»Ich fuhle mich durch Ihre Aufmerksamkeit insgemein geschmeichelt, Monsieur Poirot. Und Hauptmann Hastings macht den Eindruck, als hatte er ein Gespenst gesehen oder als erwarte er es in jeder Sekunde. Mein Lieber, seien Sie nur nicht allzu gespannt . Also, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, bei dem gottlosen Neffen, der den Verdacht schnode auf die verha?te Tante lenkt. Mit zarter, madchenhafter Stimme gibt er sich dem Butler als Lady Edgware zu erkennen und trippelt mit winzigen Schritten an ihm vorbei. >Jane!< schreit mein teurer Onkel bei meinem Anblick. >George!< lispele ich. Dann schlinge ich meine Arme um seinen Nacken und bohre ihm das Taschenmesser ins Ruckgrat. Uber die nachsten Einzelheiten konnen wir, da sie rein medizinischer Art sind, hinweggehen. Es genugt zu erwahnen, da? die falsche Dame das Haus verla?t und sich mit dem Gedanken zu Bett begibt, ein gutes Tagewerk hinter sich zu haben.«

Er lachte, stand auf, um sich einen neuen Whiskysoda einzugie?en und kehrte hierauf gemachlich zu seinem Sessel zuruck.

»Klappt fein, wie? Aber sehen Sie, jetzt flaut das Ganze ab, jetzt naht die Enttauschung. Denn nunmehr sind wir bei dem Alibi angelangt, Monsieur Poirot.« Er sturzte den Inhalt des Glases hinunter. »Ich finde Alibis immer sehr genu?reich. Sooft ich eine Detektivgeschichte lese, lauere ich stets vom ersten Kapitel an gierig auf das Alibi. Ich habe Ihnen ein ausgezeichnetes zu bieten: Mr., Mrs. und Miss Dortheimer, au?erordentlich reiche und au?erordentlich musikalische Herrschaften. Sie haben eine Loge im Covent Garden. In diese Logen pflegen sie junge Herren mit aussichtsreicher Zukunft zu bitten. Ich, Monsieur Poirot, bin ein solcher junger Herr - so trefflich, wie Sie ihn sich uberhaupt nur wunschen konnen. Ob ich die Oper liebe? Ehrlich gestanden, nein. Aber ich nehme gern das reichhaltige Dinner in Grosvenor Square mit und lehne auch das anschlie?ende Supper nicht ab, selbst wenn es mich zum Tanz mit Rachel Dortheimer verpflichtet und ich noch zwei Tage hinterher mit einem lahmen Arm herumlaufe. Das ist nun sehr traurig, Monsieur Poirot: Als namlich Onkels Leben mit seinem Blut verstromte, tuschelte ich frohliche Nichtigkeiten in das brillantengeschmuckte Ohr der blonden - Pardon - der schwarzen Rachel. Und deshalb, mein sehr verehrter Monsieur Poirot, darf ich es mir erlauben, so freimutige Reden zu fuhren. Ich habe Sie doch hoffentlich nicht gelangweilt? Haben Sie sonst noch einige Fragen?«

»Ich kann Ihnen die Versicherung geben, da? Sie mich nicht im mindesten gelangweilt haben«, ergriff Poirot endlich das Wort, »aber da Sie so liebenswurdig sind, mochte ich noch eine kleine Frage stellen.«

»Bitte.«

»Seit wann, Lord Edgware, kennen Sie Carlotta Adams?«

Da? sich die Frage auf diese Kunstlerin beziehen wurde, hatte der junge Herr bestimmt nicht erwartet. Er richtete sich aus seiner nachlassigen Haltung auf und sah meinen Freund mit einem ganzlich neuen Ausdruck an.

»Warum wollen Sie das wissen? Was hat es mit dem zu schaffen, was wir hier erortern?«

»Ich bin ein bi?chen neugierig veranlagt - das ist alles. Im ubrigen aber haben Sie alles so ausfuhrlich erklart, da? es keiner weiteren Frage meinerseits bedarf.«

Ronald streifte ihn mit einem raschen Blick. Es war beinahe, als ob er Poirots freundlicher Nachgiebigkeit nicht traute, als ob er ihn lieber argwohnisch gesehen hatte.

»Carlotta Adams?« begann er seinerseits. »Warten Sie mal -nun, ein Jahr oder etwas langer werde ich sie kennen. Richtig, anla?lich ihres vorjahrigen Gastspiels wurden wir bekannt.«

»Sie kennen sie gut?«

»Ziemlich. Miss Adams gehort nicht zu den Madchen, die man im Handumdrehen kennenlernt; sie ist zuruckhaltend und verschlossen.«

»Aber Sie mogen sie gern?«

Der junge Lord Edgware warf ihm einen abermaligen prufenden Blick zu.

»Wenn ich nur wu?te, was Sie eigentlich die junge Dame angeht? Etwa, weil ich neulich abends mit ihr zusammen war? Ja, ich mag sie sogar sehr gern. Sie hat eine liebe Art, hort einen Menschen an und gibt ihm das Gefuhl, da? er letzten Endes doch etwas taugt.«

Poirot nickte.

»Das verstehe ich. Dann werden Sie um so betrubter sein.«

»Betrubter?«

»Wenn Sie die Nachricht horen ...« »Welche Nachricht?« unterbrach Ronald wiederum.

»Da? sie tot ist.«

»Was?« Mit einem Satz war der junge Mann auf den Fu?en. »Carlotta tot? Ah, Monsieur Poirot, Sie erlauben sich einen Scherz! Carlotta war, als ich sie das letztemal sah, vollkommen wohl!«

»Wann haben Sie sie zum letztenmal gesehen?« fragte Poirot.

»Vorgestern.«

»Tout de meme, sie ist tot.«

»Um Gottes willen, wie denn? Ein Stra?enunfall? Uberfahren?«

Poirot betrachtete die getafelten Felder der Decke.

»Nein. Sie nahm eine Uberdosis Veronal.«

»Das arme kleine Ding! Wie furchtbar!« Lord Edgware legte, wie betaubt, die Hand uber die Augen.

»N'estcepas?«

»Tot, jetzt, da sich alles so gut anlie?? Sie wollte ihre kleine Schwester zu sich kommen lassen und hatte noch hundert andere Plane. Verdammt, das nimmt mich mehr mit, als ich Ihnen sagen kann.«

»Ja, es ist unsaglich traurig, zu sterben, wenn das Leben verhei?ungsvoll vor einem liegt. Glauben Sie, auch mich bekummert es, wenn ich die Jugend ihres Rechts zu leben beraubt sehe, Lord Edgware. Ah, das greift mir sogar ans Herz . Und nun sage ich Ihnen Lebewohl.«

»Oh . oh . « Ronald nahm ziemlich verwirrt die ihm gebotene Hand. »Leben Sie wohl, Monsieur Poirot.«

Als ich die Tur offnete, prallte ich fast mit Miss Carroll zusammen.

»Man hat mir gesagt, da? Sie noch nicht fort seien. Und da ich noch gern ein paar Worte mit Ihnen reden mochte, wollte ich Sie bitten, mit auf mein Zimmer zu kommen.«

»Selbstverstandlich, Mademoiselle.«

»Es betrifft das Kind . die Geraldine«, erganzte sie, wahrend wir die Schwelle ihres Heiligtums uberschritten. »Was hat sie fur einen Unsinn geschwatzt ...! Widersprechen Sie nicht, Monsieur Poirot. Unsinn nenne ich es, und Unsinn war es.«

»Ihre Nerven gaben nach«, begutigte Poirot.

»Ja, gewi?. Um ehrlich zu sein: Sie hat wenig frohe Stunden in ihrem Leben gekannt. Lord Edgware ubte in bezug auf Geraldine eine Schreckensherrschaft aus. Er war nicht der Mann, dem man die Erziehung eines Kindes hatte anvertrauen durfen; er fuhlte sich nur wohl, wenn er Angst und Furcht um sich verbreitete, und geno? es mit geradezu krankhaftem Vergnugen.«

»Das deckt sich mit dem Eindruck, den er auf mich machte, Mademoiselle.«

»Ah, dann werden Sie also nicht glauben, da? ich ubertreibe? Ein au?erordentlich belesener Mann, mit einem Verstand, der den Durchschnitt weit uberragte . und dennoch! Wenn ich selbst unter dieser Schattenseite seines Wesens auch nicht zu leiden hatte, so darf ich sie doch nicht leugnen. Offen gestanden uberrascht es mich nicht, da? seine Frau ihn verlie?. Die jetzige Frau, meine ich. Ich habe keine gute Meinung uber sie, doch als sie Lord Edgware heiratete, burdete ihr das Schicksal Schlimmeres auf, als sie verdiente. Nun, sie verlie? ihn - ohne da? ihr das Herz daruber brach. Aber Geraldine, die Arme, konnte ihn nicht verlassen. Und manchmal habe ich das Gefuhl gehabt, als wollte er durch die brutale Behandlung, die er ihr angedeihen lie?, seine Rache an ihrer Mutter, seiner ersten Gattin, stillen. Sie soll ein gutherziges kleines Ding gewesen sein, weich und anschmiegsam. Wenn Geraldine sich vorhin nicht so toricht benommen hatte, wurde ich diese traurigen Familiengeschichten gar nicht aufruhren; aber jetzt fuhle ich mich dazu verpflichtet, damit Sie kein schiefes, ha?liches Bild von dem Kind gewinnen. Aus dem Munde der Tochter zu horen, sie habe ihren ermordeten Vater geha?t - das mu? ja die Ohren eines Fremden verletzen.«

»Ich bin Ihnen fur Ihre Erklarungen sehr verbunden, Mademoiselle. Alles in allem hatte Lord Edgware also besser daran getan, nicht zu heiraten?«

»Viel besser.«

»Eine dritte Heirat hat er nie erwogen?«

»Wie denn? Seine Frau lebte ja.«

»Indem er ihr die Freiheit gab, wurde er selbst frei geworden sein.«

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