»Nach Belieben«, sagte er muhsam.

Dann stand er auf und ging zum Entsetzen seiner Kinder zur Tur hinaus, und durchs Fenster sahen sie, wie er sich am Gartentisch niedersinken lie?, wo er den Tag mit so viel Erwartung begonnen hatte. Ihr Herz schnurte sich zusammen vor Mitgefuhl, und ohne ein Wort zu sagen, sturzten sie alle zur Tur hinaus.

»Aber Papa, weshalb bist du denn so traurig?« fragte Malin, als sie Melcher, die Hande vors Gesicht geschlagen, dasitzen sah.

»Weil ich wertlos bin«, sagte Melcher und sah sie mit Tranen in den Augen an. »Dieser Tag ein Leben – und was habe ich getan? Ich kann auch nicht das geringste ordentlich machen, alles mi?lingt mir. Ich schreibe auch sicher schlechte Bucher, das ist mir jetzt klar. Doch, widersprecht mir nicht, das tue ich! Arme Kinder, ihr habt einen wertlosen Vater.«

Da warfen sie sich alle auf ihn. Sie drangten sich an ihn und umarmten ihn, und sie versicherten ihm, es gebe kein Kind, das einen so tuchtigen und so liebenswerten und so guten Vater habe wie sie, und sie hatten ihn so gern, sie liebten ihn so grenzenlos, weil er so lieb und so tuchtig und so gut sei, versicherten sie.

»Hmmm«, machte Melcher. Er wischte sich die Tranen mit der Ruckseite der Hand ab und lachelte ein bi?chen. »Bin ich nicht auch stark und hubsch? Davon habt ihr nichts gesagt!«

»Doch«, sagte Malin, »du bist auch stark und hubsch, und dann macht es nichts, wenn du ein bi?chen zuviel Salz ins Essen tust.«

Aber Johann und Niklas hatten die ubrigen Barsche, die sie gefangen hatten, verschenkt, und sie hatten nichts zu essen im Haus, der Laden hatte geschlossen, und sie hatten Hunger.

»Ist Knackebrot da?« fragte Niklas.

Aber bevor noch jemand antworten konnte, kam Tjorven mit Bootsmann auf den Fersen und sagte:

»Papa ladt zum Bucklingessen ein unten in der Raucherei.

Mochte einer was haben?«

Dieser Tag ein Leben – und wenn es kostlich gewesen ist, so ist es Heulen und Zahneklappern gewesen, dachte Melcher. Nun aber kam der Abend mit Frieden und Klarheit, und Melcher hatte sich alle seine Dummheiten verziehen. Das Leben war doch eine schlau erdachte Einrichtung mit seiner standigen Abwechslung, im einen Augenblick Heulen und Zahneklappern, im nachsten die rosigste Freude und allerlei Kostlichkeiten, dachte Melcher, wie frisch geraucherter Buckling, Butter und neue Kartoffeln.

Sie sa?en vor Nisses Raucherei auf den Ufersteinen, und die Sonne ging drau?en im Fjord unter mit roten Wangen von der sommerlichen Warme. Nisse reichte ihnen Bucklinge, goldbraune, duftende Bucklinge, soviel sie essen konnten. Marta stiftete Butter und Kartoffeln und selbstgebackenes Graubrot, und Melcher hielt eine Rede. Es war ein Lobgesang auf die Freundschaft und auf den Buckling, denn er merkte, wie sich die dankbaren Gefuhle in seiner Brust stauten. Und ob das Leben schon war! Man stelle sich nur vor, wie viel von dieser Schonheit in einem einzigen Sommertag enthalten sein konnte!

»Ja, meine Freunde«, sagte Melcher, »es ist genauso, wie ich immer sage: dieser Tag ein Leben!«

»Und dann auch noch so ein tolles Leben!« sagte Pelle.

Ein kleines Tier fur Pelle

Melcher liebte seine Kinder sturmisch, und hin und wieder dachte er uber sie nach. Zwar war er Schriftsteller, und wenn man ihn fragte, was ihn im Augenblick beschaftigte, antwortete er: »Melcher ist nur mit Melcher beschaftigt!« Das stimmte aber nicht so ganz. Manchmal dachte er auch uber seine Kinder nach, und es war ihm unbegreiflich, wie gerade er vier so prachtvolle Spro?linge hatte bekommen konnen. Und so verschieden. Nicht nur, da? Malin und Johann blond waren und die beiden anderen braun, nein, sie waren auch durch und durch verschieden.

Zuerst Malin, sein Trost und sein Heil – wie konnte sie so klug werden, da sie so hubsch war? Hubsche Madchen waren im allgemeinen von ihrem eigenen Hubschsein in Anspruch genommen, sie hatten gewisserma?en gar keine Zeit, klug zu werden. Malin war anders. Zwar wu?te er nicht allzuviel von den Gedanken, die sich hinter ihrer glatten Stirn regten, aber er wu?te, dahinter lagen Klugheit und Warme und gesunde Vernunft. Und au?erdem war sie voller Anmut, ohne sich dessen bewu?t zu sein, wie eine Blume, jedenfalls schien es so.

Und dann Johann, der gescheiteste von den Kindern, der am meisten Phantasie hatte und am zappeligsten war. Er wurde es einmal nicht leicht haben, denn er schlug seinem Vater nach, das arme Kind! Niklas dagegen war ausgeglichen und sicher und lebenstuchtig von dem Tag an, als er auf die Welt kam, der frohlichste und handfesteste von der ganzen Familie Melcherson. Niklas wurde leicht durchs Leben kommen, das wu?te Melcher.

Aber dann war da Pelle, wie sollte es ihm ergehen? Wie wurde das Leben werden fur einen, der anfing zu weinen, weil er in der Stra?enbahn Leute sah, die ein trauriges Gesicht machten, oder weil er einer Katze begegnet war, die aussah, als ware sie obdachlos. Diese stete Sorge, da? ein Mensch oder eine Katze oder ein Hund oder eine Wespe nicht glucklich genug sein konnte, wie sollte er die auf die Dauer aushalten? Und all das andere Wunderliche, uber das er nachgrubelte! Weshalb es in den Telegraphendrahten summte, so da? man am liebsten weinen mochte, wenn man es horte, und warum die Baume rauschten, als ob sie uber irgend etwas klagten, und wie es kam, da? das Meer so dumpf brauste, ob es wohl wegen all der toten Seeleute sei, fragte Pelle mit Tranen in den Augen. Er konnte aber auch auf seine eigene wunderliche Weise heiter sein. Es gab allerlei, was ihn glucklich machte: allein im Bootshaus zu sitzen, wenn es regnete, und zu horen, wie es auf das Dach trommelte, oder oben auf dem Hausboden in einer Ecke zu kauern, wenn es sturmte, am liebsten in der Dammerung, und dazusitzen und das ganze Haus achzen zu horen. Niklas versuchte, aus ihm herauszubekommen, wieso er solche sonderbaren Dinge so gern mochte, aber Pelle sagte nur: »Wenn du es nicht von selbst verstehst, dann hat es keinen Sinn, da? ich es dir erklare.« Au?erdem war er Forscher, und fur so einen gab es viel zu tun. Auf dem Bauch im Gras liegen und beobachten, was das kleine Getier trieb. Auf dem Bootssteg auf dem Bauch liegen und die wundersame grune Welt ergrunden, in der die kleinen Stichlinge ihr kleines Stichlingsdasein fuhrten. An dunklen Augustabenden auf den Treppenstufen sitzen und sehen, wie die Sterne nach und nach aufglanzten, und die Kassiopeia und den Gro?en Baren und den Orion suchen. Pelle erlebte das ganze Dasein als eine Reihe von Wundern, und er war standig damit beschaftigt, sie zu erforschen, geduldig und seiner Arbeit hingegeben, wie es sich fur einen Forscher gehorte. Melcher empfand hin und wieder so etwas wie Neid, wenn er seinen Jungsten beobachtete. Weshalb konnte man nicht das ganze Leben hindurch die Fahigkeit bewahren, Erde und Gras und rauschenden Regen und Sternenhimmel als Seligkeiten zu erleben?

Und dann diese grenzenlose Tierliebe. Es war beinahe grausam, da? er nie einen Hund bekommen hatte. Er hatte angefangen, darum zu betteln, sobald er gro? genug war, »Wau-wau« zu sagen. Goldfische hatte er besessen und Schildkroten und wei?e Mause, aber nie einen Hund.

Armer Pelle! Und dann nach Saltkrokan zu kommen und einen Hund zu finden wie Bootsmann. In Pelles Augen mu?te Tjorven das glucklichste Geschopf unter der Sonne sein.

»Ich ware aber schon zufrieden, wenn ich uberhaupt nur ein Tier hatte«, erklarte er ihr. »Ich hab ja meine Wespen, aber ich mochte so gern ein Tier haben, das man streicheln kann.«

Er tat Tjorven leid, und sie war gro?zugig.

»Du kannst ein kleines Stuckchen von Bootsmann als deins haben. So einige Kilo, die kannst du kriegen.«

»Tss, das eine Hinterbein, was?« sagte Pelle, und er ging zu seinem Vater und beklagte sich.

»Ein paar Wespen und das eine Hinterbein von einem Hund, findest du wirklich, da? man damit zufrieden sein kann?«

Aber Melcher sa? in der kleinen Madchenkammer und schrieb und wollte gerade jetzt unter keinen Umstanden uber seine Kinder und deren Wunsche nachdenken.

»Ach, du, wir reden ein andermal daruber«, sagte er und winkte Pelle ab. Pelle ging mit finsterer Miene wieder weg. Aber an die Wand des Schreinerhauses stand seine Angelrute gelehnt, die er in der vergangenen Woche zu seinem Namenstag bekommen hatte. Man kann auch eine Angelrute als Wunder erleben, und dies war nicht irgendeine Angelrute. Es war die erste seines Lebens, daher wurde es spater nie wieder eine so feine Angelrute geben wie gerade diese. Pelle nahm sie, der Bambus fuhlte sich in seiner Hand weich und gut an, und etwas wie Gluck breitete sich in seinem ganzen kleinen Jungenkorper aus. Er beschlo?, zum Steg hinunterzugehen

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