Teddy und Freddy starrten ihn an.
»An Essen? Wieso denn?«
»Na ja, daran denke ich meistens«, sagte Niklas mit einem Grinsen. Johann pflichtete ihm bei.
»Und au?erdem hat er noch hochstens zwei Gedanken, und die liegen hier drinnen und schwappen«, sagte er und klopfte an Niklas' Stirn.
»Aber in Johanns Schadel, da stehen die Gedanken so dicht wie ein Heringsschwarm«, sagte Niklas. »Manchmal quellen sie zu den Ohren heraus, wenn es drinnen zu eng wird. Das kommt blo? daher, weil er so viele Bucher liest.«
»Das tu ich auch«, sagte Freddy. »Wer wei?, eines Tages fangen die Gedanken an, auch aus mir rauszuquellen. Ich mochte mal wissen, was das fur ein Gefuhl ist?«
»Wenn ich Theodora bin, dann denke ich anders, als wenn ich Teddy bin«, sagte Teddy.
Johann guckte sie erstaunt an. »Theodora?«
»Denk mal, hast du das nicht gewu?t? Ich hei?e eigentlich Theodora, und Freddy hei?t Frederika.«
»Das war ein Wahnsinnseinfall von Papa«, erklarte Freddy. »Mama hat Teddy und Freddy daraus gemacht.«
»Meine Theodoragedanken sind wie ein Traum, so schon«, sagte Teddy. »Wenn die bei mir vorherrschen, dann schreibe ich Gedichte und nehme mir vor, nach Afrika zu reisen und bei den Aussatzigen zu arbeiten oder Raumforscher zu werden und als erster auf den Mars zu kommen oder so was.«
Niklas sah Freddy an, die sich an den Riemen abrackerte.
»Und deine Frederikagedanken?«
»Hab keine«, sagte Freddy. »Ich bin die ganze Zeit nur Freddy. Aber meine Freddygedanken sind ziemlich schlau. Wollt ihr den letzten horen?«
Johann und Niklas wurden neugierig. Sie wollten gern den letzten Freddygedanken horen.
»Der lautet so«, sagte Freddy. »Ob nicht einer von diesen beiden faulen Burschen ein Weilchen rudern konnte?«
Johann beeilte sich, sie an den Riemen abzulosen, aber er machte sich Sorgen, wie es wohl gehen wurde. Er und Niklas hatten in dem alten, lecken Kahn des Schreinerhauses abends gerudert. Ganz im geheimen hatten sie in Janssons Bucht geubt, um nicht allzu ungeschickt zu sein, wenn sie mit Teddy und Freddy zusammen im Boot sitzen wurden.
»Wir wissen auch eine ganze Menge uber Boote, obwohl wir keine Scharenbewohner sind«, hatte Johann versichert, als sie die Grankvist-Madchen kennengelernt hatten.
Und Freddy hatte etwas verachtlich gesagt:
»Wahrscheinlich Rindenboote geschnitzt, was?«
Teddy und Freddy waren auf Saltkrokan geboren. Sie waren mit Leib und Seele Scharenmadchen. Sie wu?ten so gut wie alles uber Schiffe und Gewasser und Wetter und Winde und wie man mit Stellnetzen fischt und mit Kiemennetzen und Grundleinen und Schleppnetzen. Sie konnten Stromlinge saubern und Barsche schuppen, sie konnten Tauwerk splissen und Schifferknoten schlingen und den Kahn mit einem Riemen wricken genausogut, wie sie mit zwei Riemen rudern konnten. Sie wu?ten, wo die Barsche standen und wo die Schilfbuchten waren, in denen man einen Hecht fangen konnte, wenn man Gluck hatte; sie kannten die Eier samtlicher Meeresvogel und deren Stimmen, und besser als daheim in der Kuche ihrer Mama fanden sie sich in der ganzen verworrenen Welt von Holmen und Schareninseln und Buchten und Sunden zurecht, die das Scharengebiet um Saltkrokan bildeten.
Sie prahlten nicht mit ihrem Wissen. Wahrscheinlich dachten sie, alles, was sie so gut konnten, war einem angeboren, wenn man ein Scharenmadchen war, so wie die Eidergans mit Schwimmhauten zwischen den Zehen zur Welt kam und der Barsch mit Kiemen.
»Habt ihr nicht Angst, da? euch auch Kiemen wachsen konnten?« pflegte ihre Mutter sie zu fragen, wenn sie Hilfe bei der Telefonvermittlung brauchte oder im Geschaft und wie gewohnlich ihre Tochter aus dem Meer heraufholen mu?te.
Dort fand man sie bei jedem Wetter, und sie bewegten sich im Wasser genauso leicht und selbstverstandlich, wie sie auf Bootsstegen und in Booten herumsprangen oder in den Mastkorb des alten Heringskutters in Janssons Bucht hinaufkletterten.
Johann hatte Blasen an den Handen, als sie auf der Schare ankamen. Sie brannten, aber er war zufrieden. Hatte er vielleicht nicht gerudert und gut gerudert? Das genugte, um ihn froh und geradezu ubermutig zu machen.
»Armer kleiner Junge, er wird wie sein Vater«, sagte Melcher oft. »Standig mal oben und mal unten.«
Eben jetzt war Johann sehr »oben«, und das waren sie ubrigens alle vier. Wenn Bootsmann es auch war, so verbarg er es jedenfalls gut. Er hatte die gleiche unerschutterlich besorgte Miene wie immer. Aber vielleicht war er trotzdem irgendwo in seiner Hundeseele zufrieden, als er sich auf dem Felshang zurechtlegte mit dem Rucken gegen Vestermans altes Bootshaus, dessen graue Wand die Sonne schon erwarmt hatte. Hier lag er gut, und von hier aus konnte er die Kinder im Kahn sehen, wie sie die Netze heraufholten. Sie schrien und tobten derart, da? Bootsmann unruhig wurde. Waren sie etwa in Seenot und brauchten Hilfe? Es horte sich so an, und Bootsmann konnte ja nicht wissen, da? sie vor Freude uber ihr Fanggluck kreischten.
»Acht Dorsche«, sagte Niklas. »Malin wird bestimmt bla?. Sie hat gesagt, sie wollte gekochten Dorsch mit Senfso?e zu Mittag machen – aber nicht Tag fur Tag die ganze Woche lang.«
Johann wurde immer aufgeraumter.
»Macht das Spa?!« schrie er. »Findet etwa einer, da? Dorsche fangen keinen Spa? macht? Dann soll er es nur sagen!«
»Die Dorsche wahrscheinlich«, sagte Freddy trocken.
Eine kurze Sekunde lang taten Johann die Dorsche leid, und er kannte jemanden, dem sie noch mehr leid getan hatten, wenn er hier gewesen ware.
»Ein Gluck, da? wir Pelle nicht mitgenommen haben«, sagte er. »Dem wurde das hier nicht gefallen.«
Bootsmann warf vom Bootshaus oben einen letzten forschenden Blick auf den Kahn und die Kinder. Aber als er sah, da? sie seine Hilfe nicht brauchten, gahnte er und lie? seinen Kopf auf die Vorderpfoten sinken. Jetzt wollte er schlafen.
Und wenn es stimmte, was Teddy und Freddy behaupteten, da? Bootsmann wie ein Mensch denken und fuhlen konnte, dann uberlegte er vermutlich, bevor er in Schlaf fiel, was Tjorven daheim wohl tat und ob sie schon wach war.
Tjorven war wach. Sehr wach. Als sie merkte, da? Bootsmann nicht wie sonst neben ihrem Bett lag, begann sie nachzudenken. Und als sie eine Weile nachgedacht hatte, wurde ihr klar, was geschehen war, und da wurde sie bose, ganz wie Freddy es vorausgesehen hatte.
Tjorven stieg mit gerunzelten Augenbrauen aus dem Bett. Bootsmann war ganz allein ihr Hund, niemand hatte das Recht, mit ihm aufs Meer zu fahren. Aber Teddy und Freddy taten das andauernd, ohne uberhaupt zu fragen. So konnte das einfach nicht weitergehen! Tjorven ging spornstreichs ins Schlafzimmer, um sich zu beschweren. Ihre Eltern schliefen, aber Tjorven marschierte ohne Erbarmen ans Bett ihres Vaters und ruttelte ihn.
»Papa, wei?t du was«, sagte sie aufgebracht, »Teddy und Freddy haben Bootsmann mit auf die Scharen genommen.«
Nisse offnete widerwillig ein Auge und warf einen Blick auf den Wecker. »Mu?t du morgens um sechs Uhr kommen und mir das erzahlen?«
»Ja, fruher konnte ich nicht kommen«, sagte Tjorven. »Ich hab es ja jetzt erst gemerkt.«
Ihre Mutter bewegte sich schlaftrunken in dem anderen Bett.
»Mach nicht solchen Krach, Tjorven«, murmelte sie. Es war bald Zeit fur Marta, aufzustehen und einen neuen, arbeitsreichen Tag zu beginnen. Diese letzte halbe Stunde, bevor der Wecker klingelte, war fur sie so kostbar wie Gold, aber das begriff Tjorven nicht.
»Ich mach keinen Krach, ich bin nur bose«, sagte sie.
Niemand wurde in einem Zimmer schlafen konnen, in dem Tjorven bose war, es sei denn, er war stocktaub. Marta merkte, wie grausam hellwach sie wurde, und sie sagte ungeduldig:
»Warum machst du so ein Theater? Bootsmann darf doch wohl auch mal ein bi?chen Spa? haben.«
Jetzt ging es aber erst richtig los.