Nach einigen Metern entdeckte sie auf der linken Stra?enseite eine weitere Wirtschaft. Der Biergarten vor dem Haus war trotz des schonen Wetters vollig verwaist. Alexandra stellte das Auto auf dem asphaltierten Parkplatz gleich neben dem Gebaude ab, griff nach ihrer Schultertasche, stieg aus und betrat kurz darauf das Lokal.

Die Wirtschaft verstromte den Charme langst vergangener Tage, einer Zeit, die Alexandra selbst nie erlebt hatte. Ihr kam es vor, als hatte sie eine Zeitreise in die Funfzigerjahre angetreten, in denen Plastikelemente auch ganz unverhohlen nach Plastik hatten aussehen durfen. Um die schlichten orangefarbenen Deckenlampen uber den momentan nicht besetzten Tischen auf der rechten Seite des Gastraums schwirrten zahlreiche dicke Fliegen. Offenbar waren sie alle klug genug, einen Bogen um die klebrigen braunen Fliegenfanger zu machen, die wie abstrakte Kunstwerke um die Kabel der Lampen gewickelt worden waren.

An der Theke links neben der Tur sa?en zwei Manner in robuster Arbeitskleidung. Beide drehten sich zu Alexandra um, bedachten sie mit einem kurzen abschatzenden Blick und wandten sich dann gleich wieder ab. Vermutlich handelte es sich bei ihnen um Landwirte aus dem Ort oder aus der naheren Umgebung, da ihre Gesichter von Wind und Wetter gegerbt waren, wie es bei Menschen der Fall war, die einen Gro?teil ihres Lebens unter freiem Himmel verbrachten und dabei schwere korperliche Arbeit verrichteten.

»Entschuldigen Sie«, sagte sie zu den beiden, die ihr weiterhin den Rucken zeigten. »Ich mochte zum Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹, aber der Weg wird durch einen Zaun versperrt. Wissen Sie zufallig, ob es eine Umleitung gibt, bei der ich nicht so einen riesigen Umweg in Kauf nehmen muss?«

Der eine Mann stie? den anderen an, sagte leise etwas zu ihm, dann begannen sie beide zu lachen, nahmen aber von Alexandra weiterhin keine Notiz.

Sie wollte gerade die Frage mit gro?erem Nachdruck wiederholen, als aus einem Nebenraum hinter der Theke eine Stimme ertonte:

»Habt ihr eigentlich schon mal was von Hoflichkeit gehort?« Ein Perlenvorhang wurde zur Seite geschoben, und eine Frau erschien hinter dem Tresen. Sie trug die recht nachlassig blondierten Haare hochtoupiert, als ware fur sie die Mode irgendwann Anfang der Achtzigerjahre stehen geblieben. Dasselbe galt auch fur die pinkfarbene Jeans und das hellgrune Oberteil, die beide eindeutig etwas zu eng waren.

Die Wirtin lachelte Alexandra an. »Kommen Sie ruhig naher, junge Frau! Die zwei bei?en nicht. Ich muss mich fur den Hannes und den Karl entschuldigen. Diese Stoffel wissen einfach nicht, wie man sich benimmt.« Nach einem vorwurfsvollen Blick zu den zwei Mannern sah sie wieder zu Alexandra. »Wissen Sie was? Wir zwei unterhalten uns einfach so uber die Herrschaften, als waren sie gar nicht da. Und wenn wir schon dabei sind, kann ich ja auch gleich mal die Theke abwischen.« Ehe die Manner sich’s versahen, hatte die Wirtin ihnen die halb vollen Bierglaser abgenommen und sie neben sich auf die Spule gestellt. »Wer nicht da ist, kann auch nichts trinken, nicht wahr?«

Alexandra grinste, als sie vom Ende der Theke her beobachtete, wie Hannes und Karl emport die Augen aufrissen.

»Ach, hor schon auf, Angelika!«, protestierte der eine der Landwirte, der trotz seiner wei?en Haare der Jungere der beiden zu sein schien. »Gib mir …«

»Sieh an, du kannst ja doch reden, Hannes!«, unterbrach die Wirtin ihn in gespielter Begeisterung. »Dann bist du ja auch bestimmt in der Lage, der jungen Dame bei ihrem Problem zu helfen.«

»Seh ich etwa aus wie die Auskunft? Ich kann auch bei Harry mein Bier trinken. Da hab ich wenigstens meine Ruhe.«

»Mhm«, stimmte Angelika ihm zu. »Wenn du genug Geld dabeihast, um deinen Deckel zu bezahlen. Oder war das nicht der Grund, wieso Harry euch beide vor die Tur gesetzt hat?«

Der andere Mann, Karl, schuttelte frustriert den Kopf. Ihm musste noch mehr als seinem Zechkumpan an dem Bier gelegen sein, da er sich dazu durchringen konnte, sich zu Alexandra umzudrehen. »Sie sind fremd hier.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, deshalb brauche ich ja eine Auskunft.«

»Was er meint«, meldete sich nun auch Hannes zu Wort, »ist, dass Sie eine Fremde sind. Und wir in Lengenich haben’s nicht so mit den Fremden.«

»Pah! Ihr zwei habt’s nicht so mit Fremden«, korrigierte die Wirtin ihn.

»Nicht nur wir zwei«, widersprach Karl ihr. »Die meisten im Dorf …«

»Ja, ja, ich wei?«, schnitt ihm Angelika das Wort ab. »Nur dass die meisten im Dorf an den Fremden verdienen, also kann’s ja so schlimm auch wieder nicht sein.« Dann wandte sie sich an Alexandra. »Ich wei? nicht, ob Sie’s im Vorbeifahren gesehen haben, aber da vorn gibt es ein Schullandheim …«

»Das Gebaude, das aussieht wie eine Villa?«

»Ganz genau das«, bestatigte die Wirtin. »Das gehort der Stadt Bonn und wird das ganze Jahr hindurch von den Klassen der Bonner Schulen genutzt. Das bringt nicht nur Leben nach Lengenich, sondern auch Geld. Das Schwimmbad, der Imbiss, Harrys Kneipe und meine, wir profitieren alle davon …«

»Und das sind schon mehr als genug Fremde, die in unser Dorf einfallen! Und jetzt mussen diese bescheuerten Monche auch noch so ein Walnusshotel aufmachen …«

»Das hei?t Wellnesshotel, Hannes«, berichtigte Angelika ihn. »Und was die aufgemacht haben, ist eben kein Wellnesshotel. Aber um das zu wissen, musstest du ja mal was anderes lesen als deine Revolverblattchen.«

»Angelika, so spricht man nicht mit seinen zahlenden Kunden«, hielt Karl ihr vor.

Die Frau nickte. »Du hast recht. So spricht man nicht mit seinen zahlenden Kunden. Nur habt ihr beide gestern Abend anschreiben lassen, und fur das, was ihr mir heute weggetrunken habt, habe ich auch noch keinen Cent gesehen. Also erzahl mir nichts von zahlenden Kunden!«

»… und jetzt kommen noch mehr Fremde her«, fuhr Hannes unbeirrt fort. »Wir haben hier uberhaupt keine Ruhe mehr.«

»Fahr mal ins nachste Dorf!«, empfahl Angelika ihm. »Dann kannst du dir angucken, was Ruhe bedeutet.« Auf Alexandras ratlosen Blick hin erklarte sie ihr: »Nicht ganz drei?ig Hauser, davon stehen zwolf leer, weil da nichts mehr los ist, weil es da kein Geschaft mehr gibt und die Leute zu alt sind, um in einer Gegend zu leben, in der sie fur jede Kleinigkeit auf andere angewiesen sind. Freiwillig will da keiner hinziehen. Wir in Lengenich konnen froh sein, dass wir das Schullandheim haben, sonst sah’s hier genauso aus.«

Alexandra nickte. »Eigentlich bin ich nur hereingekommen, um nach dem Weg zu fragen …«

»Tut mir leid, junge Frau, aber wenn die beiden Herrschaften erst mal in Fahrt gekommen sind, muss ich einfach Kontra geben«, sagte die Wirtin und lachelte entschuldigend. »Sie haben davon gesprochen, dass die Stra?e in Richtung Kloster gesperrt ist? Dann hat der alte Kollweck wieder zugeschlagen. Ihm gehort der Hof links von der Abzweigung. Die ersten paar Meter Stra?e waren fruher mal die Zufahrt zu seinem Hof, aber dann hat das Land beschlossen, genau da eine Stra?e zu bauen. Kollweck hat sich lange gestraubt, die Flache herzugeben. Wenn Sie mich fragen, ging es ihm nur darum, die paar Quadratmeter moglichst teuer zu verkaufen. Aber irgendwann ist den Leuten von der Verwaltung der Geduldsfaden gerissen, und dann haben sie ihn einfach enteignet. Das Ganze ist schon viele Jahre her, trotzdem macht er von Zeit zu Zeit die Stra?e dicht und behauptet, dass das immer noch sein Grund und Boden ist.«

»Und was soll ich jetzt machen?«, fragte Alexandra. »Ich habe mir auf der Karte angesehen, was fur einen Umweg ich ansonsten fahren muss. Soll ich die Polizei rufen?«

Die Wirtin winkte ab. »Ach was, das dauert viel zu lange. Da hilft nur eines: den Krempel aus dem Weg raumen und Kollweck meckern lassen.« Sie sah die beiden Manner an der Theke auffordernd an, und als sie nicht reagierten, sagte sie: »Braucht ihr noch eine ausdruckliche Einladung, oder bewegt ihr jetzt euren Hintern hier raus und helft der jungen Dame?«

»Ist doch nicht mein Problem«, grummelte Karl und linste an Angelika vorbei nach seinem Bierglas, das nach wie vor auf der Spule stand.

»Je schneller ihr fur sie Kollwecks Hindernis aus dem Weg raumt, desto eher bekommt ihr euer Bier zuruck.«

Schnaubend erhoben sich die beiden von ihren Hockern und zogen von dannen, jedoch nicht, ohne Alexandra missmutige Blicke zuzuwerfen.

»Na also«, meinte Angelika, »gleich haben Sie freie Fahrt. Sie glauben gar nicht, wozu Karl und Hannes fahig sind, wenn man ihnen droht, ihnen ihr Bier vorzuenthalten.«

»Danke, das war sehr nett von Ihnen«, sagte Alexandra und lachte. Sie verabschiedete sich und verlie? das Lokal, um zu ihrem Wagen zu gehen.

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