Lady Edgware vor. Sie trug eine goldhaarige Perucke und war mittels raffinierter Toilettenkunste bis zum Verwechseln Lady Edgware ahnlich, deren Buhnenname, wie Sie wissen werden, Jane Wilkinson lautet. Miss Adams - sofern sie es war blieb nur kurze Zeit; schon knapp zehn Minuten nach zehn verlie? sie das Haus in Regent Gate wieder, aber kehrte desungeachtet erst nach Mitternacht heim, wo sie sich, nach dem Einnehmen einer Uberdosis Veronal, zur Ruhe begab. Jetzt wird Ihnen vielleicht Sinn und Zweck meiner vielen Fragen klar, Mademoiselle.«

Jenny atmete tief auf.

»Ja«, sagte sie. »Und ich glaube, da? Sie mit Ihrer Ansicht das Richtige getroffen haben. Ich meine, da? die abendliche Besucherin Carlotta gewesen ist. Denn erstens kaufte sie sich gestern bei mir einen Hut, und zweitens hob sie ausdrucklich hervor, da? sie einen brauche, der die linke Seite ihres Gesichtes schutze.«

Hier mu? ich ein paar erklarende Worte einschalten, da ich nicht wei?, wann dieses Buch gelesen werden wird. Ich habe im Wandel der Zeit mancherlei Hutmoden erlebt - die Glocke, die das Gesicht der Tragerin so restlos beschattete, da? man bei dem Versuch, eine Freundin zu erkennen, in Verzweiflung geriet. Den nach vorn geneigten Hut, den Hut, der verwegen auf der Spitze einer ausladenden Haarfrisur schwebte, das Barett, die Toque und manche andere Spielarten. In diesem Junimonat glich der Hut einem umgekehrten Suppenteller, klebte auf einem Ohr und gab die andere Seite des Gesichts und des Haares der Besichtigung preis.

»Gewohnlich werden diese Hute auf der rechten Kopfhalfte getragen, nicht?« warf mein in Modesachen ziemlich beschlagener Freund hin, worauf die kleine Modistin bestatigend nickte.

»Immerhin fuhren wir stets auch etliche Formen fur die linke Seite«, erlauterte sie. »Weil es namlich Damen gibt, die ihr rechtes Profil hubscher finden als das linke oder die den Scheitel unentwegt uber dem linken Auge munden lassen. Haben Sie denn irgendeine Vermutung, weshalb Carlotta entgegen ihrer sonstigen Haartracht jene Gesichtshalfte verdunkelt wunschte?«

Ich entsann mich sofort, da? die Tur von Lord Edgwares Haus nach links aufging, so da? der Butler jeden Eintretenden von dieser Seite deutlich sehen mu?te. Und des weiteren entsann ich mich, da? Jane Wilkinson (zufallig hatte ich es neulich abend bemerkt) ein winziges Mal unweit des linken Augenwinkels hatte.

Aufgeregt teilte ich meine Beobachtung den beiden mit, und Poirot gab mir recht.

»So verhalt es sich, ja, ja. Vous avez parfaitement raison, Hastings. Das erklart den Kauf des linksseitigen Hutes.«

»Monsieur Poirot.« Kerzengerade sa? das kluge kleine Person dien plotzlich. »Sie konnen doch nicht eine Sekunde nur daran denken, da? Carlotta ihn ermordete? Nicht wahr, das denken Sie nicht, trotzdem sie so erbittert von ihm sprach?«

»Nein, das denke ich nicht. Indes mochte ich gern den Grund fur dies lieblose, harte Urteil kennen. Was hat er verbrochen? Was wu?te sie von ihm, das sie zu solcher Erbitterung hinri??«

»Das ahne ich nicht. Aber da? sie ihn nicht totete, dafur burge ich. Sie war dafur zu ... zu kultiviert, zu fein.«

»Bravo, Mademoiselle! Ich selbst hatte es psychologisch nicht besser erfassen konnen. Wissenschaftliche Erfahrung war bei dem Verbrechen im Spiel, aber keine Feinheit.«

»Wissenschaftliche Erfahrung?«

»Ja, Mademoiselle. Denn der Morder wu?te ganz genau, wo er die Mordwaffe ansetzen mu?te, um das Hauptnervenzentrum am Ende des Schadels zu treffen.«

»Das deutet ja beinahe auf einen Arzt hin.«

»Kannte Miss Adams irgendeinen Arzt naher?«

»Nein. Wenigstens lie? sie niemals derartiges verlauten.«

»Trug sie aber vielleicht einen Kneifer?«

»Carlotta? Bei ihren guten Augen? Welch drollige Frage, Monsieur Poirot!«

»Ah!« Mein Freund furchte grubelnd die Stirn.

Meine Phantasie aber zauberte mir das Bild eines Doktors vor die Seele, der betaubende Karboldunste um sich verbreitete und mit kurzsichtigen Augen durch scharfe Glaser stierte. Eine scheu?liche Vorstellung!

»Hat Miss Adams ubrigens den Filmschauspieler Martin Bryan gekannt?« ri? mich Hercule Poirots Stimme in die Wirklichkeit zuruck.

»Gewi?. Eine Bekanntschaft, die sogar bis in die Kinderzeit zuruckreicht. Trotzdem sahen sie sich nur hie und da. Sie behauptete, er sei durch seine Erfolge sehr aufgeblasen geworden.« Besorgt schaute Jenny Driver auf ihre Armbanduhr. »Du meine Gute, ich mu? fort! Bin ich Ihnen uberhaupt behilflich gewesen, Monsieur Poirot?«

»Sehr. Und ich werde Ihre Hilfe noch weiterhin in Anspruch nehmen.«

»Ich stehe zu Ihrer Verfugung, sooft Sie mich benotigen. Irgend jemand zettelte diese Teufelei an. Oh, wir werden den Schurken schon aufspuren!«

Sie schuttelte uns beiden kraftig die Hand, lie? ihre wei?en Zahne in einem fluchtigen Lacheln aufblitzen und stob davon mit charakteristischer Plotzlichkeit.

»Ein Personchen, das das Herz auf dem rechten Fleck hat«, sagte Poirot, als er die Rechnung beglich.

»Mir gefallt sie auch.«

»Es tut immer wohl, wenn man einem hellen Verstand begegnet, Hastings.«

»Ein bi?chen mehr Gefuhl konnte ihr freilich nicht schaden«, bemerkte ich. »Die Kunde von dem jahen Ende ihrer Freundin warf sie viel weniger aus dem Gleichgewicht, als ich gefurchtet hatte.«

»Was wollen Sie .? Sie gehort nicht zu den Menschen, deren Tranendrusen gleich Strome vergie?en«, gab Hercule mir auf seine Art recht.

»Hat Sie die Unterredung wenigstens befriedigt?«

»Nicht vollig. Ich hoffte, einen Fingerzeig hinsichtlich der Personlichkeit des D., des Gebers der rubinengeschmuckten Golddose, zu erhalten. Und das ist mir nicht gelungen. Unglucklicherweise war Carlotta Adams eine verschlossene Natur, die ihre Liebesgeschichten nicht den Freundinnen ausplauderte. Andererseits braucht der unbekannte Urheber des sogenannten Possenspiels ihrem Herzen gar nicht nahegestanden zu haben, sondern kann ein oberflachlicher Bekannter gewesen sein, der den >Scherz< unter dem Deckmantel einer Wette in die Wege leitete und ihn ihr durch die Aussicht auf einen hohen Gewinn schmackhaft zu machen verstand. Dieser Unbekannte hat die Golddose moglicherweise in ihrem Besitz gesehen und sich eine Gelegenheit verschafft, deren Inhalt festzustellen.«

»Aber wie in aller Welt bewog man sie, das Gift zu nehmen? Und wann?«

»Mon cher, erinnern Sie sich, da? die Wohnungstur wahrend der Zeit, als das Madchen den Brief zur Post trug, nicht abgeschlossen war? Offen gestanden, diese Theorie befriedigt mich nicht, Hastings, weil sie dem Zufall zu viele Moglichkeiten einraumt. Aber jetzt an die Arbeit! Wir haben noch zwei Fingerzeigen nachzugehen.«

»Die sind?«

»Zunachst der Telefonanruf bei dem Amt Victoria. Es ist nicht ausgeschlossen, da? Carlotta Adams telefonieren wollte, um ihren Erfolg zu verkunden. Freilich, wo hielt sie sich zwischen zehn Uhr zehn und Mitternacht auf? Verbrachte sie diese Zeit in Gesellschaft des Anstifters, so mag der Telefonanruf gut und gern auch nur einer x-beliebigen befreundeten Person gegolten haben.«

»Und der zweite Fingerzeig?«

»Ach, auf den setze ich nur geringe Hoffnung. Der Brief, Hastings. Der Brief an die Schwester. Es ist moglich - ich sage nur moglich -, da? sie die ganze Angelegenheit in ihm beschrieb. Da man den Brief erst eine Woche spater und zudem in einem anderen Land lesen wurde, mag sie eine solche Beichte nicht als Vertrauensbruch aufgefa?t haben. Aber, wie gesagt, Hastings, meine Hoffnung ist gleich Null. Nein, wir mussen die Sache vom anderen Ende her anpacken.«

»Was nennen Sie das andere Ende?«

»Eine sorgfaltige Suche nach jenen, denen der Tod Lord Edgwares Vorteil bringt.«

Ich zuckte die Schulter. »Au?er seinem Neffen und seiner Frau .«

»Und dem Mann, den seine Witwe zu heiraten beabsichtigte«, fiel Poirot mir ins Wort.

»Der Herzog? Er ist in Paris.«

»Zugegeben. Trotzdem steht er nicht au?erhalb des fraglichen Kreises. Und dann das Hauspersonal: der Butler, die anderen dienstbaren Geister. Wer wei?, welchen Groll sie gehegt haben! Aber unser weiteres Vorgehen leiten wir meines Erachtens am besten damit ein, da? wir eine neuerliche Unterredung mit Jane Wilkinson herbeifuhren. Sie ist gewitzt; sie bringt uns moglicherweise auf eine Spur.«

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