»Hier stehen zu viele Baume«, rief er, »ich lauf zu Nisse und kauf eine Axt.«

»Nein, danke«, sagte Malin, »jetzt mochte ich ein bi?chen Ruhe und Frieden haben.«

Ach, wenn sie gewu?t hatte, wie wenig Ruhe und Frieden sie an diesem Tage haben wurden!

Es fing damit an, da? Melcher plotzlich Johann und Niklas vermi?te: »Wo stecken die Jungen?« fragte er Malin.

»Drau?en auf der Schare, das wei?t du doch«, sagte Malin. »Aber ich finde, sie mu?ten jetzt bald zu Hause sein.«

Das horte Tjorven, und sie verzog bose den Mund.

»Das finde ich auch. Die Dummkopfe! Ich finde, sie konnten endlich Bootsmann bringen. Blo? sie konnen wohl nicht wegen dem Nebel.«

Melcher hatte beschlossen, ein paar Tage mit den Gartenmobeln zu warten. Jetzt sa? er auf der Treppe des Schreinerhauses und blinzelte unaufhorlich. Trotz der Behandlung mit Borwasser hatte er ein Gefuhl, als hatte er Sand in den Augen.

»Was redest du von Nebel?« fragte er Tjorven. »Die Sonne scheint ja, da? einem die Augen brennen.«

»Ja, hier«, sagte Tjorven. »Aber hinter Lillasken liegt der Nebel so dick wie Brei.«

»Ja, das hat Gro?vater auch gesagt«, erklarte Stina. »Und Gro?vater und ich, wir wissen alles, wir horen immer Radio.«

Es dauerte etwa zwei Stunden, bis das, was Malin das Gro?e Beben nannte, bei Melcher ausbrach. Es war genau wie immer und genau so, wie sie es erwartet hatte.

Malin wu?te, ihr Vater war ein mutiger Mann. Wie mutig, das wu?te wahrscheinlich nur sie allein, denn sie hatte ihn in entscheidenden Augenblicken des Lebens gesehen. Andere sahen vielleicht nur den nachgiebigen und kindlichen, manchmal geradezu lacherlich kindischen Melcher; aber hinter all seinem Gebaren verbarg sich ein anderer Mensch, der stark war und vollig furchtlos, das hei?t, in allem, was ihn selbst betraf.

»Aber sobald es um deine Kinder geht, benimmst du dich geradezu lappisch«, sagte Malin.

Das sagte sie, als er dasa? und wegen Johann und Niklas jammerte. Aber bevor es soweit gekommen war, war er dreimal bei Nisse und Marta gewesen.

»Es ist nicht so, da? ich unruhig bin«, hatte er mit verlegenem Lacheln versichert, als er das erste Mal hingegangen war.

»Eure Kinder sind ja mit dem Meer vertraut, ihretwegen sorge ich mich kein bi?chen«, beteuerte er das zweite Mal. »Aber Johann und Niklas drau?en in dieser dicken Milchsuppe …« Denn jetzt hatte der Nebel Saltkrokan erreicht, und er flo?te ihm Furcht ein.

»Meine Kinder stecken in genau derselben Milchsuppe«, sagte Nisse.

Als Melcher zum dritten Mal in den Kaufmannsladen kam, lachte Nisse und sagte: »Was darf es denn heute sein? Ich hab prima Brecheisen, mit denen kannst du dir eins auf den gro?en Zeh hauen, damit du zur Abwechslung mal uber etwas anderes zu jammern hast.«

»Danke, ich brauch kein Brecheisen«, sagte Melcher. Dann lachelte er wieder sein verlegenes Lacheln.

»Wie gesagt – es ist nicht, weil ich unruhig bin, hatte man aber nicht allen Grund, den Seerettungsdienst zu alarmieren?«

»Weshalb denn?« fragte Nisse.

»Na ja, weil ich so wahnsinnig unruhig bin«, sagte Melcher.

»Das ist kein Grund«, meinte Nisse. »Der Seerettungsdienst kann in dieser Waschkuche auch nichts sehen. Und was kann den Kindern zusto?en? Der Nebel lichtet sich wohl bald, und das Wasser ist ja vollig still.«

»Ja, das Wasser schon«, sagte Melcher. »Ich wunschte, ich ware es auch.«

Mi?gestimmt ging er zum Bootssteg hinunter, und als er dieses Graue, Formlose sah, das wie in Wogen auf ihn zurollte, da packte ihn ein Grauen, und er schrie, so laut er konnte:

»Johann! Niklas! Wo seid ihr? Kommt nach Hause!«

Aber Nisse, der ihm gefolgt war, schlug ihm freundlich auf die Schulter. »Mein guter Melcher, man kann nicht in den Scharen wohnen, wenn man sich so anstellt. Und es wird auch nicht das kleinste bi?chen besser, weil du hier stehst und wie ein Nebelhorn heulst. Komm mit zu Marta hinein, wir wollen Kaffee trinken und Wecken essen, komm nur.«

Aber Melcher war von Kaffee und Wecken so weit entfernt, wie ein Mensch davon entfernt sein konnte. Er sah Nisse mit verzweifelten Augen an.

»Sie sind vielleicht noch drau?en auf der Schare – glaubst du nicht auch? Sie sitzen vielleicht in Vestermans Bootsschuppen und haben es warm und schon und gemutlich. Sag, da? du das glaubst«, bat er beschworend. Nisse sagte, er glaube es. Aber gerade da kam ein Motorboot durch den Nebel getofft und machte am Ponton fest. Es war Bjorn, der von Harskar zuruckkam, und der verdarb alles. Auf der Schare seien keine Kinder, beteuerte er, denn er sei eben da vorbeigefahren und habe nachgesehen. Da ging Melcher murmelnd fort. Er traute sich nicht zu sprechen, weil niemand die Tranen in seiner Stimme horen sollte.

Auch als er zu Malin hineinkam, sagte er nichts. Sie sa? mit Pelle im Wohnzimmer. Pelle zeichnete. Malin strickte. Und die alte Amerikaneruhr an der Wand tickte leise, die Glut vom abendlichen Feuer leuchtete im Kamin, der ganze Raum war voll tiefstem Frieden.

So ruhig, so friedvoll, so wunderbar konnte das Leben sein, dachte Melcher, wenn man nur nicht zwei Kinder in Seenot drau?en auf dem Meer hatte.

Melcher sank aufs Sofa und seufzte schwer. Malin warf ihm einen forschenden Blick zu. Sie wu?te genau, wie es um ihn stand, und das Gro?e Beben wurde nicht lange auf sich warten lassen. Dann brauchte er sie, aber bis dahin sa? sie schweigend da und strickte.

Und Melcher nahm sie nicht mehr wahr. Weder sie noch Pelle, sie gingen ihn nichts an. In diesem Augenblick hatte er nur zwei Kinder, und die kampften drau?en auf dem Meer um ihr Leben. Er sah sie viel deutlicher vor sich als Malin und Pelle. Aber sie verhielten sich dauernd anders. Mal lagen sie halbtot vor Hunger und Kalte auf dem Boden des Kahns und riefen mit schwacher Stimme nach ihrem Vater. Mal lagen sie im Wasser und versuchten, mit letzter Kraft eine kleine Felsinsel zu erklimmen. Sie krallten sich mit den Nageln fest und schrien voller Angst nach ihrem Vater. Nun aber kam eine riesige Woge – wo die nun herkommen mochte, da es doch ganz still war? –, aber sie kam und ri? seine beiden Kinder mit sich, und sie versanken, und ihre Haare wogten wie Seegras unter Wasser, ach Herrgott, weshalb konnten Kinder nicht fur immer drei Jahre alt bleiben und auf dem Sandhaufen sitzen mit Eimer und Schaufel, damit einem solche Qual erspart blieb!

Er seufzte schwer ein uber das andere Mal, da endlich erinnerte er sich an Malin und Pelle, und er sah ein, da? er sich zusammennehmen mu?te. Er sah Pelles Zeichnung an. Sie stellte ein Pferd vor, das sah er; das Pferd sah aber im Gesicht genauso aus wie der alte Soderman. Normalerweise hatte Melcher gelacht, jetzt sagte er nur:

»Na, Pelle, du zeichnest? Und du, Malin – was strickst du denn da?«

»Einen Pullover fur Niklas«, antwortete Malin.

»Da wird er sich aber freuen«, sagte Melcher; er schluckte jedoch heftig, denn er wu?te ja, da? Niklas auf dem Meeresgrund lag und nie mehr einen Pullover brauchen wurde. Niklas, Niklas, sein lieber Junge! Wenn man bedenkt, wie er damals, als er zwei Jahre alt war, aus dem Fenster gefallen war. Schon damals hatte Melcher begriffen, da? er so ein engelhaftes Kind war, dem kein langes Leben beschieden sein wurde. Ach, das war ja Pelle gewesen, fiel ihm plotzlich ein, und er warf dem armen Pelle, dessen einziger Fehler der war, da? er nicht auf dem Meeresgrunde lag, einen mi?billigenden Blick zu.

Aber Pelle war ein gescheiter kleiner Kerl, der mehr verstand, als Melcher und Malin jemals klarwurde. Nachdem er sich lange genug die stummen Seufzer angehort hatte, die sein Vater in regelma?igen Abstanden ausstie?, legte er die Zeichnung beiseite. Er wu?te, erwachsene Menschen brauchten auch manchmal Trost, und so ging er denn ohne ein Wort zu Melcher und schlang die Arme um seinen Hals.

Da fing Melcher an zu weinen. Er druckte Pelle heftig an sich und weinte stumm und verzweifelt und mit abgewandtem Gesicht, damit Pelle es nicht merkte.

»Es wird schon alles gut werden«, sagte Pelle trostend. »Ich geh jetzt raus und seh nach, ob der Nebel sich verzogen hat.«

Das war nicht der Fall, eher das Gegenteil. Aber Pelle fand unten am Ufer einen Stein, einen kleinen, feinen braunen Stein, der ganz rund war und sich seidig anfuhlte. Den zeigte er Tjorven.

Sie war auch drau?en im Nebel. Es war ein aufregendes und dramatisches Wetter, und sie mochte es eigentlich, nur heute nicht ganz so gern, da Bootsmann nicht bei ihr war, sondern irgendwo drau?en in dieser

Вы читаете Ferien auf Saltkrokan
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату