Krister horte offenbar nicht. Er ging rasch weiter, als ob er wirklich nach Finnland hinuberstrebte, aber nach wenigen Schritten war er schon im tiefen Wasser, und dort verschwand er einfach, mein Gott, er verschwand einfach, und von dem Schrecken habe ich mich noch immer nicht erholt.

Johann streifte die Schuhe ab und tauchte sofort, und ich rief den anderen zu:

»Lauft und holt Leute!«

Niklas und Freddy rannten los, Teddy und ich blieben zitternd stehen, und der kalte Schwei? brach uns aus. Johann blieb lange unter Wasser, und jede Sekunde war eine Qual. Ich ware beinahe hinterhergesprungen, aber da kam er endlich wieder hoch. Allerdings ohne Krister. Er schuttelte verzweifelt den Kopf.

»Ich kann ihn nicht finden!«

»Du mu?t mehr in dieser Richtung suchen«, rief Teddy. »Dort ist er untergegangen.«

Da streckte jemand hinter mir einen Zeigefinger vor und sagte: »Stimmt nicht! Es war da druben. Und da hinten bei dem Stein ist er wieder rausgeklettert.«

Ich drehte mich um, und vor mir stand Krister. Triefend na? und sehr zufrieden mit seinem albernen Scherz.

Aber Teddy zeigte noch immer in dieselbe Richtung und beteuerte: »Nein, dort ist er untergegangen, ich hab es doch selber gesehen!«

»Ich auch«, versicherte Krister, und jetzt endlich ging es Teddy auf, mit wem sie sich stritt.

Sie wurde wutend.

»So was darf man einfach nicht machen«, sagte sie, und ich pflichtete ihr bei.

»Nein«, sagte Krister, »und man darf auch keinen ins Tiefe schicken, bevor man wei?, ob er schwimmen kann.«

Johann war von neuem getaucht und hatte wieder gesucht. Jetzt tauchte er auf und entdeckte Krister. Man sah ihm an, wie erleichtert und gleichzeitig verblufft er war – einen retten zu wollen, der schon auf dem Trockenen stand! Wenn irgend etwas ein bi?chen peinlich ist, dann zieht Johann es mit aller Macht ins Komische, und das tat er auch jetzt. Er stie? ein Geheul aus und lie? sich rucklings wieder unter Wasser sinken, ungefahr so, als ware er ohnmachtig geworden vor Gluck, Krister zu sehen.

Das hatte er lieber nicht tun sollen, denn in diesem Augenblick kam die gesamte Bevolkerung von Saltkrokan angesturzt, mit Papa an der Spitze. Sie wu?ten ja, da? irgend jemand am Ertrinken war, und Papa kam gerade noch rechtzeitig, um einen Schimmer von Johann zu erhaschen, bevor dieser verschwand.

»Johann!« schrie Papa und sturzte sich ins Wasser, ehe ich ihn daran hindern konnte. Es war wie in einem Film. Zuerst tauchte Johanns Kopf auf und dann Papas. Sie starrten einander schweigend an.

»Was willst du?« fragte Johann schlie?lich.

»Ich will an Land«, sagte Papa argerlich, und er ging an Land.

»Herr Melcher, weshalb badest du immer mit allen deinen Sachen an?« fragte Tjorven. Nichts kann sie zuruckhalten, wenn etwas passiert.

»Es ›kommte‹ blo? so«, sagte Papa, und da schwieg Tjorven.

Aber Papa zupfte Freddy am Ohr.

»Hattest du nicht gesagt, da ware jemand am Ertrinken?«

Teddy kam ihr zu Hilfe.

»Es war alles nur ein Mi?verstandnis.«

Krister begann zu erklaren, aber alle waren bose auf ihn, und ich horte, was Niklas zu Freddy sagte.

»Dieser Kerl da ist ein Mi?verstandnis, so lang, wie er ist.«

Ich glaube, Bjorn war derselben Ansicht. Er hatte sich schlie?lich auch eingefunden, aber er ging mit finsterer Miene herum und kam nie in meine Nahe.

Jedenfalls wurde es ein ungeheuer schoner Mittsommerabend, und auf dem Bootsanleger war Tanz, genau wie ich gehofft hatte. Der alte Soderman spielte Ziehharmonika, und wir tanzten, alle tanzten, oh, wie wir tanzten, wahrend die Sonne im Fjord versank und die Mucken uns umschwirrten. Bjorn tanzte nicht – er kann vielleicht nicht. Aber Krister konnte – oh! Mein Hellblaues stand wie eine Glocke um mich, wenn wir dahinflogen, und ich amusierte mich gro?artig.

»Malin«, sagte Soderman in einer seiner kleinen Bierpausen, »versprich mir eins: Werde nie alt!«

Er sollte blo? wissen, wie alt ich manchmal bin.

Der geheime Johann und sein geheimer Anhang lehnten am Gelander und bewachten mich. Jedesmal, wenn wir

vorubertanzten, Krister und ich, schrie Johann:

»Rei? dich zusammen, Malin!«

Schlie?lich hatte ich es satt und fuhr ihn an: »Wieso soll ich mich zusammenrei?en?«

»Da? du nicht druberhaust«, rief er, und die anderen drei kicherten. Krister kummerte sich nicht darum, seinetwegen mochten sie ruhig lachen. Und so wahr ich Malin hei?e, wirklich, der Junge wu?te, wie man es anstellt! Vollig unbekummert und ohne sich etwas daraus zu machen, ob diese kleinen Banditen es horten, deklamierte er in einer von Sodermans Bierpausen fur mich:

»Wie altschwedisches Leinen schimmert dein Scheitel

mit der hellroten Rose im flachsblonden Haar.«

O ja, ich hatte namlich eine Heckenrose in die Haarspange gesteckt und fuhlte mich leinengelb und altschwedisch wie noch nie, bis Johann das verdarb.

»Doch, doch, es ist verschieden mit so Haaren«, sagte er. »Manche haben Borsten wie ein altschwedisches Schwein.«

Und dann guckten alle vier Banditen auf Kristers Borstenschnitt und kicherten lange. Wo kommt nur all das Gekicher her, das in Dreizehnjahrigen steckt?

Aber noch war ich nicht soweit, da? ich bose auf sie war. Das wurde ich erst, als sie meinen Mittsommernachtstraum an Janssons Bucht storten. Ich hatte ihn allein traumen wollen, ohne Krister und unter allen Umstanden ohne die Banditen, aber das durfte ich nicht.

Janssons Bucht ist ein einsamer und seltsamer Ort. Dorthin gingen wir, Krister und ich, nachdem der Tanz zu Ende war.

Hier liegt ein altes Bootshaus mit ein paar Einbaumen darin und einem verfallenen Steg, aber sonst nichts, was verrat, da? es Menschen auf der Welt gibt. Alles dort ist Geheimnis und Schonheit und Schweigen. Heute nacht schwammen ein paar Schwane auf dem dunklen Wasser. Sie leuchteten unwirklich wei?, als waren es Marchenvogel. Vielleicht waren sie es auch, denn alles war wie verzaubert und marchenhaft und irgendwie urzeitlich, und jeden Augenblick konnten diese Schwane ihr Schwanengefieder fallen lassen und zu heidnischen Gottern werden, die tanzten und auf der Flote bliesen. Das Wasser lag schwarz unter den hohen Uferfelsen jenseits der Bucht, aber drau?en zum Meer hin waren die Fjorde fahl, und die Nacht war keine Nacht, sondern nur eine armselige kleine Dammerung, die den Versuch machte, Nacht zu werden.

Wir sa?en auf einem Felsen, Krister und ich, und ich wollte, da? er schwieg. Aber das begriff er nicht. Er dachte, alles musse nach seinem gewohnten Rezept gehen, und daher fing er an, mir in die Augen zu schauen und zu fragen, ob sie grun oder grau seien, meine Augen also. Da horte man hinter einem Felsen ganz in der Nahe eine Stimme, gefolgt von einem Kichern: »Die sind ganz lila.«

Jetzt wurde ich endlich bose und schrie: »Was habt ihr da zu suchen? Konnt ihr mir das mal sagen?«

»Klar«, sagte Niklas und steckte den Kopf hervor. »Wir sitzen hier und schwarmen ein bi?chen, wie andere Leute auch.«

Daruber kicherten Teddy und Freddy mehrere Minuten lang, und ich wurde noch wutender.

»Jetzt hab ich's aber satt«, sagte ich, und da sagte Johann:

»Dann geh doch einfach nach Hause. Du brauchst doch nicht da zu sitzen und so zu schwarmen, da? du davon satt wirst.«

Die Ungeheuer! Sie hatten von Papa die Erlaubnis bekommen, so lange aufzubleiben, wie sie wollten, weil Mittsommerabend war.

»Ich finde, hier sind reichlich viele Bruder«, sagte Krister. »Gibt es denn nirgendwo einen Ort, wo man vor ihnen Ruhe hat?«

»Vielleicht zu Hause«, sagte ich, »denn da wollen sie bestimmt nicht hin.«

So zogen wir uns ins Schreinerhaus zuruck. Im Wohnzimmer, wo es nach Maiglockchen und Birkenlaub duftete, tischte ich Krister etwas Abendbrot auf.

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