»Das wei? Miss Carroll nicht. Sie handigte die Noten Lord Edgware nachmittags gegen halb vier in der Bibliothek aus, und er legte sie - in dem Briefumschlag der Bank - auf einen Tisch.« »Mein lieber Japp, das gibt zu denken . und macht den Fall verwickelter.«

»Oder einfacher. Was ubrigens die Wunde anbetrifft .«

»Ja?«

»... so erklaren die Arzte, da? sie von keinem der ublichen Federmesser herruhrt. Die Klinge musse eine ungewohnliche Form gehabt haben und erstaunlich scharf gewesen sein.«

»Ein Rasiermesser?«

»Nein, nein. Viel kleiner.«

Wahrend Poirot nachdenklich die Stirn runzelte, setzte Japp seinen Bericht fort:

»Dem neuen Lord Edgware scheint die Vorstellung, da? man auch ihn in der Tat verdachtigen konne, ungeheuren Spa? zu bereiten. Verdrehter Geschmack, was? Fur ihn kam des Onkels Tod ja wie ein Geschenk vom Himmel, und schleunigst ist er wieder in das Haus ubergesiedelt, das man ihm vor drei Jahren verbot.«

»Wo hat er bislang gewohnt?«

»Martin Street. St. George's Road. Gerade kein sehr standesgema?es Viertel!«

»Hastings, seien Sie so nett und notieren Sie doch bitte die Adresse.«

Ich erfullte den Wunsch meines kleinen Freundes, wenngleich mir der Zweck nicht einleuchtete. Wenn Ronald seinen Wohnsitz nach Regent Gate verlegt hatte, wozu brauchte man dann noch die alte Adresse?

Derweil rustete sich Inspektor Japp zum Aufbruch.

»Na, ich neige immer mehr zu der Ansicht, da? diese Carlotta Adams die Taterin war. Eine feine Nase haben Sie heute gehabt, Monsieur Poirot!« Aber als ob ihn dieses uneingeschrankte Lob reue, fugte er rasch hinzu: »Freilich, wenn Sie nicht Zeit hatten fur Theater und ahnliche Vergnugungen, so waren Sie auch nicht darauf gekommen . Jammerschade, da? kein augenfalliger Beweggrund zu der Tat da ist, aber mit ein bi?chen Schurfarbeit werden wir ihn schon aufdecken.«

»Wissen Sie wohl, mein lieber Inspektor, da? Sie einer bestimmten Person, bei der der Beweggrund durchaus nicht fehlt, keinerlei Beachtung geschenkt haben?« bemerkte Poirot.

»Wer ist das, Sir?«

»Der Herr, den man als kunftigen Gatten von Lord Edgwares Witwe betrachtet. Der Herzog von Merton.«

»Hahaha!« lachte Japp. »Bei dem fehlt allerdings der Beweggrund nicht. Jedoch wird ein Herr in seiner Stellung nicht zum Morder. Und au?erdem befindet er sich in Paris.«

»Also halten Sie ihn nicht fur ernsthaft verdachtig?«

»Sie etwa, Monsieur Poirot?«

Und mit drohnendem Lachen schuttelte Inspektor Japp uns beiden die Hand.

17

Der folgende Tag war ein Tag der Untatigkeit fur uns und regster Geschaftigkeit fur Japp. Zur Teestunde beehrte er uns mit einem kurzen Besuch.

Sein Gesicht, rot und grimmig, verhie? nichts Gutes.

»Ich habe einen Schnitzer gemacht.«

»Unmoglich, lieber Freund«, sagte Hercule Poirot beschwichtigend.

»Ja. Ich habe jenen (hier erlaubte er sich eine schlimme Entgleisung) ... von Butler entwischen lassen.«

»Wie? Er ist fort?«

»Jawohl, verduftet! Und mir hirnverbranntem Idioten erschien er gar nicht so arg verdachtig!«

»Beruhigen Sie sich doch, mein Bester. Beruhigen Sie sich!«

»Sie haben gut reden! Mochte mal Ihre Ruhe sehen, wenn Sie von Ihrem Vorgesetzten heruntergeputzt wurden!«

Japp wischte sich die Stirn, ein leibhaftiges Bild des Elends, wahrend Poirot mitleidige Laute von sich gab, die irgendwie an eine eierlegende Henne erinnerten. Als besserer Kenner des englischen Charakters mischte ich einen steifen Whiskysoda und stellte ihn vor den schwermutigen Beamten Scotland Yards hin. Und tatsachlich klarten sich seine Zuge etwas auf.

»Das kann mir nichts schaden«, sagte er.

Gleich darauf sprach er schon merklich froher.

»Ich bin auch jetzt keineswegs sicher, da? er der Morder ist. Selbstverstandlich deutet diese Flucht auf ein schlechtes Gewissen, aber er kann ja auch was anderes ausgefressen haben. Ein wenig bin ich ihm namlich schon auf die Schliche gekommen. Scheint in ein paar der anruchigsten Nachtclubs verkehrt zu haben - nicht etwa die landlaufigen Lokale dieser Art. Nein, etwas viel Widerlicheres und Schmutzigeres, und deshalb von einer gewissen Menschengattung sehr gesucht. Wirklich, er ist ein sauberes Fruchtchen.«

»Aber, wie Sie sehr richtig sagten, nicht unbedingt ein Morder.«

»Nein. Ich bin mehr als je uberzeugt, da? Carlotta Adams den Mord beging, obwohl ich es vorlaufig noch durch nichts zu beweisen vermag. Ich habe heute ihre Wohnung um und um gekehrt . umsonst. Ah, sie mu? ein ganz durchtriebenes Geschopf gewesen sein! Hat nichts von Bedeutung verwahrt mit Ausnahme einiger Kontrakte, alle hubsch eingeschlagen und mit Aufschrift versehen. Ferner fand ich ein dickes Bundel Briefe von ihrer Schwester in Washington, rechtschaffene, nette Briefe. Ein paar schone Schmuckstucke, offenbar durch Erbschaft erhalten - nichts Neues oder Kostbares. Vergebens suchte ich nach einem Tagebuch, und ihr Pa? und Scheckbuch sind trostlos nichtssagend. Zum Kuckuck, dies Madchen scheint uberhaupt kein privates Leben gefuhrt zu haben!«

»Man hat sie mir allgemein als still und verschlossen geschildert«, sagte Poirot grubelnd. »Von unserem Standpunkt aus ist das naturlich bedauerlich.«

»Ich habe die Frau, die sie bediente, wie eine Zitrone ausgequetscht. Nichts! Ich habe die Freundin, die einen Hutsalon besitzt, aufgesucht .«

»Ah, Miss Driver. Was halten Sie von ihr?«

»Ein aufgewecktes Ding, aber helfen konnte sie mir auch nicht. Das uberrascht mich keineswegs. Von all den vielen als vermi?t gemeldeten Madchen, denen ich im Lauf meiner Praxis nachspuren mu?te, sagten ihre Familien und Freundinnen stets dasselbe: >Sie war heiter und liebevoll veranlagt und hatte auf keinen Fall irgendwelche Freunde.< Das stimmt niemals. Es ist auch unnaturlich. Madchen mussen Freunde haben. Haben sie keine, so hapert es irgendwo mit ihnen. Ach, wenn Sie ahnten, wie diese vertrottelte Biederkeit von Freunden und Verwandten einem Detektiv das Leben vergallt!«

Er machte eine Atempause, und ich benutzte sie, um ihm von neuem einzuschenken.

»Schonen Dank, Hauptmann Hastings - wirklich, das kann mir nichts schaden. Also zuruck zu Carlotta Adams! Sie hat ein Dutzend junge Herren oberflachlich gekannt, mit denen sie gelegentlich tanzte und zum Supper ausging, aber nicht einen scheint sie bevorzugt zu haben. Unter ihnen befinden sich Ronald Marsh, der jetzige Lord Edgware, dann Martin Bryan, der Filmstar, und die ubrigen sind der Erwahnung nicht wert. Geben Sie Ihrer Idee von dem geheimen Drahtzieher den Laufpa?, Monsieur Poirot; sie ist falsch. Ich hoffe, Ihnen eines Tages beweisen zu konnen, da? Miss Adams allein zu Werke ging. Vorlaufig suche ich allerdings erst mal nach der Verbindung zwischen ihr und dem Ermordeten, und diese Suche wird mich wahrscheinlich nach Paris fuhren. Paris lautet die Gravierung in der kleinen Golddose; Paris war, wie mir Miss Carroll erzahlte, im vergangenen Herbst verschiedentlich Lord Edgwares Reiseziel, der dort Antiquitaten und Raritaten kaufte. Auf morgen fruh ist der Untersuchungstermin anberaumt, und vielleicht fahre ich dann noch mit dem Nachmittagsdampfer.«

»Sie haben eine rasende Energie im Leibe, die mich verwirrt, Japp.«

»Ja, Sie werden trage; Sie sitzen in Ihrem bequemen Stuhl und denken! Oder - wie Sie es nennen - Sie lassen die kleinen grauen Zellen arbeiten. Aber damit schaffen Sie nichts, mein Bester. Sie mussen sich hinausbemuhen, um die Dinge zu suchen, denn sie kommen nicht zu Ihnen hineinspaziert.«

In diesem Augenblick trat unser Hausmadchen ins Zimmer.

»Mr. Martin Bryan la?t fragen, ob Sie ihn empfangen wollen, Sir.« »Ah, da werde ich mich drucken.« Japp schnellte empor. »Bei Ihnen scheinen sich ja samtliche Stars der Theater- und Filmwelt Rat zu holen.«

Poirot wehrte bescheiden ab, und der Inspektor lachte.

»Sie sind auf dem besten Weg, Millionar zu werden, Monsieur Poirot. Was machen Sie mit all dem Geld? Legen Sie es in mundelsicheren Papieren an?«

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