieb sich mude die Augen.

Zeitreisende!

Alles burdete man ihm auf, alle merkwurdigen Dinge, alle Verschworungen gegen Gesetz und Ordnung. Vor vier Jahren war es dieses Syndikat gewesen, das mit kunstlichen Organen Schwarzhandel betrieb. Quellen schauderte. Bauchspeicheldrusen, mit denen in stinkenden Seitenwegen geschachert wurde, pulsierende Herzen, endlose Rollen wei?licher Innereien, die von schweigenden, unauffalligen Gestalten verkauft wurden. Und dann kam die Sache mit der Fruchtbarkeitserhaltung und das schmuddelige Geschaft mit den Samenzellen. Oder die angeblichen Geschopfe aus einem benachbarten Universum, die in den Stra?en von Appalachia auftauchten, mit schrecklichen roten Kiefern klapperten und den Kindern schuppige Klauen entgegenstreckten. Quellen war mit diesen Dingen fertig geworden, nicht sehr elegant zwar, denn Eleganz war nicht seine Art, aber immerhin wirksam.

Und nun die Zeitreisenden.

Der Auftrag machte ihn unruhig. Er hatte um Nieren aus zweiter Hand gefeilscht und die Preise von Samenzellen verglichen, aber er hatte keine Ahnung, wie er mit dieser illegalen Zeitreise fertig werden sollte. Die Grenzen des Kosmos schienen sich zu verlieren, wenn man erst einmal an diese Moglichkeit dachte. Es war schon schlimm genug, da? der Strom der Zeit unerbittlich vorwartsflo?. Das konnte der Mensch verstehen, wenn es ihm auch nicht gefiel. Aber ruckwarts? Die Umkehr aller Logik, die Verneinung jedes vernunftigen Denkens? Quellen war ein vernunftiger Mann. Das Zeitparadoxon bereitete ihm Kummer. Vor allem, da er wu?te, wie leicht es war, das Stati-Feld zu betreten, Appalachia den Rucken zuzukehren und zu der Ruhe und Feuchtigkeit seines afrikanischen Verstecks Zuflucht zu nehmen.

Er bekampfte die Apathie, die ihn beschlich, und schaltete den Projektionsapparat ein. Langsam gewohnten sich seine Augen an das Schwarz-Wei?-Bild. Die Spule begann sich abzuwickeln. Quellen beobachtete die Worte, die an seinen Augen vorbeizogen.

Das erste Zeichen einer Invasion aus der Zukunft entdeckte man etwa im Jahre 1979, als mehrere Menschen in merkwurdiger Kleidung im Gebiet von Appalachia auftauchten, damals als Manhattan bekannt. Die Aufzeichnungen besagen, da? sie im Laufe des folgenden Jahrzehnts mit zunehmender Haufigkeit erschienen. Auf Befragen gestanden sie schlie?lich alle, da? sie aus der Zukunft kamen. Die Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts mu?ten sich unter dem Druck des Augenscheins schlie?lich damit abfinden, da? sie von einer friedlichen, wenn auch beunruhigenden Volkerwanderung aus der Zukunft heimgesucht

Вы читаете Flucht aus der Zukunft
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату