»Mir gefallt es durchaus nicht«, entgegnete ich gereizt. »Ich wunsche, da? Sie sich betatigen.«

»Das tue ich ja.«

»Was tun Sie denn?«

»Ich warte.«

»Worauf?«

»Da? mir mein Jagdhund das Wild apportiert«, belehrte mich Poirot schmunzelnd.

»Wie bitte?«

»Ich meine den guten Japp. Warum sich einen Hund halten und dann selber bellen? Japp bringt uns das Ergebnis der korperlichen Tatkraft, die Sie so sehr bewundern, nach hier. Er hat verschiedene Mittel zu seiner Verfugung, die ich als Auslander nicht habe, und wird daher fraglos uber kurz oder lang mit etlichen Neuigkeiten anrucken.«

Kraft beharrlicher Nachforschung brachte Inspektor Japp tatsachlich langsam Material zusammen. Aus Paris freilich kehrte er mit leeren Handen zuruck, indes schob er sich einige Tage spater mit selbstgefalligem Lacheln zur Tur herein.

»Es hat schwergehalten«, sagte er, »aber etwas sind wir doch vorwartsgekommen.«

»Gratuliere, Inspektor. Was hat sich ereignet?«

»Ich habe entdeckt, da? an dem fraglichen Abend eine blonde Dame um neun Uhr einen kleinen Handkoffer in der Gepackabgabe des Euston-Bahnhofs hinterlegte. Als wir dem Beamten Miss Adams' Koffer zeigten, erklarte er, da? es dieser gewesen sei. Es ist eine amerikanische Marke und unterscheidet sich ein wenig von unseren englischen Fabrikaten.«

»Ah, Euston! Die letzte gro?e Station vor Regent Gate. Wahrscheinlich machte sie sich im dortigen Waschraum zurecht. Wann wurde der Koffer wieder abgeholt?«

»Gegen halb elf, und zwar, nach Aussage des Beamten, von derselben Dame. Das ist aber nicht die einzige Neuigkeit, Monsieur Poirot. Ich habe Grund zu der Annahme, da? Carlotta Adams um elf im Lyon Corner House am Strand gesessen hat.«

»Ah, c'est tres bien 9a!«

»Der Zufall war mir behilflich. In einigen Zeitungen wurde die kleine Golddose mit den Rubinen erwahnt, und irgendein Reporter, der fur die Sonntagsausgabe einen romantischen Stoff brauchte, verfertigte hierauf einen Artikel uber den Hang junger Schauspielerinnen zu Rauschgiften. Das verhangnisvolle Gold-doschen mit seinem todlichen Inhalt - die ruhrende Gestalt eines jungen Madchens, vor dem ein erfolgreiches Leben liegt . wo mag sie den allerletzten Abend zugebracht haben . von welchen Gefuhlen wurde sie beherrscht ... Na ja, Sie wissen schon, was die Federfuchser zusammenkritzeln! Kurz und gut, eine Kellnerin aus dem Corner House las den Ergu? und erinnerte sich einer Dame, die sie bedient und bei der sie eine derartige Dose gesehen hatte. Sogar das C. A. in roten Steinen fehlte nicht. Und sie wurde ganz aufgeregt, begann alle Freundinnen ins Vertrauen zu ziehen . mein Gott, vielleicht zahlte die Zeitung ihr eine Belohnung .!

Durch irgendeine Leitung bekam der junge Feuilletonredakteur im >Evening Shriek< Wind von der Sache. Er setzte sich mit der Frau in Verbindung, horchte sie aus, und heute abend werden Sie im >Evening Shriek< einen herzzerbrechenden Artikel lesen: Die letzten Stunden einer talentierten Schauspielerin.«

»Und wie fand die Nachricht den Weg so schnell zu Ihnen?«

»Oh, wir stehen mit dem >Evening Shriek< auf sehr gutem Fu?, knausern - soweit angangig - nicht mit Nachrichten und beziehen aus dieser Quelle als Gegenleistung bisweilen ganz brauchbare Hinweise. Und als der tuchtige junge Mann mich heute wegen einer anderen Sache aufsuchte, erfuhr ich beilaufig von der Existenz besagter Kellnerin. Da? ich schnurstracks zum Corner House sauste, konnen Sie sich denken .«

Ja, so mu?te man die Dinge anpacken! Mein Herz durchzuckte ein qualvolles Mitleid mit Poirot. Da horte Japp all diese Nachrichten aus erster Hand, wobei er sicher viele wertvolle Einzelheiten unbeachtet lie?, und Poirot, der hundertmal begabtere Poirot, begnugte sich damit, sie nachher aus Japps Munde zu erfahren.

»Ich habe die Kellnerin gesprochen. Sie konnte zwar Carlotta Adams' Fotografie aus den ihr vorgelegten nicht herausgreifen, aber sie erklarte das glaubhafterweise damit, da? sie nicht so sehr auf die Gesichtszuge der Dame geachtet habe. Sie sei jung und dunkel und schlank gewesen, sehr gut gekleidet, und habe auf dem einen Ohr einen der neuen Hute getragen. Ich wollte, das Weibervolk guckte ein bi?chen mehr auf die Gesichter und ein bi?chen weniger auf die Hute.«

»Miss Adams' Gesicht pragte sich einem nicht so ohne weiteres ein«, gab Poirot zu bedenken. »Es verfugte uber zu viel Beweglichkeit, Empfindlichkeit; es war, mochte ich sagen, von weicher, flie?ender Art.«

»Vielleicht haben Sie recht - ich verstehe mich nicht auf solche seelischen Spitzfindigkeiten. Jedenfalls sei die Dame schwarz gekleidet gewesen und hatte einen Koffer bei sich gehabt, erklarte mir die Kellnerin; es habe sie noch gewundert, fugte sie hinzu, da? eine derartig elegante Dame sich mit einem Koffer herumschleppe. Die Fremde bestellte Ruhrei und Kaffee, aber nach Ansicht der Kellnerin nur, um die Zeit totzuschlagen, denn sie habe offenbar jemanden erwartet. Verschiedentlich hatte sie auf die Armbanduhr geschaut. Als das Madchen ihr die Rechnung vorlegte, bemerkte es die Golddose. Die Dame drehte und wendete sie mit traumerischem Lacheln hin und her, klappte den Deckel auf, klappte ihn wieder zu, und hierbei blitzten die roten Steine der beiden Buchstaben hell auf.

Aber auch nach dem Begleichen der Rechnung ist Miss Adams noch langere Zeit sitzen geblieben. Schlie?lich sah sie zum letztenmal auf die Uhr, schien das Warten aufzugeben und ging hinaus.«

Poirot rieb sich die Hande.

»Das war ein Rendezvous«, murmelte er. »Ein Rendezvous mit jemand, der es vorzog, sich nicht einzufinden. Aber hat Carlotta ihn hinterher getroffen? Oder verfehlte sie ihn, fuhr heim und versuchte, ihn telefonisch zu erreichen? Oh, wenn ich das doch wu?te!«

»Kleben Sie noch immer an Ihrer Theorie des Unbekannten hinter den Kulissen, Monsieur Poirot? Geben Sie sie auf - jener Unbekannte ist eine Fabelgestalt. Damit will ich aber keineswegs sagen, da? die Adams sich nicht doch fur spater, also nach Erledigung ihres Geschaftes mit Lord Edgware, verabredet hatte. Nun, wir wissen, was geschah; sie verlor den Kopf und erstach Edgware. Doch sie ist nicht die Frau, die den Kopf fur langere Zeit verliert. Sie verandert auf dem Bahnhof Euston abermals ihr Aussehen, begibt sich mit ihrem Koffer zum verabredeten Stelldichein, und dort packt sie das, was man so Reaktion nennt. Grauen und Entsetzen uber ihre Tat. Und da? ihr Freund sie sitzenlie?, gibt ihr den Rest. Vielleicht hat sie ihm gegenuber auch erwahnt, da? sie einen Besuch in Regent Gate beabsichtigte. Sie sieht die drohende Entdeckung, nimmt ihre kleine Dose aus der Tasche . Ah, eine reichliche Menge von dem wei?en Pulver, und alles ist voruber! Und einen solchen Tod zieht sie dem Strick des Henkers vor. Das ist so eindeutig wie die Nase in ihrem Gesicht, Monsieur Poirot.«

Zweifelnd strich mein Freund an seiner Nase entlang, dann glitten die Finger abwarts zum Schnurrbart, um ihn mit liebevoller Sorgfalt zu glatten.

»Nichts deutet auf einen geheimnisvollen Drahtzieher«, sagte Japp, sein Ubergewicht hartnackig auskostend. »Noch habe ich allerdings keinen handgreiflichen Beweis fur eine Verbindung zwischen ihr und dem Ermordeten - aber das ist lediglich eine Frage der Zeit. Da? Paris mich schwer enttauschte, will ich nicht leugnen, man darf jedoch nicht vergessen, da? neun Monate eine hubsche Zeitspanne sind. Und da man die Nachforschungen dort weiter betreibt, ist es nicht ausgeschlossen, da? allmahlich doch noch das eine oder andere ans Licht kommt. Ich wei?, Sie teilen meine Ansicht nicht, Sie dickschadliger alter Bock!«

»Erst beleidigen Sie meine Nase und dann meinen Schadel -das ist nicht hubsch, mon cher.«

»Redensarten, weiter nichts!« besanftigte Japp. »Kein Grund, sich beleidigt zu fuhlen.«

»Tun wir auch nicht!« warf ich dazwischen.

Poirots Blicke wanderten von mir zu Japp und wieder zuruck.

»Sonst noch einen Befehl?« scherzte der Inspektor.

»Einen Befehl, nein.« Poirot lachelte ihm verzeihend zu. »Eine Anregung, ja.«

»Heraus damit!«

»Halten Sie bei den Droschkenchauffeuren Umfrage, bis Sie denjenigen finden, der in der Mordnacht einen Fahrgast - oder viel wahrscheinlicher zwei Fahrgaste - aus der nachsten Umgebung von Covent Garden nach Regent Gate brachte. Zeit: ungefahr zwanzig Minuten vor elf.«

Inspektor Japp zog pfiffig die eine Braue in die Hohe.

»Hallo, daher pfeift der Wind . ? Gut, soll geschehen. Schaden kann ja nicht daraus erwachsen - und au?erdem sind ja nicht alle Ihre Ideen mangelhaft!«

Kaum hatte er uns verlassen, so scho? mein trager Freund mit ungeahnter Energie aus seinem bequemen

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