»Hineinzog?« wiederholte die Sekretarin in grenzenlosem Staunen.

»Sie haben mich mi?verstanden, Miss Marsh - ich weigerte mich nicht, Ihnen von meinem Besuch bei Ihrem Vater zu erzahlen.« Jetzt war Poirot gezwungen, mit offenen Karten zu spielen. »Ich erwog nur, wieweit ich die Unterredung vertraulich behandeln musse. Ihr Vater hat mich namlich nicht gerufen, sondern ich ersuchte um eine Unterredung wegen eines Klienten. Und dieser Klient war Lady Edgware.«

Ein absonderlicher Ausdruck glitt uber Geraldines bleiches Gesicht. Anfanglich hielt ich ihn fur Enttauschung, und erst allmahlich wurde ich mir klar, da? es Erleichterung war.

»Ich habe mich sehr toricht benommen«, sagte sie langsam, »aber ich dachte, mein Vater habe sich durch irgendeine Gefahr bedroht gefuhlt. Wenn die Nerven einem einen Strich spielen, verfallt man auf die dummsten Gedanken.«

»Meinen Sie, da? Lady Edgware den Mord beging?«

»Nein!«

»Wer hat es denn sonst getan?« trumpfte Miss Carroll auf. »Oder glaubst du etwa, da? Frauen ihrer Art moralische Hemmungen haben?« »Trotzdem steht ihre Schuld nicht fest«, widersprach Geraldine. »Sie kann nach der Unterredung fortgegangen und der wirkliche Tater - vielleicht irgendein armer Wahnsinniger -nachher hineingekommen sein.«

»Alle Morder sind geistig nicht ganz zurechnungsfahig, hat man mir versichert. Das hangt mit den inneren Drusen zusammen.« Bei diesem Ausspruch Miss Carrolls offnete sich die Tur. Ein junger Herr erschien auf der Schwelle ... blieb linkisch stehen.

»O weh. Ich wu?te nicht, da? jemand hier ist.«

Geraldine ubernahm die Vorstellung.

»Mein Vetter, Lord Edgware. Monsieur Poirot. Komm nur, Ronald, du storst nicht.«

»Wirklich nicht, Dina? Wie geht es, Monsieur Poirot? Suchen Sie mit Ihren grauen Zellen unserem Familiengeheimnis auf die Spur zu kommen?«

Wo hatte ich nur dieses runde, vergnugte, nichtssagende Gesicht, diese Augen mit den leichten Sacken darunter, diesen winzigen Schnurrbart, der wie ein braunes Inselchen in der Mitte des breiten Antlitzes sa?, schon gesehen .?

Aber naturlich! Das war ja Carlotta Adams Begleiter, der beschwipste Tischgenosse bei Jane Wilkinsons Abendgesellschaft. Hauptmann Ronald Marsh - der neue Lord Edgware.

13

Der neue Lord Edgware hatte einen scharfen Blick, dem mein leichtes Staunen nicht entgangen war.

»Na, ist's Ihnen eingefallen?« fragte er freundschaftlich. »Ja, ja, Tante Janes Einladung zum Supper. Hahaha! Hatte ein Glas zuviel getrunken, aber hoffte, da? man es nicht merken wurde.«

Hercule Poirot verabschiedete sich bereits von Geraldine Marsh und Miss Carroll.

»Ich werde Sie hinuntergeleiten«, erbot sich Ronald. Und wahrend wir die breite Eichentreppe hinabstiegen, plauderte er weiter: »Ein komisches Ding ist das Leben. An die Luft befordert heute und gleich darauf Herr und Gebieter im Hause ... Mein verstorbener unbeweinter Onkel warf mich namlich vor drei Jahren hinaus aber vermutlich ist Ihnen das alles schon bekannt, Monsieur Poirot?«

»Ja. Ich habe es zufallig mal gehort«, sagte Poirot gemessen.

»Naturlich, so was hort man immer. Sogar dem grimmigsten Bluthund kommt es zu Ohren.«

Er lachte verschmitzt und stie? die Tur des E?zimmers auf.

»Nehmen Sie eine kleine Starkung, bevor Sie gehen, meine Herren.«

Poirot sowohl als auch ich lehnten ab, worauf der junge Herr sich selbst einschenkte, ohne sein Geplauder dabei zu unterbrechen.

»Innerhalb einer einzigen kurzen Nacht bin ich, die Verzweiflung der Glaubiger, eine Hoffnung der Kaufleute geworden. Gestern bettelarm, heute im Uberflu? platschernd. Gott segne Tante Jane!«

Er schlurfte behaglich sein Glas aus. Dann aber wandte er sich in ernsterem Ton an Poirot.

»Was treiben Sie eigentlich, Monsieur Poirot? Das hei?t hier im Haus. Vor vier Tagen deklamierte Tante Jane schwungvoll, als ob sie auf der Buhne stande: Wer will mich von diesem unertraglichen Tyrannen befreien . ? Und siehe da, sie ist befreit! Hoffentlich nicht dank Ihrer Mitwirkung, he? Das vollkommene Verbrechen, begangen durch Hercule Poirot, den einstigen Bluthund.«

Mein Freund lachelte nachsichtig.

»Ich folgte heute nachmittag einem Ruf von Miss Geraldine Marsh.«

»Eine sehr diskrete Antwort, mein Bester, mit der ich mich jedoch nicht abspeisen lasse. Aus dem einen oder anderen Grund interessiert Sie selbst der Tod meines Onkels.«

»Mich interessiert jeder Mord, Lord Edgware.«

»Aber Sie verubten ihn nicht, was? Sehr vorsichtig von Ihnen. Sie sollten Tante Jane Vorsicht lehren, Monsieur. Vorsicht und eine etwas bessere Vermummung. Sie werden entschuldigen, wenn ich sie Tante Jane nenne, das macht mir namlich diebischen Spa?. Haben Sie ubrigens ihr verdutztes Gesicht gesehen, als ich sie auch neulich im Savoy so betitelte? Sie hatte nicht den kleinsten Schimmer, wer ich war.«

»En verite?«

»Woher sollte sie mich kennen . Ich wurde ja drei Monate vor ihrer Verheiratung mit meinem Onkel gebeten, mir ein anderes Dach uber den Kopf zu suchen.« Eine Sekunde verschwand der alberne, gutmutige Ausdruck von seinem Vollmondgesicht. Aber dann fuhr der gluckliche Erbe Lord Edgwares mit derselben Leichtigkeit fort: »Prachtvolles Weib, nicht? Aber kein Geschick, keine Schlauheit. Ziemlich unreifes Vorgehen, wie?«

Poirot zuckte die Schultern.

»Es ist moglich.«

Ronald blickte ihn befremdet und neugierig an.

»Sie scheinen zu glauben, da? sie nicht der Tater war. Also ist es ihr gelungen, Sie auch schon kirre zu machen!«

»Ich habe eine gro?e Bewunderung fur Schonheit«, sagte mein Freund gleichmutig. »Aber auch fur ... Beweismaterial.«

»Beweismaterial?«

»Anscheinend wissen Sie nicht, Lord Edgware, da? Ihre Frau Tante - um diesen Ihnen so sehr genehmen Ausdruck zu gebrauchen zur selben Stunde, als man sie hier gesehen haben will, auf einer Abendgesellschaft am Chiswickufer weilte.«

»Donnerwetter! Also ist sie doch hingegangen? Das ist so richtig Weiberart. Um sechs Uhr versicherte sie, da? nichts auf Erden sie bewegen konnte, Sir Montague Corners Einladung Folge zu leisten, und wahrscheinlich wahlte sie zehn Minuten spater schon die Toilette fur das Fest aus! Was lernt man daraus? Sich bei einem Mordplan nie auf eine Frau zu verlassen. Die ausgetufteltsten Plane werden dadurch Stumperwerk. Nein, Monsieur Poirot, ich beschuldigte mich nicht selbst. Oh, meinen Sie, ich wu?te nicht, in welcher Richtung Ihr Hirn jetzt arbeitet? Wer ist denn der naturliche Verdachtige? Der uberall als Taugenichts verschriene Neffe.«

Er kuschelte sich schmunzelnd tiefer in die Polster seines Sessels und schlug die Beine ubereinander.

»Ich werde Ihre kleinen grauen Zellen vor unnotiger Arbeit bewahren, Monsieur Poirot. Sie brauchen nicht herumzuhetzen, um jemanden ausfindig zu machen, der mich in der Nahe sah, als Tante Jane erklarte, da? sie nie, nie, nie am Abend ausgehen wurde. Ja, ich befand mich in Horweite. Na, wie steht's nun? Kam der gottlose Neffe im Schmuck einer blonden Perucke und eines Pariser Hutes als Frau verkleidet hierher?«

Der neugebackene Lord Edgware schien die Lage, in die uns seine Eroffnungen versetzten, hochst ergotzlich zu finden. Poirot - mit der bekannten schiefen Kopfhaltung - sah ihn aufmerksam an, und ich fuhlte mich im hochsten Grade unbehaglich.

»O ja, ich hatte einen Grund - einen sehr beliebten Grund sogar, Monsieur Poirot. Und ich werde Ihnen jetzt eine besonders wertvolle und schwerwiegende Auskunft geben. Gestern morgen habe ich meinen Onkel aufgesucht. Warum? Um Geld von ihm zu verlangen. Nicht wahr, da lecken Sie sich die Lippen .? Um Geld zu verlangen - pragen Sie es sich gut ein. Und ich trollte mich von dannen, ohne es bekommen zu haben. Am Abend, am selben Abend, stirbt Lord Edgware. Ein guter Titel ubrigens: Lord Edgware stirbt. Wurde sich fabelhaft auf einem Bucherstand machen.«

Er gestattete sich eine Pause, offenbar in der Erwartung, da? Hercule Poirot zu dem Gehorten Stellung nehmen wurde. Aber dieser schwieg.

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