Da stand jemand in der Tur, und das war niemand anders als Pelle selbst. »Was macht ihr?« fragte er.
»Pfannkuchen«, sagte Tjorven. »Aber Matilda ist mit dem ganzen Mehl weggelaufen. Ich glaub, es gibt doch keine.«
Pelle kam herein. Er fuhlte sich bei Soderman wohl, das taten alle Kinder. Auf der ganzen Insel gab es keine kleinere Kate: nur eine Kuche und eine kleine Kammer, aber viel Trodel, eine Menge Sachen zum Ansehen. Nicht nur Kalle Hupfanland, der allerdings fur Pelle am wichtigsten war. Au?erdem gab es da noch eine ausgestopfte Eidergans und zwei gebundene Jahrgange alter Witzblatter und ein aufregendes Bild, auf dem Leute, in Schwarz gekleidet, Sarge auf Schlitten ubers Eis fuhren. »Die Cholera wutet«, stand darunter. Und dann besa? Soderman eine Flasche, in der ein ganz kleines Segelschiff war. Pelle wurde nicht mude, es anzusehen, und Stina wurde nicht mude, es zu zeigen.
»Wie haben sie das eigentlich gemacht, da? sie das Schiff in die Flasche kriegten?« erkundigte sich Pelle.
»Ja, du«, sagte Stina. »Das kann dein Gro?vater nicht.«
»Nee, das ist namlich das allerschwerste«, sagte Tjorven. »Seht mich mal an«, sagte sie dann.
Und da verga?en sie das Schiff in der Flasche, weil sie Tjorven ansehen mu?ten. Sie stand mitten in der Kuche, und auf ihrem Kopf sa? der Rabe. Es war ein merkwurdiger, marchenhafter Anblick, der sie verstummen lie?.
Tjorven fuhlte, wie sich die Vogelkrallen in ihrem uppigen Haarschopf festklammerten, und sie lachte selig.
»Stellt euch vor, wenn der Eier in meinem Haar legt.«
Doch diese Hoffnung nahm ihr Pelle.
»Das kann er gar nicht. Dafur braucht man ein Weibchen, wei?t du.«
»O doch«, sagte Tjorven, »wenn er ›Zum Kuckuck mit dir‹ sagen lernt, dann kann er auch Eier legen lernen.«
Pelle schaute den Raben sehnsuchtsvoll an und sagte mit einem Seufzer: »Ich mochte so gern ein Tier haben. Ich hab blo? ein paar Wespen.«
»Wo hast du die denn?« fragte Stina.
»Bei uns im Schreinerhaus. Gleich unterm Dach ist ein Wespennest. Papa ist schon gestochen worden.«
Stina lachelte ein zufriedenes zahnloses Lacheln.
»Ich, ich hab viele Tiere. Einen Raben und eine Katze und zwei Lammer.«
»Ach was, das sind ja gar nicht deine«, sagte Tjorven. »Die gehoren deinem Gro?vater.«
»Ich darf aber trotzdem so tun, als ob es meine waren, wenn ich bei ihm bin«, sagte Stina. »So!«
Da umdusterte sich Tjorvens Gesicht, und sie sagte finster: »Aber ich, ich habe einen Hund. Wenn diese Schufte blo? endlich mit ihm nach Hause kommen wollten.«
Ihr Hund, ja, ihr Bootsmann! Der unternahm gerade einen kleinen Spaziergang auf eigene Faust um die ganze Schare herum, und diese sogenannten Schufte merkten nicht einmal, da? er fort war.
Sie hatten einen herrlichen Morgen gehabt, ach, wie herrlich! »Zuerst baden wir«, hatte Teddy gesagt, und das taten sie dann. Das Wasser war wie immer im Juni. Nur junge Toren von zwolf, dreizehn Jahren sturzen sich freiwillig in ein so bitterkaltes Na?. Aber genau solche jungen Toren waren sie ja, und sie starben nicht daran, im Gegenteil, sie lebten, und sie gluhten. Und sie sturzten sich jubelnd von den Felsen und tauchten und schwammen und spielten und platschten im Wasser herum, bis sie vor Kalte blau waren. Da zundeten sie sich auf einem geschutzten Felshang ihr Lagerfeuer an und setzten sich drum herum, und in ihrem Blut spurten sie samtliche Indianer und Neusiedler und Pelztierjager und Steinzeitmenschen, die um Lagerfeuer gesessen haben, seit das Menschengeschlecht auf dieser Erde lebt. Sie waren jetzt Fischer und Jager und Fanger, sie fuhrten das freie Leben der Wildnis und grillten ihre Beute uber der Glut, wahrend Seeschwalben und Mantelmowen und Silbermowen kreischend uber ihnen kreisten und versuchten, ihnen zu sagen, da? aller gegrillte Dorsch auf dieser Insel eigentlich ihnen gehore. Aber die Eindringlinge blieben unbekummert sitzen und a?en und a?en ihren vorzuglichen Dorsch und machten den widerwartigsten Larm. »Kra, kra, kra«, schrien sie und horten sich an wie Krahen, ja, denn sie hatten gerade einen geheimen Klub gegrundet, dem sie den geheimen Namen »Die Vier Salzkrahen« geben wollten und der fur ewig geheim bleiben sollte. Ihr Kampfruf war
Die Glut ihres Feuers wurde zu Asche, sie aber blieben auf dem sonnenhei?en Felsen liegen und unterhielten sich uber all das Geheime, das sie miteinander unternehmen wollten, sobald sie Zeit dafur hatten. Und die Stunden vergingen, die Junisonne lie? weiterhin verschwenderisch ihre Strahlen uber sie hinfluten, und sie lagen dort und spurten den Sommer im ganzen Korper als etwas wunderbar Schones und Unbeschreibliches, zum Faulenzen geschaffen.
Bis Freddy drau?en auf dem Fjord einen treibenden Kahn entdeckte. Er war so weit entfernt, da? sie ihn kaum noch erkennen konnten, aber da? er leer war, das sahen sie.
»Wie vertauen eigentlich die Leute ihre Boote?« fragte Johann.
Da fuhr Teddy hoch, als ob ihr ein entsetzlicher Gedanke gekommen ware. »Ja, das mochte ich auch mal wissen«, sagte sie, als sie nachgeguckt hatte. In der Felsspalte, in die sie den Kahn hineingezogen hatten, lag kein Kahn mehr. Teddy sah Johann streng an.
»Das mochte ich tatsachlich wissen – wie vertaust du eigentlich ein Boot?«
Johann war es gewesen, der gesagt hatte,
»Ist es nicht sonderbar, da? ein Kind seinem Vater aufs I-Tupfelchen gleichen kann?« pflegte Malin von Johann zu sagen. Und es war wirklich sonderbar.
Sie konnten den Kahn noch immer weit drau?en im Sonnenschein erkennen. Freddy stand auf einem Stein und winkte dem Boot mit beiden Handen nach.
»Leb wohl, leb wohl, mein kleines Boot, gru? Finnland von uns!«
Aber Johann war rot geworden. Er sah die anderen beschamt an.
»Es ist alles meine Schuld. Seid ihr jetzt bose auf mich?«
»Ach was«, sagte Teddy. »So was passiert schon mal.«
»Wie kommen wir aber jetzt hier weg?« fragte Niklas und versuchte, seine Stimme nicht genauso angstlich klingen zu lassen, wie ihm zumute war.
Teddy zuckte mit den Schultern.
»Wir mussen eben warten, bis jemand vorbeikommt. Das kann naturlich einige Wochen dauern«, fugte sie hinzu. Es war zu verfuhrerisch, ihm ein bi?chen Angst einzujagen.
»Na, dann wird zum mindesten Bootsmann verhungert sein«, sagte Johann. Er wu?te, was fur Portionen Tjorvens Hund sich einverleiben konnte.
Da fiel ihnen Bootsmann ein. Wo war er eigentlich? Sie erinnerten sich jetzt, da? sie ihn seit langem nicht mehr gesehen hatten.
Freddy rief nach ihm, aber er kam nicht. Da schrien sie alle, da? die Mowen erschrocken davonflatterten; aber es kam kein Hund.
»Kein Hund und kein Boot, gibt es sonst noch etwas, was wir nicht haben?« sagte Teddy.
»Etwas zu essen«, sagte Niklas.
Aber da wies Freddy triumphierend auf ihren Rucksack, den sie in eine Felsspalte gestellt hatte.
»Stellt euch vor, zu essen haben wir doch! Einen ganzen Rucksack voller Butterbrote. Und sieben Dorsche!«
»Acht«, sagte Johann.
»Nein, einen haben wir ja gegessen«, erinnerte Freddy.
»Trotzdem acht«, sagte Johann. »Mich dazugerechnet, der gro?te Dorsch im nordlichen Scharengebiet.«
Sie standen unschlussig herum. Der Glanz dieses Tages fing an zu verblassen, und nun hatten sie Sehnsucht nach zu Hause.
»Ubrigens«, sagte Freddy und machte plotzlich ein besorgtes Gesicht, »ubrigens glaube ich, da drau?en