dicken, grauen Watte.

»Vielleicht ist es ein Wunschstein«, sagte Pelle. »Man nimmt ihn in die Hand und wunscht sich etwas, und dann geht es in Erfullung.«

»Und das soll ich glauben?« sagte Tjorven. »Wunsch dir, da? wir zwei Kilo Bonbons kriegen, dann wirst du ja sehen.«

Pelle schnaubte. »Man mu? sich etwas Richtiges wunschen, wenn man sich etwas wunscht.«

Und er hielt den Stein in seiner ausgestreckten Hand und wunschte so feierlich und richtig, wie er nur konnte.

»Ich wunsche, da? meine Bruder bald von dem unendlichen Meer zuruckkommen.«

»Und Bootsmann auch«, sagte Tjorven. »Tja, und Freddy und Teddy naturlich auch. Aber sie sind ja im selben Boot, das braucht man sich nicht extra zu wunschen.«

Es war Abend geworden. Aber nicht, wie Juniabende sonst sind, nicht hell und glasklar und ein Wunder Gottes, sondern schummrig und unnaturlich. Nebel uber allen Fjorden und uber allen Inseln und Scharen, Nebel uber Soderora und Kudoxa, Nebel uber Rodloga und Svartloga und Blido und Moja, Nebel uber allen Fahrrinnen und allen Schiffen, die ganz langsam dahinkrochen und mit ihren Nebelhornern Warnrufe aussandten. Und Nebel uber Grankvists kleinem Kahn, der langst schon hatte an seinem heimatlichen Steg liegen mussen, was er aber nicht tat.

»Busche busche boll,

kocht den Kessel voll,

drei Schiffe fuhren ubers Meer …«

sang Freddy.

»Ich seh kein einziges«, sagte Teddy und ruhte sich auf den Riemen aus. »Hab noch nie so wenig Schiffe gesehen. Was glaubt ihr, wie lange wir gerudert haben?«

»Eine Woche ungefahr«, sagte Johann. »So kommt es einem jedenfalls vor.«

»Aber es ist bestimmt schon, nach Ru?land zu kommen«, sagte Niklas. »Wir sind wohl bald da.«

»Das glaub ich auch«, sagte Teddy. »So wie wir gerudert haben! Hatten wir blo? den richtigen Kurs gehalten, dann waren wir gegen zwei Uhr am Bootssteg zu Hause in voller Fahrt vorbeigezischt und waren jetzt bei Janssons Kuhweide auf Grund gelaufen.«

Daruber lachten sie alle vier. Gelacht hatten sie in den letzten funf Stunden ziemlich viel. Gerudert und gerudert hatten sie, gefroren hatten sie, sich ein bi?chen gezankt, ein bi?chen vor sich hingedammert, Butterbrote gegessen, gesungen, um Hilfe gerufen, gerudert und gerudert und den Nebel geha?t und sich nach Hause gesehnt, aber trotzdem hatten sie ziemlich viel gelacht.

Es war Melcher, der im Augenblick ein gro?es Ungluck auf See erlebte, und nicht die Kinder.

Jetzt aber kam der Abend, und da fiel ihnen das Lachen schwerer. Sie froren mehr als zuvor und wurden immer hungriger und sahen kein Ende von all dem Jammer. Dieser Nebel war unnaturlich, ein normaler Juninebel hatte sich schon langst lichten mussen; dieser aber lag noch immer da und hielt sie in seinem grauen, gespenstischen Griff, als ob er sie nie loslassen wollte. Um sich warm zu halten, hatten sie sich an den Riemen abgewechselt, aber das half nichts mehr, und das Rudern kam ihnen jetzt auch so trostlos vor, da man nicht wu?te, wohin es ging. Vielleicht trug jeder Riemenschlag sie nur weiter ins offene Meer hinaus, und dieser Gedanke machte ihnen angst. Das Meer lag zwar vollig still da, aber sollte sich der Nebel, den sie jetzt so sehr ha?ten, da? sie ihn am liebsten mit den blo?en Handen zerfetzt hatten, sollte sich dieser Nebel jemals lichten, dann war Wind notig. Und wenn Wind aufkame – und kraftig genug – und sie waren weit drau?en auf dem Meer in einem kleinen Kahn, dann gabe es wirklich nicht mehr viel zu lachen.

»Dieses ganze Scharengebiet ist mit Inseln ubersat«, sagte Freddy. »Da? wir aber auch nur uber eine einzige stolpern – kein Gedanke!«

Sie sehnten sich sehr danach, festen Boden unter den Fu?en zu spuren. Kaum zu glauben, da? man danach eine solche Sehnsucht haben konnte! Eine einzige kleine Insel, das war alles, was sie begehrten. Sie brauchte nicht besonders gro? oder schon zu sein oder sonst irgendwie bemerkenswert, versicherte Teddy, es durfte ruhig eine kleine, verstruppte sein, aber immerhin so, da? man an Land gehen und ein Feuer anmachen und vielleicht erkennen konnte, wo man war, und vielleicht eine Art Dach uber dem Kopf bekommen konnte, vielleicht sogar Menschen begegnete, vielleicht sogar unnaturlich freundlichen Menschen, die einem mit hei?em Kakao und warmen Pfannkuchen entgegenkamen.

»Jetzt fangt sie an zu spinnen«, sagte Johann.

Aber es war schon, von Essen zu spinnen, das merkten sie. Sie fingen alle miteinander an und unterstutzten sich gegenseitig, gro?e Mengen von Fleischklo?en und Kohlrouladen und Beefsteaks und Schweinekoteletts und Bratwursten zusammenzuspinnen.

»Und vielleicht ein kleines Pilzomelett«, schlug Freddy vor. Dem Pilzomelett stimmten sie alle begeistert zu. Auch Bootsmann, wie es schien, denn er bellte kurz auf. Mehr hatte er ja die ganze Zeit nicht von sich gegeben. Ihm gefiel dieses Unternehmen nicht, wie es keinem gescheiten Hund gefallen konnte. Aber er lag dort auf der Ducht, schweigend und

geduldig, wie es sich ebenfalls fur einen gescheiten Hund gehorte, wenn diese unbegreiflichen Menschen auf solche unbegreiflichen Zerstreuungen verfielen.

»Armer Bootsmann«, sagte Freddy, »er ist hungriger als wir, denn er hat einen viel gro?eren Magen zum Hungrigsein.«

Sie hatten ihre Butterbrote mit ihm geteilt, und als die Brote alle waren, hatten sie ihm Dorsch angeboten, aber den hatte er dankend abgelehnt. »Das wundert mich gar nicht«, sagte Johann. »Ich wurde lieber verhungern als ungekochten Dorsch essen.«

»Ist nichts, nichts, nichts mehr im Rucksack?« fragte Teddy.

»Eine Flasche Wasser«, sagte Freddy.

Eine Flasche Wasser! Nach all ihren lieblichen Traumen von hei?em Kakao und Beefsteaks und Pfannkuchen empfanden sie es als unertraglich armselig, nur eine Flasche Wasser zu haben.

Sie sa?en lange Zeit schweigend und mutlos da. Niklas uberlegte, was schlimmer sei, zu erfrieren oder zu verhungern. Im Augenblick war es die Kalte, die ihn am meisten plagte. Die dicke Jacke nutzte nichts, er fror bis ins Mark, und er erinnerte sich plotzlich an ihr Lagerfeuer drau?en auf der Schare. Dies Lagerfeuer mu?te lange her in einem anderen Leben gewesen sein, so fern wirkte es jetzt. Aber ihm fiel die Streichholzschachtel ein, die er in der Tasche hatte, und er holte sie heraus. Mit klammen Fingern ri? er ein Streichholz an. Es brannte mit einer klaren, trostlichen kleinen Flamme, und er bog seine Hand drum herum, um fur einen Augenblick zu spuren, was Warme war.

»Spielst du das kleine Madchen mit den Schwefelholzern?« fragte Freddy.

»Wie konntest du das erraten«, sagte Niklas. Aber in dem Augenblick fiel sein Blick auf etwas.

»Was ist das, was ihr da unter der Achterducht habt? Ist das nicht ein Spirituskocher?«

»Ja, tatsachlich«, sagte Teddy. »Wer um Himmels willen hat denn den da vergessen?«

»Papa wahrscheinlich«, sagte Freddy. »Als er und Mama vorgestern abend drau?en waren und Grundnetze ausgelegt haben. Er hatte Mama damit gelockt, da? er ihr im Boot Kaffee kochen wurde, wenn sie mitkame, wei?t du noch?«

»Hort mal, konnten wir nicht auch …« sagte Niklas.

»Wir haben keinen Kaffee«, sagte Freddy. »Nur Wasser.«

Niklas uberlegte. Hei?es Wasser wurde sie trotzdem warmen, und im Augenblick hatten sie Warme notiger als irgend etwas anderes. Er sah sich nach der Kelle um, die sie als Schopfgefa? im Kahn benutzten. Es war ein gewohnlicher Blechschopfer, den konnte man als Kochtopf verwenden. Niklas sagte den anderen, was er vorhatte, und sie schauten gespannt zu, wie er den Spirituskocher anzundete und Wasser aus Teddys Flasche in die Kelle fullte.

»Busche busche boll, kocht den Kessel voll«, sang Freddy, und da kam Johann auf eine Idee.

»Wir konnten doch Dorsch da drin kochen«, sagte er.

Freddy warf ihm einen aufrichtig bewundernden Blick zu.

»Johann, du bist ein Genie«, sagte sie.

Jetzt bekamen sie alle Hande voll zu tun. Sie reinigten und spulten in wahnsinniger Eile alle ihre sieben Dorsche, schnitten sie in Scheiben und hatten eine fast gluckliche Stunde, wahrend sie den Fisch in der Kelle

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