„Nein…“ Plotzlich wich er zuruck und lie? sie los. Er lehnte sich gegen die kalten Flie?en und rang nach Luft. „Nein. Nein. Wir konnen nicht…“ Seine Hande ballten sich zu Fausten.

„Aber… du liebst mich doch…“ Bird Alyn griff verwirrt und ratlos nach ihm. „Warum konnen wir nicht, Shadow Jack? Bitte… bitte, Shadow Jack. Ich habe keine Angst davor…“

„Was verlangst du von mir? Soll ich dich schwanger machen?“

Sie krampfte sich zusammen, schuttelte den Kopf. „Das mu? nicht passieren.“

„Doch, und du wei?t es genau.“ Er beugte sich nach vorn. „Mochtest du das Baby in dir wachsen fuhlen und dann zusehen, wie es geboren wird… ohne Arme, ohne Beine oder ohne… Damit wir es versto?en wie meine Mutter mich? Wir sind defekt! Und ich werde niemals zulassen, da? dir so etwas widerfahrt!“

„Aber soweit wird es nicht kommen, Shadow Jack! Hier auf dem Schiff ist alles anders. Sie haben eine Pille, mit der man gar nicht schwanger werden kann. Sie wurden uns…“ Sie kam naher und strich durch sein mitternachtsschwarzes Haar. „Eine einzige solche Pille halt sehr lange vor.“

„Und wenn sie wieder abgeflogen sind?“

„Wir… wir hatten dann immer noch unsere Erinnerungen. Wir wu?ten es, wir konnten uns erinnern, wie es ist, einander zu beruhren, zu kussen, einander zu h-halten…“

„Und was wurde mich daran hindern, dich wieder zu beruhren und zu kussen und dich zu halten, auch wenn ich es besser wissen sollte?“ Verzweiflung lag in seinem Blick. „Ich konnte es nicht. Wenn ich dich nie wiedersehen wurde… aber das werde ich. Ich werde dich jeden Tag sehen, mein ganzes Leben lang, und wie konnte ich mich dann zusammennehmen? Wie du? Es wurde geschehen.“

Sie schuttelte flehend den Kopf, ihr Gesicht gluhte, Tranen der Hoffnungslosigkeit brannten in ihren Augen.

„Ich kann es nicht zulassen, Bird Alyn. Nicht jetzt. Niemals. Ich konnte es nicht ertragen, was es mir antun wurde… was es dir antun wurde. Warum haben wir nur jemals dieses Schiff gesehen? Warum geschah das uns? Es war alles in Ordnung, bis…“

Sie griff sanft nach seiner Hand, umklammerte sie, braune Haut auf bronzefarbener Haut. Wegen dieses Schiffes wurde ihre Welt leben… und seinetwegen wurde nichts mehr in Ordnung sein, was ihr eigenes, personliches Leben anbelangte. Irgendwo horte sie Wasser tropfen, wie Tranen. Eine verdorrte Blute fiel auf die kalten Kacheln zwischen ihnen.

Bertha verlie? das Labor so lautlos wie sie gekommen war und ging schweigend die Treppe hoch.

Ranger (Diskanisches Hoheitsgebiet)

+ 2,70 Megasekunden

Diskus, ein rotlicher Karneol von der Gro?e einer Faust, war vor dem silbernen Hintergrund deutlich zu sehen. Die Ringe, fast horizontal, waren Streifen geschmolzenen Lichts, die sich auf dem Schirm ausbreiteten. Wadie schwebte im Zentrum des Kontrollraums, seine Gedanken kreisten um das Objekt, das die Ebenma?igkeit der Szenerie storte: Schnee-der-Errettung, drei?ig Bogensekunden vor Diskus im Orbit, jenseits der Untiefen der Gravitationsquelle. Schnee-der-Errettung, das man vor dem Krieg Bangkok genannt hatte, die Hauptdestille der Ringe. Nur eine von funfen, doch ihr Aussto? lag um das Zehnfache hoher als jener der restlichen vier zusammengenommen. Was zum Teil daran lag, da? sie uber eine Nuklearbatterie verfugte, die im Demarchy gebaut worden war, teilweise aber auch daran, da? man beim Transport einen Linearbeschleuniger einsetzen konnte, der ebenfalls aus dem Demarchy stammte, hier aber unvergleichlich nutzlicher war, weil der Transport nur uber kurze Strecken erfolgte. Die eigenen, primitiven Verbrennungsraketen der Ringe wurden damit zu hoffnungslos uberholten Tankern.

Er erinnerte sich an Schnee-der-Errettung, wie es bei seiner Ankunft mit den Ingenieuren des Demarchy ausgesehen hatte: ein endloses Grau, das uber den Eisflachen und Steinwusten lag, eine Kalte, die einem in die Knochen kroch, bis man sich nicht mehr erinnern konnte, was Warme war, eine zahlenma?ig kleine, graue Bevolkerung, die fast im Fegefeuer lebte. Eine Bevolkerung, die fanatisch bis an den Rand des Irrsinns war — in den Augen des Demarchy. Er war entsandt worden, um zu verhindern, da? das Demarchy und die Ringe sich gegenseitig zerfleischten. Au?er ihm hatte jeder andere qualifizierte Mann diese Aufgabe abgelehnt. Er war gekommen, um zwei Volker zu sehen, die bei allem Argwohn niemals ihr Ziel verga?en: zu retten, was noch zu retten war. Und in den funfzig Megasekunden, die er in diesem grimmigen und einsamen Exil verbrachte, hatte er eine gro?e Zahl von Menschen kennengelernt, die er nur als Freunde bezeichnen konnte, und er hatte mehr von der Gro?en Harmonie der Ringbewohner kennengelernt als jeder andere Demarchos. Er hatte das kargliche Leben der Ringbewohner verstehen gelernt, er hatte eingesehen, weshalb sie sich an ihre repressive, kollektivistische Ideologie klammerten: Sie alle wu?ten, da? sie entweder zusammenhielten oder untergehen wurden…

Die Stimme des Kapitans rief ihn in die Wirklichkeit zuruck. Er richtete sein Augenmerk auf sie, wie sie so frei vor dem Schirm schwebte, ihr Haar driftete sanft, befreit vom Druck der Gravitation, die Armel hatte sie bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Wahrend er sie anstarrte, uberlagerte die Gegenwart die Vergangenheit. Die saubere, farbige Warme des Kontrollraums strahlte plotzlich eine Kargheit aus, die Morningsides Schlichtheit seltsam frivol erscheinen lie?.

Morningside… wurde er dieses Volk jemals so verstehen konnen wie die Ringbewohner? Wie lange dauerte es, bis man Kontakt zu Menschen fand, die mit jeder einzelnen Bewegung gegen das Ordnungsgefuhl verstie?en? Deren Verhalten jeden Versuch der Kategorisierung unmoglich machte und deren Motive einem wie Wasser zwischen den Fingern hindurchrannen… Vor vier Kilosekunden war er in die oberste Etage gekommen, um sich etwas zu essen zu holen, und dort hatte er den Kapitan und Welkin bereits im Speisesaal vorgefunden, zusammen mit der gitarrespielenden Bird Alyn. Sie alle hatten zusammen gesungen, und man hatte kaum glauben mogen, da? sie in vier Kilosekunden einen Akt der Piraterie begehen oder einer Entscheidung gegenuberstehen wurden, von deren Ausgang ihrer aller Leben abhing…

Gemeinsam wollen wir weiter wandern, Unser Lied niemals enden kann…

Oder vielleicht, scho? es ihm plotzlich durch den Kopf, sangen sie auch nur deshalb, weil sie es ganz genau wu?ten und ihre Gedanken verzweifelt ablenken wollten. Nicht was man singt oder wie, hatte Clewell gesagt, sondern was man dabei fuhlt. Plotzlich war er sich seiner eigenen Rolle an den kommenden Ereignissen bewu?t geworden, und etwas Starkeres als Neugier hatte ihn zu ihnen hingezogen… nur um Bertha Torgussens Gesicht aus der Nahe zu sehen, aus dem bei seinem Anblick alle Warme verschwand, nur um zu sehen, wie sie bei seiner Annaherung aufstand, den Gesang unterbrach und abrupt den Raum verlie?.

„… Ich kann nicht glauben, was ich hier sehe, Pappy. Eigentlich mu?ten sie dort unten braten, aber das tun sie nicht. Es gibt keine Magnetosphare dort unten, kein me?bares Magnetfeld… Wissen Sie etwas daruber, Abdhiamal?“ Der Kapitan sah ihn uber die Schultern an, ohne jedoch seinem Blick direkt zu begegnen.

Er sah an ihr vorbei zum Schirm. „Das macht Himmel, Kapitan. Die Felder von Diskus sind stark genug, aber sie reichen kaum hoher als bis zu den Ringen. Das war einer der Grunde, der uns zu diesem System fuhrte. Die Felsen und Schneeklumpen um Diskus sind besser zuganglich, als es jene damals um den Alten Jupiter waren.“ Er sah ihr direkt in die Augen. „Sie scheinen sich keine gro?en Gedanken daruber zu machen, ob wir gebraten werden!“

„Wir konnen auf Morningside gute Abschirmungen herstellen, sonst waren wir schon lange gebraten worden.“ Sie wandte sich wie immer brusk von ihm ab und sah zu Bird Alyn hinuber, die dicht neben ihrem Kopf an der Decke schwebte. „Bird Alyn, konntest du die lokale Funkfrequenz fur mich suchen?“ Ihre Stimme war sanft.

Bird Alyn nickte, stie? sich von der Decke ab und schwebte zur Konsole herab, wo sie sich einen Kopfhorer schnappte.

„Wo ist Shadow Jack?“ fragte Welkin.

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