eine Wasserrinne da war, wenn er eine sah. Er hatte sie im Schuppen gefunden, in diesem herrlichen alten Schuppen, der so viel Gerumpel enthielt, und in aller Stille hatte er die Rinne mit Sand gescheuert, damit sie sauber wurde. Nun brauchte er sie nur noch anzubringen.
»Nichts einfacher als das«, versicherte Melcher sich selber, und er uberlegte auch genau, wie es zu bewerkstelligen ware.
»Punkt 1. Du errichtest am Brunnen ein Gestell, so da? die Rinne das richtige Gefalle hat. Punkt 2. Du befestigst dieses Gestell mit Draht an einem der untersten Aste des Mehlbeerbaumes. Punkt 3. Du bringst die Rinne in dem Gestell an, machst sie ebenfalls fest und ebenfalls mit Draht und fuhrst sie zum Kuchenfenster hinein, o ja, denn du hast sorgfaltige Messungen vorgenommen und kontrolliert, da? sie lang genug ist. Punkt 4. Du stellst in der Kuche eine gro?e, prachtige Wassertonne unter die Rinne. Punkt 5 und 6. Das Wasser lauft frohlich blubbernd in die Kuche, und du selbst liegst frohlich blubbernd im Grase drau?en und tust keinen Handschlag.«
Das hei?t, heraufziehen mu?te man das Wasser ja nach wie vor mit Handkraft, aber die Brunnenwinde zu handhaben war nicht anstrengend. Man konnte sich morgens eine bestimmte Zeit vornehmen und funfzehn, zwanzig Eimer Wasser auf einmal heraufwinden, dann hatte man fur den Rest des Tages frei, und Malin konnte kalte Abreibungen machen – wenn sie wollte, alle Viertelstunde eine.
Melcher machte sich mit frischem Mut ans Werk. Es war muhsamer, als er erwartet hatte, aber er redete sich sanft und ermunternd zu, wahrend er beschaftigt war.
»Zwei Dinge gibt es, die sind eine wahre Wonne«, sagte er, als er die Rinne an Ort und Stelle angebracht hatte, »ja, drei Dinge wei? ich, die alle Vorstellungen ubertreffen: diese schlau ersonnene Holzrinne, der Weg des Wassers in die Kuche und Melcher Melchersons Weg zu immer gro?erer Weisheit.«
Es verlief alles prima, es sah genauso aus, wie er es sich vorgestellt hatte, und es wurde auch genauso funktionieren, das wu?te er. Eine Wassertonne hatte er noch nicht besorgen konnen, und das war schade. Nun mu?te er es mit einem einzelnen Eimer ausprobieren, aber dazu brauchte er jemanden, der in der Kuche stand und meldete, wenn der Eimer voll war.
Da kam gerade Tjorven, wie vom Himmel gesandt, und Melcher lachte, als er sie sah.
»Tjorven, du bist genau zur rechten Zeit gekommen.«
»Wirklich?« sagte Tjorven begeistert. »Hast du Sehnsucht nach mir gehabt?«
Zwischen Melcher und Tjorven war eine Freundschaft entstanden, wie man sie bisweilen zwischen einem Kind und einem Erwachsenen antrifft, eine Freundschaft zwischen zwei Ebenburtigen, die vollkommen aufrichtig miteinander sind und das gleiche Recht haben, zu sagen, was sie denken.
Melcher hatte genugend von einem Kind in sich, und Tjorven genugend von etwas anderem, nicht gerade etwas Erwachsenem, aber eine merkwurdige innere Kraft, die es ermoglichte, da? sie tatsachlich als Ebenburtige oder jedenfalls als beinahe Ebenburtige miteinander umgehen konnten. Tjorven sagte Melcher mehr bissige Wahrheiten als irgend jemand sonst, und hin und wieder zuckte er auch zusammen und hatte sie am liebsten angeschnauzt; aber er sah schnell ein, da? es bei Tjorven vergeblich ware. Sie war, wie sie war, und sagte geradeheraus, was sie dachte. Meistens war sie ja auch freundlich, denn sie mochte Herrn Melcher sehr gern.
Er erklarte ihr, was diese Rinne fur ein glanzender Einfall sei. Von nun an wurde Malin das Wasser geradewegs in die Kuche kriegen.
»Das kriegt Mama auch«, sagte Tjorven, »sie kriegt das Wasser auch geradewegs in die Kuche.«
»Das stimmt aber doch gar nicht«, sagte Melcher.
»Doch«, sagte Tjorven, »Papa tragt's rein.«
Da lachte Melcher uberlegen. Dies hier sei etwas anderes. Und er habe es sich als eine hubsche kleine Uberraschung fur Malin ausgedacht, sagte er.
Tjorven sah ihn ernsthaft an.
»Und au?erdem, weil du dann nicht so viel schuften mu?t, was?«
Darauf gab Melcher keine Antwort.
»Jetzt stellst du dich hier neben den Eimer«, erklarte er Tjorven, »und wenn Wasser kommt, dann rufst du. Und wenn der Eimer voll ist, dann rufst du auch. Verstanden?«
»Ja, ich bin doch nicht dumm«, sagte Tjorven.
Melcher lief hinaus zum Brunnen, eifrig wie ein Kind, und ebenso eifrig zog er einen Eimer Wasser herauf und go? ihn in die Rinne. Er lachte vor Freude, als er sah, wie das Wasser zur Kuche flo?, und er horte Tjorven dort drinnen schreien. O ja, o ja, wahrhaftig, es funktionierte, wie er es sich vorgestellt hatte!
Jedoch nicht so ganz – leider nicht so ganz! Die Rinne war undicht, das meiste Wasser lief auf die Erde, das sah er zu seinem Gram. Aber so was konnte behoben werden. Tonnen, die undicht waren, legte man ins Wasser, damit sie aufquollen. Das konnte er mit seiner Wasserrinne auch machen, aber Himmel, sie wieder herunterzunehmen, das ging uber seine Kraft! All diesen prachtigen Draht – es mochten ungefahr zwei Kilometer sein, die er herumgewickelt hatte –, den kriegte man nicht so im Handumdrehen wieder ab. Ob es nicht ebensogut ging, wenn er eine Menge Wasser durch die Rinne flie?en lie?, so wie sie da stand? Auf diese Weise mu?te sie ja auch allmahlich dicht werden.
Er legte los mit all dem Eifer und der Kraft, die er auf alles anwendete, was er machte, und nachdem er ungefahr zehn Eimer Wasser durch die Rinne geschickt hatte, schien es ihm, als ob sie ein bi?chen mehr dichthielte. Oder war es vielleicht nur Einbildung? Da stand er und kratzte sich am Hinterkopf und sah das Wasser auf die Erde stromen, als ihm plotzlich zum Bewu?tsein kam, da? Tjorven in der Kuche schrie und tobte. Er hatte ein Gefuhl, als hatte sie es schon ziemlich lange getan, ohne da? er es gemerkt hatte, und er rief eifrig: »Ist es da jetzt voll?«
Tjorvens grimmiges Gesicht tauchte am Fenster auf.
»Nee«, sagte sie, »nicht die ganze Kuche! Blo? bis zur Schwelle.«
Und dann sagte sie: »Bist du schwerhorig, Herr Melcher?« Es stand au?er Zweifel, da? die Rinne besser funktionierte, als Melcher angenommen hatte. Wenn auch das meiste Wasser auf die Erde geflossen war, so langte der Rest doch noch, den Eimer wie auch den Kuchenfu?boden zu fullen.
Johann und Niklas kamen eine Weile spater ins Haus. Sie fanden ihren Vater auf dem Fu?boden, einen Scheuerlappen in der Hand, und fragten erstaunt:
»Scheuerst du die Kuche?«
»Nee«, sagte Tjorven, die auf der Holzkiste kauerte und zuguckte, »er hat nur eine hubsche kleine Uberraschung fur Malin gemacht. Jetzt hat sie das Wasser direkt in die Kuche gekriegt.«
»Raus«, brullte Melcher, »alle miteinander raus!«
Aber fern von Melchers netten Uberraschungen geno? Malin ihren Sommertag, da? sie es bis in die Zehenspitzen spurte. Dieser Tag ein Leben – o ja, da war es ihr gegluckt, ein bi?chen vom Notigsten mitzukriegen. Die Sonne und das Wasser und der sanfte Sommerwind, der gute, harte, warme Fels, auf dem sie lag, der Blumenduft, der uber sie hinwegstrich und sich mit den Geruchen vom Meer mischte, oh, alle diese kleinen, wunderbaren grunen Holme mit ihren kahlen grauen Uferfelsen, ihren Blumen und ihren Seevogeln – wie konnte man einen Tag und ein Leben besser verschwenden als auf so einem Felsen? Konnte es etwas Seligeres geben, als so in der Sonne zu liegen und Vogel fliegen zu sehen und dem Schwappen der Dunung gegen den Felsen zu lauschen? Naturlich, ohne Krister ware die Seligkeit vielleicht gro?er gewesen, denn sein Geschwafel ubertonte das leichte Wellengeplatscher. Dieses Geschwafel begann sie zu reizen, nicht sehr, nur ein wenig, es war nur wie ein unbestimmter Wunsch, da? er bald still sein moge, aber sie wu?te, er wurde nicht still sein. Als sie am Mittsommerabend an Janssons Bucht sa?en, hatte sie ihm zu verstehen gegeben, wie gern sie ganz stumm dasa? und ganz allein war. »Nicht immer, Gott behute, und nicht gerade jetzt«, hatte sie rasch versichert, aber trotzdem – manchmal fuhlte sie, da? sie allein sein
»Ich kann auch allein sein«, hatte Krister ihr versichert, »aber es kommt ganz darauf an, mit wem. Mit dir konnte ich wer wei? wie lange allein sein.«
Armer Krister, er durfte auch jetzt nicht mit Malin allein sein. Pelle mochte sein Geschwafel auch nicht. Trotzdem hatte er sich so nah neben den beiden niedergelassen, wie er nur konnte, damit ihm nicht ein einziges Wort entging. Er sammelte Steine am Ufer und schaute kleinen Ukeleien im Wasser zu, hielt aber die ganze Zeit die Ohren weit aufgesperrt.
»Ich hatte vor, fur eine Woche nach Aland hinuberzuspritzen«, sagte Krister. »Mit dem Motorboot. Willst du mit?«