Familie. Wir erledigen unsere Probleme durch Zusammenarbeit, nicht durch Rivalitat wie im Demarchy. Euer System ist paradox: Das Individuum hat absolute und doch auch wieder uberhaupt keine Kontrolle, wenn es nicht der Mehrheit angehort. Wir arbeiten zusammen und schlie?en Kompromisse, denn ohne sie konnten wir nicht uberleben… Und wenn man die Situation betrachtet, in der das Demarchy sich gerade befindet, dann wurde ich sagen, es kann es sich auch nicht mehr lange leisten, die Eigeninteressen des einzelnen uber alles andere zu stellen.“

Abdhiamal blinzelte, als hatten ihre Worte ihn wie ein Schlag getroffen. Doch er zuckte lediglich die Achseln. „Unnotig zu sagen, da? wir selbst uns nicht in diesem Licht sehen. Ich glaube, Ihre Vorstellung von Kooperation findet in der Gro?en Harmonie der Ringe eine bessere Verwirklichung.“ Die Worte waren frei von Sarkasmus. „Auch dort setzt man die Zusammenarbeit weit uber alles andere, weil man darauf angewiesen ist. Die Ringe waren nicht so glucklich wie das Demarchy, nachdem der Krieg vorbei war. Aber man hat einen sozialistischen Staat und eine starke Flotte. Die Zusammenarbeit beruht allerdings auf Waffen, und das ist uberhaupt keine Zusammenarbeit. Daher sind sie geachtet, wenigstens was das Demarchy anbelangt. Sie haben kein Vertrauen in die individuelle menschliche Natur, auch dann nicht, wenn sie auf Verwandschaftsbeziehungen basiert.“

Bertha kampfte gegen eine plotzliche irrationale Abneigung an. „Bisher hat es gut genug funktioniert. Wenigstens toten wir keine Fremden, die zu uns kommen, um Hilfe zu erbitten.“

„Vielleicht hatten Sie dazu bisher noch keinen zwingenden Grund, Kapitan!“

Sie erstarrte. Augenblicklich zeigte sich Entschuldigung in seinem Gesicht, und dahinter sah sie eine Reflexion ihrer eigenen Desorientierung, der Frustration einer Fremden, die in einem fremden Universum gefangen war. Er war ein Mann ohne Familie — und jetzt auch ohne Freunde, ohne Heimat, ohne Zukunft. Und sie vermutete, er war kein Mann, der es gewohnt war, Fehler zu machen — eine Burde gemeinsam zu tragen oder ein Leben mit jemandem zu teilen… nicht Eric.

„Tut mir leid, Kapitan. Bitte akzeptieren Sie meine Entschuldigung.“ Abdhiamal zogerte. „Und… bitte lassen Sie mich auch gleich eine Entschuldigung fur meine Taktlosigkeit nach der Generalversammlung aussprechen.“

„Ich verstehe.“ Sie sah Zorn hinter seinen Augen aufflammen, stand auf und sah daher nicht mehr, wie dieser Zorn sich in eine Art Flehen verwandelte. „Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen…“ Sie entfernte sich auf der Suche nach einem Entkommen, einer Ausflucht. „Ich mu? nach Clewell sehen.“

„Wurde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mitkame?“ Seine Stimme uberraschte sie.

Auf halbem Weg blieb sie zogernd stehen. „Nein, ich… nein, warum auch?“

Er erhob sich und stellte Rusty auf den Boden. Die Katze sprang weg, schnurrte, trippelte dann hinuber zu Shadow Jack, der immer noch mit in den Kissen vergrabenem Gesicht schlief, kuschelte sich neben dessen schwarzes Haar und legte ihm eine beschutzende Pfote uber seine Finger.

„Arme Rusty.“ Bertha sah hinab. „Sie ist so einsam seit damals… Sie hatte sich schon an so viel Aufmerksamkeit gewohnt gehabt.“

„Auf Mekka hatte sie mehr als genug gehabt.“

„Dort hatte man sie verehrt. Das ist nicht dasselbe.“

Sie kletterte die Leiter ein Stockwerk tiefer, wo sie auf ihn wartete. Er tat jeden Schritt bewu?t und sorgfaltig, seine Knie gaben fast nach, seine Hande umklammerten die Sprossen fast mit Todesangst. Mit einstudierter Nonchalance blieb er schlie?lich neben ihr stehen und spahte uber das Holzgelander hinab. Der Schacht ging noch vier Decks tiefer, bis zur Hulle des Schiffes. Unten konnte man die konzentrischen Kreise einer Ladeschleuse erkennen.

„Eine gute Ubung.“ Bertha lehnte sich gegen die Wand; sie vermied den Blick nach unten.

Er wandte sich mit undeutbarem Lacheln wieder ab. Die Tur an der Wand hinter ihm war verschlossen, das rote Blinklicht warf ihre Schatten in den Korridor. „Was ist dahinter?“ Seine Hand fuhr uber die Turoberflache.

„Das war der Aufenthaltsraum. Dort sind alle gestorben, als die Au?enhulle beschadigt wurde. Der Raum ist evakuiert, bitte beruhren Sie nichts.“ Sie wandte sich von ihm ab und betrachtete ihre Hande. Dann ging sie weiter die Stufen hinab und lie? ihn zuruck.

Im Maschinenraum auf Deck vier angekommen, horte sie das Gerausch einer Handsage. „Pappy!“ Ihr Ruf erzeugte in dem weiten Raum einen Widerhall.

„Hier, Bertha!“

Sie lauschte den antwortenden Echos, dann begann sie zu laufen. Ihre Gummisohlen quietschten leise auf dem Holz. Das irregulare Klacken von Abdhiamals polierten Stiefeln gesellte sich dazu. Sie sah ihn nicht an.

„Mein Gott, Pappy, warum nimmst du denn die Schneider dazu?“

Als sie naherkamen, sah Clewell auf, weg von den Lasern auf der Werkbank. „Weil es mein Hobby ist.“

„Bedeutet das, du stehst stundenlang hier und rackerst dich mit etwas ab, das du ebensogut einprogrammieren und innerhalb von Minuten erledigen konntest?“

„Die Ungeduld der Jugend.“ Er bewegte die Sage noch einmal, und das Ende des Holzblocks fiel ab. „Fertig.“ Seine Hand glitt zu seiner Brust. Als er ihren Blick bemerkte, glitt er weiter und kratzte sich im Nacken.

„Klugschwatzer.“ Sie hatte die Hande in die Huften gestemmt, ihr Blick war schmerzerfullt. „Ich… ah… ich dachte, du wurdest meine Schatzungen fur die Reparatur der Au?enhulle uberprufen.“

„Das habe ich getan. Sehen ganz gut aus. Aber solange wir noch auf einem Grav sind, konnen wir uberhaupt nichts tun.“ Er sah sie seltsam an.

Abdhiamal buckte sich und hob das abgesagte Teil auf. Seine Finger glitten uber die rauhe Oberflache. „Was ist das fur eine Substanz? Sie ist faserig.“

„Das ist Holz. Organisch. Macht man aus Baumstammen“, antwortete Clewell. „Falsch-Eiche, um genau zu sein. Hart, aber es la?t sich ausgezeichnet bearbeiten.“

„Der Boden auch? Alles Pflanzenfasern… Holz?“

Er nickte. „Das ist einfacher, als Plastik zu verwenden. Diese Falsch-Eiche wachst zwei Zentimeter taglich an der Borealischen See.“

Abdhiamals Hand fuhr uber die geatzte Metalloberflache, dann sah er zu den Schneidern und den Schutzschirmen. „Laser?“ Er suchte den Raum weiter ab, sah die weiten Luken, die in die Hulle geschnitten worden waren und die sich direkt zum Weltall offneten… dann die in die Decke eingelassenen Elektromagneten. Sie sah, wie er seine eigenen, unausgesprochenen Fragen beantwortete. „Und wozu benotigt man das da druben?“

Bertha folgte seiner Hand; in Gedanken sah sie den rothaarigen Sean arbeiten, ungeschickt und unbeholfen, daneben den immer geduldigen Nikolai. Sie wandte den Blick ab. „Um Reparaturen an unserer elektronischen Mikroausrustung auszufuhren.“

„Sie haben Ihr eigenes Fusionskraftwerk… Sie konnten jedes Teil des Schiffes direkt hier reproduzieren, nicht wahr?“

„Theoretisch schon. Aber es gibt ein paar, mit denen ich das lieber nicht versuchen wurde. Es war eine lange Reise, und wir waren auf alles vorbereitet.“ Nur auf das nicht.

„Gro?er Gott! Wenn doch nur Park und Osuna das hier sehen konnten!“

„Wer?“ Clewell hob das Holz aus seiner Halterung.

„Das sind ‚Ingenieure’.“ Spott machte daraus ein Schimpfwort.

„Und was haben Sie gegen Ingenieure?“ Bertha pre?te die Arme fest gegen ihren Magen und zog die Brauen hoch.

„Was sollte ich fur sie ubrig haben?“ Abdhiamal machte eine seltsame Geste. „Ein Haufen von Kannibalen. Sie flicken und flicken. Sie vernichten ein Teil, um mit seinen Trummern wieder ein neues zusammenzubauen oder um drei andere funktionsfahig zu halten, und dann vernichten sie wieder eines…“

„Klingt in meinen Ohren ganz vernunftig.“

„Aber sie sind stolz darauf! Sie halten es fur Schopfung, aber in Wirklichkeit ist es Zerstorung. Wenn sie nur ein wenig lesen wurden, ein wenig Phantasie hatten, dann wu?ten sie vielleicht, was richtige, kreative Schopfung ist. Etwas, was wir einst konnten… niemand konnte ihnen damals einen Vorwurf machen. Aber jetzt ist es fast so, als wurde man um ein Leben im Vakuum bitten.“

„Vielleicht haben Sie auch nur die Prioritaten falsch gesetzt, Abdhiamal! Was sollen sie tun? Sich selbst wegen der Vergangenheit qualen, wo sie doch nur noch ein paar Relikte haben, mit denen sie arbeiten konnen? Sie tun wenigstens etwas fur das Uberleben ihres Volkes und leben nicht auf anderer Leute Kosten wie manch anderer verdammter Geck!“ Bertha schlug ihm das Stuck Holz aus der Hand, Splitter rissen die Haut ihrer Handflache auf. Sie kehrte seiner Verbluffung den Rucken zu und schritt dann mit ausholenden Schritten durch die

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