»Der Tag geht zur Neige, das Feuer verglimmt, bald ist es erloschen. Schnell ist sie voruber, die gluckliche Zeit, da keiner fehlt in unserem Kreis.«

Und dann wurde es Mittsommer

Mittsommer war es, ein strahlend heller Mittsommertag, und was fiel Malin ein? Den ganzen langen Vormittag sa? sie hinter der Fliederhecke im Gras und schrieb in ihr Tagebuch, und als Johann sich ihr einschmeichelnd naherte, sagte sie kalt und ohne auch nur aufzublicken: »Geh weg!«

Worauf Johann kleinlaut zu seinen Brudern zuruckging und berichtete: »Sie ist noch immer bose!«

»Tsss, sie sollte lieber dankbar sein«, sagte Niklas. »Jetzt hat sie ja was zu schreiben gekriegt. Aus dem Tagebuch wurde nie etwas werden, wenn sie uns nicht hatte.«

Aber Pelle machte ein reuevolles Gesicht.

»Dann hatte sie aber vielleicht lustigere Sachen reinzuschreiben. Was sie so lustiger findet, mein ich.«

Sie schauten betrubt in Malins Richtung, und Johann sagte: »Diesmal schmiert sie bestimmt was Schreckliches rein.«

Gestern war Mittsommerabend* [Der Tag vor der Sommersonnenwende], schrieb Malin. Und ein Mittsommerabend, den ich nie vergessen werde. Aber sicherheitshalber will ich in einem kleinen Nachruf festhalten, was geschehen ist. Diese Zeilen werde ich meiner jungen Tochter aushandigen, falls ich einmal eine kriege und sie vielleicht an einem Mittsommerabend gluhend vor Gluck nach Hause kommt und fragt: »Hast du es auch so schon gehabt, als du jung warst, Mama?« Dann werde ich unmutig auf ein paar vergilbte Tagebuchblatter zeigen und sagen: »Hier kannst du sehen, wie es deiner armen Mutter erging, nur wegen deiner kleinen, abscheulichen Onkel.«

Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben – die abscheulichsten kleinen Onkel der Welt konnen den lieblichen Glanz uber einem Mittsommer auf Saltkrokan nicht truben. Den Glanz und die Schonheit und die Freude eines Sommers, der jetzt um uns herum bluht, das kann keiner kaputtmachen. Uber der ganzen Insel liegt der Duft von Steinbrech und Kalberkropf und Madesu? und Klee, Margeriten schwanken an jedem Grabenrand, und Butterblumen leuchten im Gras, der rosa Schaum der Heckenrosen legt einen Schleier uber unsere armseligen grauen Felsbuckel, und in den Spalten sprie?en wilde Stiefmutterchen. Alles duftet, alles bluht, alles ist Sommer, und jeder Kuckuck ruft, alle Vogel zwitschern und singen, die Erde freut sich, und ich freue mich auch. Hoch uber meinem Kopf fliegen die Schwalben in schnellen Bogen, wahrend ich hier sitze und schreibe. Sie nisten unter den Dachziegeln des Schreinerhauses und sind die nachsten Nachbarn von Pelles Wespen; ich glaube allerdings nicht, da? sie naher miteinander verkehren. Die Gesellschaft der Schwalben mag ich und die der Hummeln und Schmetterlinge, die um mich herumfliegen und flattern, ich ware aber dankbar, wenn du es unterlie?est, Johann, die Nase hinter der Hausecke hervorzustecken, denn ich bin auf euch alle bose und gedenke das auch noch eine ganze Weile zu sein, wenn ich es uber mich bringe. Mindestens aber so lange, bis ich diese Erinnerungen an meinen ersten Mittsommerabend auf Saltkrokan fertiggeschrieben habe.

Ich wurde durch Gesang geweckt. Papa war fruhzeitig aufgestanden und legte letzte Hand an die Gartenmobel – diesmal mit einem gewohnlichen Malerpinsel, nicht mit dieser vertrackten Spritze. Er stand im Garten dicht unter meinem Fenster, und ich wurde wach, weil er wirklich hubsch sang von Mittsommer und »bluhender Insel« und dergleichen. Und ich fuhr hoch und in die Kleider und lief nach drau?en und sah, da? der Fjord blau und blank dalag und da? meine liebenswerten Bruder wach waren und nichts zu tun hatten, und ich zwang sie, mit in Janssons Kuhwaldchen zu gehen. Die Arme voller Feldblumen und gruner Zweige, kamen wir nach Hause und verwandelten das ganze Schreinerhaus in eine Laubhutte mit sommerlichen Duften in jedem Winkel.

Und als die »Saltkrokan I« drau?en auf dem Fjord angedampft kam, da sahen wir, da? auch sie einer schwimmenden Laubhutte glich mit jungen Birken von vorn bis hinten. An Bord wurde Harmonika gespielt, sommerlich gekleidete Menschen sangen von Mittsommer und »bluhender Insel« genau wie Papa, nur nicht so schon.

Ganz Saltkrokan war auf dem Anleger. Du liebe Zeit, es ist ja das gro?te Vergnugen, das wir hier haben, hinunterzulaufen und den Dampfer zu empfangen – und dann noch dazu den Mittsommerdampfer! Ja, wir waren alle dort. Nur Bjorn nicht!

Ich hatte mich feingemacht, riesig fein war ich in meinem Hellblauen, das so schon schwingt. Johann und Niklas pfiffen beide durch die Zahne, als sie mich sahen, und das will etwas hei?en. Wenn einem die eigenen Bruder nachpfeifen, dann kann man sein durftiges Selbstvertrauen darauf stutzen. Ich stand da und war zufrieden und wie von ungefahr ein bi?chen erwartungsvoll.

Pelle war nicht ganz so zufrieden.

»Mu? man so blodes Zeug anhaben, blo? weil Mittsommer ist?« sagte er. Ja, ja, sicher ist es nicht richtig, die Kinder mit einem Sonntagsanzug und wei?em Hemd und Schlips zu plagen, aber man hat all diese dreckigen Jeans satt und mochte wenigstens einmal etwas anderes sehen.

»Ja, das mu? man«, sagte Papa, »und so gefahrlich ist es doch nicht. Du brauchst dich nur vorzusehen, da? du dich nicht schmutzig machst und nicht na? wirst, dann kann dir gar nichts passieren.«

»Sag doch gleich, ich soll mich vor allem vorsehen, was Spa? macht, dann kann dir und Malin gar nichts passieren«, sagte Pelle.

Dann entdeckte er Tjorven, diese selbe Tjorven, die kein Mensch bisher in anderen Sachen gesehen hatte als in karierten langen Hosen und Pulli. Jetzt hatte sie ein wei?es Stickereikleid an mit Falten und allen Finessen, und ihre Miene war nicht zu beschreiben. Es war ihr von weitem anzusehen, was sie dachte: »Da staunt ihr, was?« Und eins ist sicher, sogar Bootsmann war uber dieses funkelnagelneue Frauchen verwundert. Selbst Pelle wurde scheu und verstummte. Da stieg Tjorven von der Hohe ihres Triumphes herab und sagte:

»Wei?t du was, Pelle? Wir schmei?en Stockchen fur Bootsmann. Das ist das einzige, was man machen kann, wenn man so verflixt fein ist.«

Schon moglich, da? sie sich das ausgedacht hatte, um Pelle vor Stina zu retten.

Stina und der alte Soderman waren namlich auch auf dem Anleger. Soderman erzahlte, sein Magenknurren sei jetzt besser geworden, was uns alle freut, denn hier auf Saltkrokan nehmen wir Anteil an den Freuden und Leiden und Krampfen des anderen.

»Jaja, nun kommen die Sommergaste, achach, jaja«, sagte Soderman. Und als Papa ihn fragte, ob er die Sommergaste nicht moge, machte er ein verdutztes Gesicht. Dieser Gedanke war ihm offensichtlich noch nie gekommen.

»Nicht mogen, tjaa«, sagte er. »Aber die meisten von denen sind ja Stockholmer, und die ubrigen, die sind eigentlich auch blo? Gesindel.« Papa lachte und fuhlte sich nicht im geringsten getroffen. Er zahlt sich schon zu den Ureinwohnern. Das tut er immer, wohin er auch kommt, und ich glaube, das ist der Grund, weshalb er uberall so viele Freunde findet. Au?erdem merken die Menschen wohl, da? er mit all seiner Kindlichkeit und seinen Schrullen und seiner Hilflosigkeit Warme und Schutz braucht, ja, wie er es anstellt, wei? ich nicht, aber alle mogen ihn. Ich hab gehort, wie der alte Soderman im Laden sagte – er hatte nicht gemerkt, da? ich auch da war -: »Dieser Melcherson, der ist nicht ganz bei Trost, aber das ist eigentlich das einzige, was ich an ihm auszusetzen habe.«

Na, das gehort nicht hierher, zuruck zum Anleger! Die Grankvist-Amazonen – so nennt Papa Teddy und Freddy –, die Grankvist-Amazonen waren auch da in neuen Jeans und roten T-Shirts. Sie sa?en mit Johann und Niklas auf ein paar leeren Benzinfassern und krachzten ab und zu wie Krahen. Sie haben offenbar irgendeine Art geheimen Klub, diese vier, und laufen herum und sind von morgens bis abends geheim, was die Kleineren bis zur Wei?glut argert, weil sie nicht mit dabeisein durfen. Pelle racht sich, indem er seine Bruder »geheimer Johann« und »geheimer Niklas« nennt und hamisch grinst, wenn er es sagt. Tjorven versichert, der Klub sei ganz albern, und nach dem Verhalten der Klubmitglieder gestern abend glaube ich ihr aufs Wort.

Als wir auf dem Anleger standen und warteten, da? der Dampfer festmachte, kamen Johann und Niklas plotzlich auf mich zugerannt und packten mich jeder an einem Arm.

»Komm, Malin, jetzt gehen wir nach Hause«, sagte Johann. Ich straubte mich naturlich und fragte, was wir denn zu Hause sollten. »Wir konnen irgendein schones Buch lesen oder so«, sagte Niklas. »Du hast doch Vorlesen

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