Pelle guckte auf. »Meinst du mich?«

Krister konnte Pelle wahrheitsgema? versichern, da? er ihn nicht meinte. Die er aber meinte, die lachelte nur und antwortete nicht.

»Ach, komm doch mit, Malin, ja?« sagte Krister eifrig. »So gescheit und verstandig, wie du aussiehst, wirst du doch die Gelegenheit wahrnehmen, wenn sie sich dir bietet.«

»Nein, ich werde nicht mit dir nach Aland fahren«, sagte Malin, »nein, denn, siehst du, ich bin so gescheit und verstandig, wie ich deiner Meinung nach aussehe.«

»Schon abgeblitzt, was?« sagte Pelle und hob einen hubschen kleinen wei?en Stein auf.

»Wie lustig das doch ist, wenn Bruder alles horen, was man sagt«, sagte Krister. Er schlug Pelle vor, ein bi?chen weiter am Ufer entlangzugehen. Es sah aus, als gab es dort viel schonere

Steine. Aber Pelle schuttelte den Kopf.

»Nee, dann hore ich ja nicht alles, was du sagst.«

»Weshalb willst du denn alles horen, was ich sage?« fragte Krister. »Findest du es so interessant?«

Pelle schuttelte wieder den Kopf.

»Nee, ich finde es dumm.«

Krister war daran gewohnt, da? die Leute ihn mochten, Kinder naturlich nicht, denn aus denen machte er sich nichts. Aber jetzt argerte er sich trotzdem, da? dieser kleine Knirps hier ihn uberhaupt nicht mochte, und er wollte gern wissen, warum.

»Aha, du findest mich also dumm«, sagte er in freundlicherem Ton, als er ihn bisher Pelle gegenuber angeschlagen hatte. »Es hat doch aber sicher dummere Jungs gegeben als mich, die mit Malin ausgegangen sind?«

Pelle sah ihn schweigend und forschend an und gab keine Antwort. »Oder etwa nicht?« fragte Krister.

»Ich denke gerade nach«, sagte Pelle.

Malin lachte, und das tat Krister auch, wenn auch nicht ganz so herzlich. Pelle gab nach einigem Nachdenken zu, da? es vielleicht einen oder zwei gegeben habe, die dummer gewesen seien als Krister.

»Wie viele sind es denn uberhaupt gewesen, so alles in allem?« fragte Krister neugierig. »Kann man sie zahlen?«

»Ja, stell dir vor, man kann sie zahlen«, sagte Malin. Sie erhob sich rasch und sprang kopfuber ins Meer.

»Daruber erfahrst du ubrigens nichts«, sagte sie, als sie die Nase wieder uber Wasser hatte. Aber Pelle hatte nichts dagegen, Auskunft zu geben. »Zwei Dutzend mindestens«, sagte er. »Die rufen an, ewig und immer, Tag fur Tag … wenn wir also in der Stadt sind. Dann antwortet Papa am Telefon: ›Dies ist der automatische Anrufbeantworter der Familie Melcherson. Malin ist nicht zu Hause.‹« Malin machte die Hand hohl und bespritzte Pelle mit Wasser.

»Jetzt finde ich, du konntest ein Weilchen den Mund halten.«

Dann legte sie sich auf den Rucken und lie? sich treiben, und wahrend sie so lag und in den blauen Himmel hinaufsah, uberlegte sie, wer die zwei seien, die dummer gewesen waren als Krister. Aber sie konnte sich an keinen einzigen erinnern. Und da wurde ihr plotzlich klar, wieviel schoner dieser Tag ware ohne ihn. Dieser Tag und alle anderen Tage. Und sie beschlo?, jetzt und hier, da? sie heute zum letzten Mal mit Krister ausgewesen sei.

Dann dachte sie an Bjorn und seufzte ein bi?chen. Ihn hatte sie in der letzten Zeit ziemlich haufig gesehen. Bei Grankvists war er wie ein Kind im Hause, er ging dort aus und ein, wie er wollte, und das Schreinerhaus lag nur einen Steinwurf entfernt. Augenblicklich kam er fast taglich. Unter den verschiedensten Vorwanden und manchmal ganz ohne Vorwand. Er kam mit frischgefangenen Barschen oder mit Pfifferlingen, die er gerade gesammelt hatte und wortlos auf den Kuchentisch legte; er half Johann und Niklas, die Grundleinen nachzusehen, er sa? auf der Treppe zum Schreinerhaus und unterhielt sich mit Melcher. Aber Malin wu?te nur zu gut, um wessentwillen er kam, und sicher kam er heute abend auch. Malin seufzte wieder. Er war so nett, der Bjorn, und so grundehrlich und ganz offensichtlich in sie verliebt. Sie versuchte nachzufuhlen, ob sie nicht auch ein wenig in ihn verliebt sei. Sie wollte es so gern sein, aber sie konnte nicht das geringste Herzklopfen spuren. Wenn dieser Tag ein Leben war, dann mu?te sie das Leben zubringen, ohne auch nur ein bi?chen verliebt zu sein, oh, was war das eigentlich fur ein Jammer! Irgend etwas ist mit mir nicht in Ordnung, dachte Malin und starrte auf ihre Zehen, die sie aus dem Wasser herausstreckte. Warum sich ihre Bruder so aufregten? Sie verliebte sich ja hochstens mal ein bi?chen, sie brauchten sich wirklich nicht zu beunruhigen.

Sie seufzte, dann schaute sie wieder zur Sonne hinauf und sah, da? dieser Tag schon zur Halfte, dieses Leben zur Halfte voruber war. Und sie fragte sich, wie weit ihr Vater wohl mit den Frikadellen war.

Aber Melcher hatte nicht vor, an diesem Tag sein Lebensgefuhl weiter zu steigern, indem er Frikadellen rollte.

»Nicht, wenn wir uns an unserem eigenen Steg ein Essen holen konnen«, sagte er zu Johann und Niklas. »Barschfrikassee ist eine Delikatesse, die alle Frikadellen weit ubertrifft.«

Er schickte die Jungen aus, nach Wurmern zu graben, und dann sa? er zwei Stunden lang auf dem Bootssteg, ohne auch nur soviel wie eine Plotze zu ergattern. Johann und Niklas dagegen holten einen gro?en Barsch nach dem anderen heraus. Das war eine Freude, die er ihnen gonnte, aber mit der Zeit machte er ein bedrucktes Gesicht. Die Sache war namlich die, da? er die Jungen vorher gewarnt hatte. Sie sollten fur sich nicht allzuviel beim Angeln erwarten, wenn er, Melcher, dabei sei. Er brauchte nur zu pfeifen, dann kamen die Barsche an, hatte er versichert, und da er eine viel bessere Technik und gro?ere Erfahrung im Angeln habe, mu?ten sie es verstehen und nicht traurig werden, wenn er mehr Fische finge als sie.

Und jetzt sa?en sie hier und zogen vor seinen Augen Barsche heraus. Er gonnte es ihnen, das tat er, aber es war doch … ja, es war vielleicht doch ein bi?chen ungerecht, da? bei ihm nicht auch etwas anbi?. »Dieser Tag nicht ein Leben«, sagte er und starrte finster auf seinen Schwimmer.

Jedesmal, wenn bei ihnen etwas anbi?, guckten Johann und Niklas ihren Vater fast schuldbewu?t an. Papa durfte nicht enttauscht werden, daruber waren sich alle Melchersonschen Kinder ruhrend einig. Keines von ihnen konnte es ertragen, wenn seine frohlichen blauen Augen plotzlich dunkel wurden, und sie wurden so leicht dunkel und aus so kindischen Anlassen. Die Jungen merkten, wie seine Stimmung sank. Er hatte eine Art, sich mit der Hand ubers Kinn zu fahren, die sie kannten, und das war kein gutes Zeichen. Tatsachlich warf er den Angelstock schlie?lich auch hin.

»Jetzt sollen die Barsche zusehen, wie sie fertig werden«, sagte er. »Ich hab keine Lust mehr, ihnen eine Angel hinzuhalten.« Er legte sich auf den Steg und zog die Baskenmutze uber die Augen.

»Wenn jetzt ein Barsch ankommt und Krach schlagt und rausgezogen werden will, dann sagt, da? ich schlafe. Er soll gegen drei Uhr wiederkommen.«

Dann schlief er auf der Stelle ein, und sein Schwimmer lag weiterhin im Wasser und hupfte auf und nieder. Trotz instandiger Bitten seiner Sohne kam kein Barsch und verlangte, rausgezogen zu werden. Da beschlossen sie, die Angelegenheit selbst zu regeln. Einer sollte wenigstens bei ihrem Vater anbei?en. Sie holten Melchers Leine ein und steckten ihren gro?ten Barsch an seinen Haken. Dann weckten sie ihn mit lautem Hallo.

»Papa, bei dir hat einer angebissen!«

Melcher fuhr hoch und ri? so heftig an seiner Angel, da? er beinahe ins Wasser gefallen ware, und er jubelte, als er den Barsch herauszog. »Habt ihr schon mal so einen Riesen gesehen? Der ist doppelt so gro? wie einer von euren.«

Aber dieser Barsch war keiner von denen, die ankamen und Krach schlugen. Unnaturlich still und fromm hing er am Haken. Melcher guckte ihn lange schweigend an, und seine Sohne beobachteten ihn mit Bangen.

»Der arme Kerl scheint unter Schock zu stehen«, sagte Melcher.

Er strich sich ein paarmal ubers Kinn, aber plotzlich lachelte er, und es war, als wenn die Sonne unverhofft durch dustere Wolken bricht.

Er schaute seine Sohne liebevoll an. Da? er so gute und umsichtige Kinder hatte, das war mehr wert als alle Barsche der Ostsee!

»Ich geh jetzt rein und dampfe diesen Barsch und noch vier dazu«, sagte Melcher. »Nach meinem eigenen kleinen Rezept. Von dieser Kunst versteh ich jedenfalls mehr als ihr.«

Johann und Niklas gaben ihm zu verstehen, da? er der beste Barschdampfer der Welt war, und Melcher zog sich in die Kuche zuruck. Malin hatte es gegraust, wenn sie gesehen hatte, wie er die Barsche schuppte. Melcher und ein gro?es Messer und ein kleiner, glitschiger Barsch – diese drei Dinge zusammen, und die Folge mu?te ein

Вы читаете Ferien auf Saltkrokan
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату