Prolog
Blut.
Es roch nach Blut.
Kater Brown blieb stehen und hob den Kopf, um die Witterung aufzunehmen. Seine Schnurrhaare zitterten, die Schwanzspitze zuckte nervos hin und her. Irgendetwas stimmte nicht – stimmte ganz und gar nicht! So wie jede Nacht streifte er in der Dunkelheit uber das Klostergelande, immer auf der Suche nach einer unvorsichtigen Maus, die glaubte, seinen wachsamen Blicken entgehen zu konnen.
Diesmal jedoch waren all seine Sinne in Alarmbereitschaft, und das lag nicht nur am Geruch nach Blut. Kater Brown spurte etwas Dunkles, Gefahrliches. Der Tod hatte das Kloster heimgesucht. Ein brutaler, heimtuckischer Tod, der so plotzlich gekommen war, dass das Opfer nicht mehr hatte reagieren konnen.
Ein leichter Windhauch wehte um das Kloster, der den Blutgeruch mit sich trug. Um nur ja kein Gerausch zu verursachen, folgte Kater Brown langsam und vorsichtig dem Geruch und gelangte schlie?lich zur Vorderseite des Klosters, auf den Platz vor dem Eingang, auf dem der alte Brunnen stand. Auf dem breiten Brunnenrand lie? Kater Brown sich gewohnlich gern nieder, um in der Sonne zu dosen oder aus leicht erhohter Position uber sein Reich zu wachen.
Als er nun die Ecke des Gebaudes erreichte, blieb er abrupt stehen und blinzelte. Auf dem Boden vor seinem Lieblingsplatz lag ein Mensch – allem Anschein nach ein Mann! Sein Kopf war blutuberstromt! Ein zweiter Mann stand uber ihn gebeugt, in der Hand hielt er einen Hammer. Der Blutgeruch war hier am intensivsten.
Kater Brown setzte sich im Schatten der Hauswand hin und verfolgte neugierig das Geschehen auf dem Platz. Eine innere Stimme riet ihm, besser auf Abstand zu bleiben. Der Mann mit dem Hammer sah sich immer wieder nervos um. Erst nach einigen Augenblicken schien er ruhiger zu werden. Kater Brown reckte den Hals, wahrend er beobachtete, wie der leicht gebuckt dastehende Mann eine Plastiktute hervorzog und sie dem am Boden Liegenden uber den Kopf streifte. Dann packte er dessen Arme und zog ihn hinter sich her in Richtung Kapelle. Dabei schnaufte er angestrengt und blieb immer wieder keuchend stehen, um sich mit dem Armel uber die Stirn zu wischen oder die Hande auf die Knie zu stutzen und tief durchzuatmen.
Einige Minuten verstrichen. Der Mann kam mit seiner schweren Last kaum voran.
Plotzlich vernahm Kater Brown ein leises Fiepen unter der Hortensie neben sich. Kein Zweifel, eine Maus! Ein leiser Luftzug huschte an ihm vorbei, und etwas Braunes flitzte in Richtung Kuchengarten davon. Hinterher!, schrie der Jager in Kater Brown. Um die beiden Manner musste er sich spater kummern …
1. Kapitel
»Fraulein Hilde, ich bitte vielmals um Entschuldigung, dass ich so ohne Voranmeldung hereinplatze, aber es gibt wichtige Neuigkeiten von Ihrem Vater!«
»Hauptmann Brehm?«, erwiderte die Frau uberrascht. »Was haben Sie hier zu su … zu su … Mann, Brehm, was ha … zu su … zu su … zu su …«, tonte es aus dem Autolautsprecher. Alexandra Berger schaltete entnervt vom CD-Player auf das Radio um. Mist, dabei hatte sie fur das Magazin eigentlich noch eine Besprechung des Horbuchs schreiben mussen!
»Heute ist einfach nicht mein Tag«, stohnte sie und stellte den Ton leiser. Jetzt lie? sie auch noch der CD- Player im Stich, sprang auf der CD hin und her oder blieb an einer Silbe hangen! Bestimmt war das Schlagloch eben daran schuld, das sie zu spat bemerkt hatte. Mit einem lauten »Rums« war ihr rechtes Vorderrad hindurchgerumpelt, und dann hatte es gleich noch einmal einen heftigen Ruck gegeben, als das Hinterrad hineingeplumpst war.
Das Navigationsgerat hatte Alexandra auch schon vor einer Weile ausgeschaltet, nachdem sie von der nervigen Frauenstimme dreimal auf einen Waldweg gelotst worden war, der sich dann als unpassierbar erwiesen hatte. Stattdessen lag nun eine Stra?enkarte auf dem Beifahrersitz, auf dem Alexandra den Weg zum Klosterhotel »Zur inneren Einkehr« nachvollzog. Zum wiederholten Mal lenkte sie den Wagen an den Fahrbahnrand und warf einen Blick auf die Karte.
»Mal sehen«, murmelte sie. »Da liegt Lengenich, und ich musste mich eigentlich genau … hier befinden.« Sie sah nach links und entdeckte, zwischen ein paar Baumen versteckt, eine Kapelle. »Richtig, du bist da eingezeichnet«, sagte sie und tippte auf das kleine Kreuz auf der Karte gleich neben der mit rosa Textmarker hervorgehobenen Stra?e. Verfahren kann ich mich auch allein, dachte Alexandra, warf dem schwarzen, an der Windschutzscheibe befestigten Gerat einen grimmigen Blick zu und fuhr weiter.
Sie sah kurz auf die Uhr neben der Tachoanzeige und verzog den Mund. Mit fast zwei Stunden Verspatung wurde sie ihr Ziel erreichen, aber das konnte sie nicht der Wegbeschreibung des Klosterhotels anlasten. Drei Baustellen hatten auf ihrer Strecke gelegen, die sie weitlaufig hatte umfahren mussen. Dafur hatte Alexandra auch einige Irrwege in Kauf nehmen mussen, da die Baufirmen gro?zugig auf Umleitungsbeschilderungen verzichtet hatten. Dachten diese Leute denn, hier waren nur Einheimische unterwegs? Alexandra uberlegte, ob sie in ihrem Artikel uber das Klosterhotel nicht besser eine andere Route vorschlagen sollte. Damit wurde sie sich nach ihrem Aufenthalt im Kloster noch einmal in Ruhe beschaftigen.
Sie griff nach ihrem Diktiergerat, das in der Mittelkonsole steckte, schaltete es ein und sprach ins Mikrofon: »Prufen, ob Anfahrt uber Aachen, Trier oder Luxemburg einfacher moglich ist.« Dann legte sie das Gerat auf den Beifahrersitz und warf dabei noch einmal einen raschen Blick auf die Karte.
Nach ein paar Kilometern tauchte am Stra?enrand ein Ortsschild auf, und beim Naherkommen konnte sie den Ortsnamen Lengenich erkennen. »Na bitte, wer sagt’s denn!«, meinte sie zufrieden und bremste auf die vorgeschriebene Hochstgeschwindigkeit ab.
Sie fuhr vorbei an Bauernhofen, die schon bessere Zeiten erlebt hatten, und frisch renovierten Einfamilienhausern. Ihre Besitzer mussten es sich leisten konnen, in dieser Abgeschiedenheit zu leben, in der Arbeitsplatze rar gesat waren. Zu ihrer Rechten sah Alexandra eine Wirtschaft, gleich daneben ein leer stehendes Ladenlokal, in dem sich, den Uberresten der Leuchtreklame nach zu urteilen, einmal ein Lebensmittelgeschaft befunden hatte. Aber das schien schon vor langer Zeit geschlossen worden zu sein.
Auf der linken Stra?enseite wies ein Schild auf den Parkplatz eines Schwimmbades hin. Als Alexandra einen Blick auf die angrenzenden Liegewiesen warf, staunte sie nicht schlecht. Obwohl auf dem Parkplatz nur zwei Fahrzeuge standen, wimmelte es auf dem Freibadgelande von Kindern. Wie kann es in einem so winzigen Dorf so viele Kinder im schulpflichtigen Alter geben?, fragte sich Alexandra.
Drei Kilometer weiter fand sie die Antwort. An der Einfahrt zu einem weitlaufigen Grundstuck prangte ein gro?es Schild mit der Aufschrift
In ihre Uberlegungen versunken, hatte Alexandra beinahe den Wegweiser verpasst, der zwischen zwei Hausern nach rechts zeigte und die Richtung zum Kloster Lengenich angab. Zum Gluck befand sich hinter ihr kein Wagen, sodass sie eine Vollbremsung machen konnte, um in die schmale Stra?e einzubiegen. Aber schon wenige Meter spater endete Alexandras Abbiegeversuch an einem Holzgatter, das die komplette Fahrbahn versperrte.
Alexandra griff wieder nach der Landkarte und sah sich die Alternativrouten an, die zu ihrem Ziel fuhrten. Nein, sie war nicht bereit, weitere Umwege in Kauf zu nehmen. Au?erdem befand sie sich hier eindeutig auf der offiziellen Route zum Kloster, das belegte allein schon das Hinweisschild an der Hauptstra?e. Dies konnte also unmoglich ein Privatweg sein!
Ratlos sah sie sich um, dann setzte sie den Wagen zuruck und fuhr im Schritttempo weiter.