unteren Bereiche des Lebensraums des Schiffes untersucht: die Mannschaftsquartiere, die fremdartige Umgebung des hydroponischen Labors, den Arbeitsraum — die letzte Erinnerung nagte wie Hunger in ihm. Er hatte alles gesehen, mit Ausnahme einer Sektion im zweiten Deck, hinter einer versiegelten Tur, neben der ein rotes Warnlicht blinkte. Und uberall war er verblufft gewesen von der ungeheuren Verschwendung — von Wasser, von Luft, von Lebensraum — in einer Matrix, die so viel nuchterner war als die Kunstlichkeit im Demarchy. Er uberdachte die Ironie, da? ausgerechnet die Morningsider sich fur arm hielten, da sie doch in gewisser Weise die reichsten Leute waren, die er je in seinem Leben gesehen hatte.

Er erreichte die Spitze der Leiter, lehnte sich gegen das Gelander, bis seine Benommenheit von ihm abfiel und sein Herzschlag sich wieder verlangsamte. Seine Muskeln pochten dumpf, wenn er stand, und wenn er sich bewegte, rannte ein stechender Schmerz wie ein gluhender Draht durch seine Beine. Er gab sich die gro?te Muhe, seine neuen Kleider zu richten, bevor er den Kontrollraum betrat.

Die anderen waren schon anwesend, sie beobachteten etwas auf dem Sichtschirm. Der Kapitan und Welkin sa?en in Sesseln. Shadow Jack und das Madchen lagen auf dem Teppich und verteilten so ihr Gewicht auf die gro?tmogliche Flache. Das Madchen versuchte gerade, Liegestutze zu machen; ihr Korper war von den Knien an steif, als er eintrat. Er sah, wie ihre Ellbogen zitterten, und kurz danach brach sie auf den Kissen zusammen. Besiegt blieb sie mit gespreizten Gliedern auf dem Boden liegen. „Ich kann es nicht.“

„Dann la? es“, sagte Shadow Jack, um dann sanfter fortzufahren: „Du mu?t dich auch nicht daran gewohnen, Bird Alyn, es wird bald wieder vorbei sein.“ Er warf Spielkarten in die Luft und sah zu, wie sie unglaublich langsam wieder auf den Teppich sanken. „Schaut mal, wer endlich aufgewacht ist.“ Er sah sich um; die Katze rannte an seinem Kopf vorbei und hangelte nach den Karten.

Wadie verbeugte sich gru?end, sorgsam darauf bedacht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Niemand beantwortete seine Geste. Zorn stieg in ihm auf, bis er sich daran erinnerte, da? er hier nicht auf das Vorhandensein von Zivilisiertheit hoffen durfte. Piraten… Er lachelte fast, als er sich erinnerte, was es einst bedeutet hatte, „Gurtelmensch“ genannt zu werden — damals war der Asteroidengurtel von Sol noch der einzig bekannte Gurtel gewesen. Er betrachtete das Gesicht des Kapitans, das jetzt sauber war wie ihr kurzgeschnittenes Haar. Etwas in ihrem Blick verbluffte ihn. Sie senkte den Blick und zundete eine Pfeife an. Dieser seltsam zartliche Blick lie? ihn unruhig werden, weckte instinktiv Erinnerungen in ihm, Erinnerungen an Dinge, die er nie gesehen hatte.

„Wenigstens sehen Sie jetzt etwas manierlicher aus“, kommentierte Welkin.

Wadie betrachtete das grobe, blaue Baumwollhemd und die blaue Hose, die mehr als zehn Zentimeter uber seinen Knocheln aufhorte. Diese Hose hatte er fein sauberlich in die schwarzen, polierten Stiefel gestopft. Die Stiefel schutzten seine Fu?e, gleichzeitig zogen sie aber auch wie Bleigewichte daran. „Wenigstens bin ich sauber.“ Er trat vorsichtig uber die Schwelle und durchquerte den Raum, wobei er den Kopf hoch aufgerichtet und den Rucken gestreckt wie ein Brett hielt. Er erreichte den nachstgelegenen Sessel und lie? sich hineinsinken, lehnte sich so angenehm wie moglich zuruck und atmete wieder tief durch. Das Madchen sah voll Abscheu zu ihm auf. Shadow Jack sammelte die Karten wieder ein und spielte weiter mit der Katze. Er murmelte unaufhorlich vor sich hin.

„Kapitan…“ Wadie wandte sich in seinem Sessel um und legte sich eine Argumentation zurecht. Als er erkannte, was sie da auf dem Schirm betrachteten, schwieg er und sagte schlie?lich: „Sie verfolgen die Kommunikation im Demarchy?“ Sechs verschiedene Bilder waren auf dem gro?en Schirm zu sehen, jedes auf einer anderen Senderfrequenz. Er erkannte eine allgemeine Nachrichtensendung, drei Gesellschaftssendungen und zwei lokale Debatten.

Der Kapitan nickte. „Es ist… erleuchtend.“

„Haben die Tirikis schon etwas in bezug auf Ihr Schiff durchgeben lassen?“

„Ja, neueste Nachrichten. Und da war noch ein…“ Sie wandte ihren Blick wieder dem Schirm zu, wo zwei der Bilder plotzlich verschwanden. An ihrer Statt erschien ein oktagonaler Stern, gefangen in einem goldenen Kreis auf schwarzem Grund. Wahrend sie zusahen, wurde auch jedes andere Bild von diesem Symbol ausgeloscht. „Was ist das, Abdhiamal?“

„Das ist das Rufzeichen fur eine Generalversammlung. Jeder Demarch, der zusehen mochte, kann uber Monitor an der Abschlu?debatte teilhaben und dann seine Stimme abgeben.“ Unbehaglich erinnerte er sich daran, da? es bereits zweihundertfunfzig Kilosekunden her war, seit sie Mekka verlassen hatten, und mehr als zweihundertfunfzig Kilosekunden seit seinem letzten Report. „Ich nehme an, das wird die Debatte uber Ihr Schiff und die Vorfalle auf Mekka sein. Die Tirikis starteten das Ganze im selben Augenblick, als wir Mekka verlie?en, und seitdem hat man nichts mehr von mir gehort. Ich wurde die Debatte gern uber Monitor verfolgen. Und ich hatte auch gern eine Chance, mich zu verteidigen. Geben Sie mir einen offenen Kanal.“

Sie legte ihre Pfeife weg. „Gut, ich werde die Unterredung fur Sie ubertragen. Sie konnen zuhoren, aber sprechen durfen Sie nicht.“

„Warum nicht? Ihr Schiff ist au?er Gefahr. Au?erdem kann man Sie anhand Ihrer Strahlung verfolgen. Man benotigt keine Funkpeilung…“

„Ich will nicht, da? Sie ihnen unsere Plane verraten. Da lasse ich sie schon lieber raten.“

„Kapitan, ich mu? mit ihnen sprechen. Von dieser Debatte konnte mein Job abhangen.“ Sie starrten ihn alle gleichgultig an. Er schluckte seinen Arger hinunter. „Sie… haben unser Kommunikationsnetzwerk kennengelernt. Es stammt noch aus der Zeit vor dem Krieg, aber es funktioniert immer noch. Es halt das Demarchy am Funktionieren. Jeder Demarchos hat gleiche Rechte daran, und jeder mit einem Anliegen kann es benutzen. Jeder kann mitdiskutieren, der etwas zum Thema beisteuern mochte. Wenn die Notwendigkeit besteht, wird eine allgemeine Wahl anberaumt, und das Wahlergebnis ist Gesetz.“

„Herrschaft des Mobs?“ fragte Welkin. „Die Tyrannei der Majoritat.“

„Nein.“ Er zeigte auf das goldene Symbol auf dem Schirm. Die Umrisse entsprachen etwa der Tranenform der Trojanischen Asteroiden. „Nicht hier. Man kann uber Entfernungen von Millionen Kilometern keinen ,Mob’ zusammenbekommen. Das konzentriert die Interessen der Bewohner auf ihren eigenen Felsen. Sie sind verdammt unabhangig und verdammt gut informiert, und sie konnen abstimmen. Die Zuschauer sind die Jury.“

„Warum machen Sie sich dann Sorgen um Ihren Job?“

„Weil ich nicht dort bin, um mich selbst zu verteidigen. Die Tirikis konnen alles mogliche behaupten, und wenn keiner eine andere Meinung vorbringt, dann werden sie es zwangslaufig fur die Wahrheit halten. Mein Bo? wird ihnen an meiner Stelle antworten, und der hat uberhaupt keine Ahnung, was sich alles abgespielt hat. Wenn ich ihnen nicht alles sagen kann, konnte ich ihn mitrei?en. Die Regierung schwimmt auf dem Wasser; wenn man das Boot zum Schaukeln bringt, kentert man damit.“

Der Kapitan beugte sich nach vorn und pre?te die Handflachen zusammen. „Tut mir leid, Abdhiamal, aber daruber hatten Sie nachdenken sollen, bevor Sie mit mir kamen. Jetzt kann ich es mir nicht mehr leisten, Sie sprechen zu lassen… Mochten Sie trotzdem zuhoren?“

Er nickte. Mittlerweile waren alle Symbole, mit Ausnahme eines einzigen, wieder vom Schirm verschwunden. Noch wahrend er zusah, schlo? die Zeitkluft sich, und auch das letzte verbla?te. Die Generalversammlung hatte begonnen.

„… hatten bereits unsere Fusionsraketen bereithalten sollen.“ Wadie lehnte den Nacken gegen die Lehne des Sessels, wahrend er zuhorte, wie Lije MacWongs Rede sich ihrem Ende naherte. „Wir haben alles in unserer Macht Stehende getan, um den Wunschen des Demarchy gerecht zu werden. Aber zu viele Dinge sind uns immer noch unklar, da wir lediglich wissen, wie Sie dazu stehen. Ich bin ein Diener der Offentlichkeit, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Leute mich meines Amtes in ihrem Interesse entheben wollen, so ist das ihr gutes Recht. Aber ich bin der Meinung, ich habe nichts getan, womit ich das Vertrauen des Volkes mi?braucht hatte.“ Wadie sah, wie am unteren Bildende ein schmaler Streifen erschien, der langsam von Blau nach Violett wechselte. Die Stimmbeteiligung lag bei achtzig Prozent und stieg weiter.

Wadie sah zu, wie die manikurten Hande sich uber dem Tisch falteten, sah die hellen Augen, die das Demarchy schon so oft herausgefordert und besiegt hatten. Die Sekunden verstrichen. Dann flammten die Buchstaben GEGENREDE: ESROM TIRIKI auf dem Bildschirm auf. Sein Mund wurde verkniffen, als das goldene Gesicht Tirikis, dessen Augen wie Metall blitzten, auf dem Schirm erschien. „Die Tatsache bleibt bestehen, da? die Regierung…“

Der Kapitan lehnte sich in ihren Sessel zuruck, ihre Finger pochten lautlos auf die Armlehne. „Das ist einer von ihnen, Pappy. Stattliche Erscheinung, nicht wahr?“ Sie sah auf. „Und scharf auf unser Blut. Wie geht das doch gleich wieder? ,Ich rieche das Blut eines Englanders. Tot oder lebendig…’“ Sie brach ab, holte tief Atem. „Hans im

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