kommt Nebel auf.«

Aber im selben Augenblick horten sie das vertraute Tuckern eines Benzinmotors auf dem Fjord, zunachst schwach, nach und nach aber immer lauter.

»Guckt mal, das ist Bjorns Boot«, rief Freddy, und sie und Teddy begannen, wie wild zu hopsen und zu schreien. »Und guckt mal, er hat unseren Kahn im Schlepp.«

»Wer ist Bjorn?« fragte Niklas, wahrend sie dastanden und warteten und zusahen, wie das Motorboot immer naher kam. Teddy winkte dem im Boot zu. Es war ein braungebrannter junger Mann mit einem angenehmen, kraftig geschnittenen Gesicht. Er sah fast aus wie ein Fischer, sein Boot sah auch aus wie ein richtiges Fischerboot. »Hej, Bjorn!« rief Teddy. »Du kommst uns gerade recht! Das ist unser Lehrer«, erklarte sie

Niklas.

»Sagt ihr einfach Bjorn zu ihm?« fragte Johann erstaunt.

»So hei?t er doch«, versicherte Teddy, »und wir kennen ihn ja schlie?lich.«

Das Boot fuhr jetzt langsamer und steuerte auf den Felsen zu, auf dem die Kinder standen.

»Hier habt ihr euren alten Kahn«, rief Bjorn und schleuderte Teddy die Fangleine zu. »Wie vertaut ihr eigentlich?«

Teddy lachte. »Ach, das ist verschieden.«

»Soso«, sagte Bjorn. »Aber mit dieser Art solltet ihr lieber aufhoren. Es ist namlich nicht sicher, da? ich dauernd vorbeikomme und eure Siebensachen aufsammle.« Und dann fugte er noch etwas hinzu. »Fahrt auf der Stelle nach Hause. Es kommt Nebel auf, und ihr mu?t euch beeilen, wenn ihr vor ihm nach Saltkrokan kommen wollt.«

»Na, und du?« fragte Teddy.

»Ich mu? raus nach Harskar«, sagte Bjorn, »sonst hatte ich euch ins Schlepptau genommen.«

Dann fuhr er davon, und sie horten, wie sich das Motorengetucker in Richtung von Harskar entfernte.

Ware Bootsmann dagewesen, hatten sie sofort aufbrechen konnen, und dann hatte Melcher an diesem Abend keine Beruhigungstabletten zu schlucken brauchen. Doch das Leben besteht aus einer Kette von kleinen und gro?en Geschehnissen, und die hangen zusammen wie Erbsstroh. Ein einziger kleiner Hecht kann viel Unfug anrichten und erwachsene Manner wie Melcher zwingen, Beruhigungstabletten zu nehmen.

So klein war er ubrigens gar nicht, dieser Hecht. Es war ein richtig unheimlicher alter Bursche von annahernd vier Pfund, dessen Bekanntschaft Bootsmann bei seinem Spaziergang rund um die Schare gemacht hatte. Die Bekanntschaft beschrankte sich darauf, da? sie einander uber eine Stunde lang ins Auge starrten, Bootsmann auf einer felsigen Uferboschung, der Hecht im seichten Wasser dicht davor. Bootsmann war einem Blick wie diesem aus kalten, starren Hechtaugen noch nie begegnet, er hatte noch nie ein so erstaunliches Tier zu Gesicht bekommen, und er konnte sich nicht davon losrei?en. Der Hecht seinerseits sah aus, als ob er dachte: Glotz du nur, du Ungetum, mir jagst du keine Angst ein, und ich stehe hier, solange es mir pa?t.

Mit diesem Hecht aber gingen viele kostbare Minuten verloren. Es dauerte viel zu lange, bis Hund und Kinder und Dorsche und Netze und Badeanzuge und Rucksacke endlich eingesammelt und ins Boot gebracht waren. Unterdessen kam der Nebel immer naher. Gro?e, formlose Nebelbanke wallten vom Meer heran, und die Kinder waren noch nicht weit von der Schare weg, als sie auch schon von Nebel umfangen waren wie von weichen, grauen, wolligen Armen.

»Das ist, wie wenn man traumt«, sagte Johann.

»So einen Traum hab ich nicht besonders gern«, versicherte Niklas. Irgendwo in weiter Ferne horten sie ein Nebelhorn dumpf tuten, sonst war alles still. Ob Niklas es nun gern hatte oder nicht, aber es war genau so still wie in einem Traum.

Verirrt im Nebel

Daheim auf Saltkrokan schien noch immer die Sonne, und Melcher war dabei, die Gartenmobel anzustreichen. Er habe seit seiner Kindheit nichts mehr anstreichen durfen, seit er einmal einen bosen kleinen Mann in roter Farbe auf die Tapete im Salon gemalt habe, beklagte er sich bei Malin. Das war eine Ungerechtigkeit, und die sollte jetzt sofort aus der Welt geschafft werden. Heutzutage sei das Streichen leicht, erklarte er ihr. Man brauche sich nicht mit Pinseln und Farbtopfen abzumuhen, jetzt brauche man nur eine handliche kleine Spritze, rasch ginge es, und gut wurde es, versicherte Melcher.

»Das denkst du«, sagte Malin.

Sie hatte Nisse Grankvist auf verschiedene Dinge vorbereitet, die Melcher wahrscheinlich bei ihm kaufen wollte und die er auf keinen Fall in die Hand bekommen durfte.

»Keine Sense, kein Beil, kein Brecheisen«, hatte sie gesagt.

»Kein Brecheisen?« sagte Nisse. »Mit einem Brecheisen kann er doch aber kein Unheil anrichten.«

»Du wurdest nicht so reden, wenn du neunzehn Jahre mit ihm zusammengelebt hattest«, versicherte Malin. »Na ja, dann gib ihm nur das Brecheisen, aber sorge bitte dafur, da? deine Regale voll Verbandstoff ›fur Erste Hilfe‹ und schmerzstillender Mittel sind.«

Eine Farbenspritze hatte sie vergessen zu erwahnen, und daher stand Melcher nun hier, glucklich wie ein Kind, und bespritzte einen Gartenstuhl, der sicher nicht mehr gestrichen worden war, seit es der frohliche Schreiner getan hatte.

Tjorven hatte nach zwei Stunden ausdauernder und treuer Dienste ihre Stellung gekundigt. Jetzt scharten sie sich um Melcher, sie und Pelle und Stina. Das sah so lustig aus, diese Anstreicherei, am liebsten hatten sie alle drei mitgeholfen.

»Untersteht euch«, sagte Melcher. »Dies ist mein Spielzeug, jetzt hab ich ausnahmsweise mal Spa?.«

»Bist du ein Spritzmaler, Herr Melcher?« fragte Tjorven.

Melcher lie? einen Strom von Farbe uber den Stuhl rinnen.

»Nein, das bin ich nicht. Aber, siehst du, ein tuchtiger Mann mu? so gut wie alles konnen.«

»Bist du das denn?« fragte Tjorven.

»Ja, das ist er«, versicherte Pelle.

»Das bin ich«, sagte Melcher zufrieden. »Ein sehr tuchtiger Mann, wenn ich das von mir selber sagen darf.«

In diesem Augenblick kam eine von Pelles Wespen angesurrt, und da Melcher schon einmal gestochen worden war, fuchtelte er jetzt mit der Spritze herum, um sie zu verscheuchen. Wie er es angestellt hatte, war hinterher nicht festzustellen. Das war fast nie moglich, bei Melchers Mi?geschicken, es blieb stets ein Geheimnis. Malin in der Kuche horte jedenfalls den Aufschrei, und als sie ans Fenster sturzte, sah sie Melcher drau?en stehen, die Augen fest zusammengekniffen und das Gesicht verkleistert. Tuchtig wie er war, hatte er sich selber mit der Spritze bemalt, und er war wei? im Gesicht wie eine Sahnetorte.

Oder wie Matilda, dachte Tjorven und lachte leise vor sich hin.

Aber Pelle weinte.

Nun war es nicht so schlimm mit Melcher, wie Pelle dachte. Er hatte so viel Verstand besessen, die Augen rasch zusammenzukneifen, und er hielt sie noch immer fest geschlossen, als er auf die Kuchentur zuwankte, um sich von Malin helfen zu lassen. Er tastete mit den Handen, und den Kopf hielt er vorgestreckt, so weit er konnte, einmal, weil die Farbe nicht aufs Hemd hinunterrinnen sollte, und andererseits, damit Malin sofort erkennen konnte, um welchen Korperteil es sich diesmal handelte. Da stie? er gegen einen Baum.

Einen Apfelbaum, den der frohliche Schreiner wahrscheinlich mit Liebe und Freude gerade hier eingepflanzt hatte. Melcher hatte Apfelbaume auch sehr gern, aber jetzt waren seine Klagerufe so wild und verzweifelt, wie Malin sie noch nie von ihrem Vater gehort hatte. Und sie hatte schon viele gehort.

Pelle weinte noch mehr, und Stina fing ebenfalls an. Aber als Tjorven Herrn Melchers Sahnetorte-Gesicht sah, das nun noch mit Moos und Flechte garniert war wie andere Torten mit Mandelsplittern, da war sie so gescheit, um die Hausecke zu laufen. Denn sie merkte, da? ein lautes Lachen aus ihr herauswollte, und sie wollte Herrn Melcher nicht noch trauriger machen, als er schon war.

Hinterher – nachdem Malin ihn gesaubert und seine Augen mit Borwasser ausgewischt hatte – wollte Melcher den Apfelbaum umhauen.

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