Papa schlief, Pelle schlief, alles war still und ruhevoll. Wir sa?en auf dem Sofa, im Rucken das offene Fenster, vor dem die Dammerung stand, die bald weichen sollte.
»Wie haltst du es aus, standig diese Kinder um dich zu haben?« fragte Krister. Und ich antwortete wahrheitsgema?, da? ich es sehr gut aushielt, weil ich sie liebte, und wenn sie auch noch so albern seien. »Jaja, im Augenblick liebe ich sie auch ganz ungemein«, sagte Krister, »nur weil sie nicht hier sind.«
Dachte er. Und dachte ich. Bis ich wieder dieses bezaubernde Kichern horte, diesmal drau?en vorm Fenster. Hier ging in der sommerlichen Dammerung eine kleine Prozession von kichernden Kindern vorbei, die greulichsten alten Hute der Welt auf dem Kopf – es gibt wunderbare Sachen auf unsrem Dachboden! Jedesmal, wenn sie am Fenster voruberkamen, lufteten sie hoflich die Hute und lachten so uber ihre Witze, da? sie sich an die Apfelbaume lehnen mu?ten, um nicht umzufallen.
»Guten Abend! Haben Sie schon gehort, da? die Butter um mehrere Pfunde gestiegen ist?« sagten sie. Oder: »Entschuldigen Sie, geht hier der Weg zur nachsten Insel?« Oder: »Habt ihr nicht zufallig ein bi?chen Schnupftabak fur Opa?«
Als Johann dies sagte, kicherte Niklas derart, da? er tatsachlich umfiel und wie ein Kafer im Gras lag und vor Lachen nur noch quietschte.
Aber da kam zum Gluck Nisse, um seine Tochter heimzuholen, und es schien, als ob Johann und Niklas auch mude geworden waren und schlafen gehen wollten. Ich horte sie die Bodentreppe hinauf in ihr Zimmer stapfen und seufzte erleichtert auf.
Krister war jedoch verargert, und das wunderte mich nicht. Ich bot ihm noch ein Butterbrot an und schenkte ihm mehr Tee ein und versuchte, auf jede Art und Weise das niedertrachtige Benehmen meiner Bruder wiedergutzumachen.
»Verflixt viele Bruder hast du«, sagte Krister. »Dein jungstes Bruderlein hast du wohl narkotisiert, weil es sich so ruhig verhalt?«
»Der ist Gott sei Dank so ein goldiges Kind, der schlaft nachts«, sagte ich.
Da horte ich plotzlich Pelles Stimme: »Denkst du, ja!«
Papa hatte im Giebelzimmer der Jungen eine Feuerleine angebracht. An dieser Feuerleine baumelte jetzt drau?en vor dem Fenster das goldige Kind, das nachts schlaft, und aus dem Giebelfenster daruber horte man ein wildes Gekicher. Da war ich den Tranen nahe.
»Pelle«, sagte ich stohnend, »weshalb hangst du da?«
»Um nachzusehen, ob es hier unten manierlich zugeht«, sagte Pelle. »Johann sagt, das soll ich.«
Da stand Krister auf und ging zur Tur. Wenn drau?en vor dem Fenster an einem Seil Bruder baumelten, dann sei er am Ende, sagte er, dann gebe er auf.
»Tschus, Malin«, sagte er und verschwand in den dammernden Morgen hinaus. Und dann war mein Mittsommerabend zu Ende.
Ja, ja – aber es war trotzdem ein ganz schoner Mittsommerabend, finde ich.
»Ja, Johann, ich wei?, da? ihr hinter der Hecke liegt«, sagte Malin und legte das Buch neben sich ins Gras. »Kommt her, wir wollen das jetzt mal bereden! Wenn ihr den ganzen Tag Holz und Wasser holt, dann verzeihe ich euch vielleicht.«
Und der Sommer nahm seinen Lauf, Sonnenschein und Regen wechselten miteinander ab. Manchmal sturmte es. Der Fjord hatte wei?e Schaumkronen, und alle Hauser und Fensterscheiben der Insel klapperten. Tjorven mu?te sich ganz krumm machen, wenn sie zum Anleger hinunter wollte, um den Dampfer zu empfangen, und Stina ware beinahe ins Wasser geweht worden. Sodermans Katze weigerte sich, nach drau?en zu gehen, und Soderman selbst hatte drei Tage lang zu tun, um seine Stromlingsnetze zu saubern. Manchmal gab es auch ein Gewitter. Melchersons sa?en einmal eine ganze Nacht in der Kuche des Schreinerhauses und beobachteten, wie die Blitze zischend ins Wasser niedergingen und der Fjord erleuchtet war wie am hellichten Tag. Mit dumpfem, furchterlichem Knall rollte der Donner uber die Inseln weit drau?en im Meer dahin, es horte sich an wie das Jungste Gericht. Und wer traute sich da, ins Bett zu gehen?
»Ich kriege dieses Nachtleben allmahlich satt«, sagte Pelle schlie?lich. Nachts herrschte hier auf Saltkrokan uberhaupt keine Ordnung. Es mochte noch angehen, da? man aufblieb, weil ein Festessen stattfand oder weil Mittsommer war, aber eine ganze lange Nacht hindurch Gewitter, das fand Pelle anstrengend.
Nisse Grankvist hatte ihm allerdings erklart, jedes Wetter sei schones Wetter, und Pelle glaubte Onkel Nisse blindlings. Nur wenn es durchs Dach regnete, zweifelte er ein bi?chen. Aber das horte auch auf, denn eines schonen Tages kletterte sein Vater hinauf und legte Dachpappe und neue Ziegel auf die schlechteste Stelle. Malin hatte verlangt, da? die ganze Familie Melcherson eine Schweigeminute einlegte, wahrend Papa auf dem Dach war. Und wahrhaftig, es half. Er schaffte es ohne jeglichen Zwischenfall.
Ganz so gut ging es aber am folgenden Tage nicht, als er im Mehlbeerbaum einen Nistkasten anbringen wollte; denn kaum war er oben, da krachte er auch schon wieder herunter, den Nistkasten in den Armen. Seine Kinder sturzten angstlich herbei, Melcher versicherte ziemlich kurz angebunden, es sei nichts passiert. Ihm sei nur plotzlich eingefallen, da? es nicht die rechte Zeit sei, um Nistkasten anzubringen.
»Mu? dir das denn so plotzlich einfallen, da? du runterkrachen und dir die Knie aufschlagen mu?t?« fragte Malin, als sie ihm hinterher Pflaster auf die Wunde klebte.
Im allgemeinen aber war alles schon und der ganze Sommer eine einzige lange Wonne. Pelle fing schon an, sich vor dem gra?lichen Tag zu graulen, da sie wieder in die Stadt zuruckmu?ten. Er besa? einen alten Kamm mit ebenso vielen Zahnen, wie der Sommer Tage hatte. Jeden Morgen brach er einen Zahn ab, und er sah voller Besorgnis, wie die Zahnreihe Stuck fur Stuck kurzer wurde.
Melcher entdeckte den Kamm eines Morgens, als sie beim Fruhstuck sa?en, und er nahm ihn und warf ihn weg. Es sei verkehrt, sich vor etwas zu graulen, was doch kommen mu?te. Man sollte das Jetzt genie?en, einen sonnigen Morgen wie diesen, dann sei das Leben nur Gluck, fand Melcher. Im Schlafanzug schnurstracks in den Garten hinauszugehen, Gras unter den Fu?en zu spuren, am Steg schnell einmal unterzutauchen und sich hinterher an seinen eigenhandig gestrichenen Gartentisch zu setzen, sein Buch oder seine Zeitung zu lesen und seinen Kaffee zu trinken, wahrend die Kinder um einen herumsummten, mehr begehrte er nicht vom Leben. Und da sollte Pelle gefalligst nicht mit einem alten Kamm ankommen. Melcher nahm ihn mit den Fingerspitzen und warf ihn in den Mulleimer. Pelle lie? es ohne Widerspruch geschehen, und als das erledigt war, kehrte sein Vater zu seinem Buch zuruck, und Johann und Niklas stritten sich weiter daruber, wer mit dem Abwaschen an der Reihe sei.
Sie waren beide der Meinung, da? ihre Abwaschtage viel zu dicht aufeinanderfolgten, aber Malin versicherte ihnen, jedesmal, wenn hier im Hause abgewaschen werden sollte, gebe es keine Jungen auf der Welt, die so grundlich verschwunden waren wie Johann und Niklas. Ihre Abwaschtage seien so selten, da? sie eigentlich auf ganz Saltkrokan durch allgemeines Flaggen gefeiert werden mu?ten, behauptete Malin. »Jetzt bist du aber ungerecht«, sagte Niklas. »Wer hat zum Beispiel gestern abgewaschen?«
»Das hat Malin getan, wer sonst?«
Niklas konnte das nicht verstehen. »Komisch. Ich dachte ganz bestimmt, ich ware es gewesen.«
»Hast du das nicht gemerkt?« fragte Pelle und strich sich Marmelade auf sein Brotchen. »Hast du nicht gemerkt, wahrend du abgewaschen hast, da? du es gar nicht warst, sondern Malin?«
Eine seiner Wespen kam angeschwirrt und wollte auch Marmelade. Pelle hielt ihr freundlich sein Brotchen hin. Er mu?te doch seine Haustiere futtern. Pelle war sicher, da? die Wespen allmahlich wu?ten, zu wem sie gehorten. Er sa? oft in seinem Giebelfenster und pfiff sie herbei und unterhielt sich mit ihnen, und er hatte ihnen versprochen, sie sollten so lange im Schreinerhaus wohnen durfen, wie sie wollten.
Interessiert beobachtete er die kleine Wespe, die jetzt angefangen hatte, sich an einigen Kornchen verschutteten Zuckers gutlich zu tun, und er uberlegte, was sie wohl dachte und wie es ware, Wespe zu sein. Waren Wespen traurig oder manchmal angstlich, so wie Menschen, ja naturlich nicht wie Erwachsene, sondern wie Jungen, die so ungefahr sieben Jahre alt waren? Und wieviel
»Papa, glaubst du, die Wespen wissen, da? heute der 18. Juli ist?« fragte Pelle. Sein Vater war jedoch in