Als sie zum zweiten Mal die Abzweigung in Richtung Kloster nahm, stellte sie erleichtert fest, dass Hannes und Karl das Gatter tatsachlich an den Fahrbahnrand geschoben hatten. Ein dritter, etwas alterer Mann stand bei ihnen, fuchtelte aufgebracht mit den Armen und redete lautstark auf sie ein.
Die drei waren so in ihre hitzige Diskussion vertieft, dass sie Alexandra gar nicht bemerkten, die kurz angehalten hatte und ihren Helfern durch das geoffnete Seitenfenster einen Dank zurief. Schmunzelnd gab sie wieder Gas.
2. Kapitel
Alexandra folgte dem Verlauf der asphaltierten Stra?e, die zwischen Baumen und Feldern hindurch bergauf fuhrte und immer steiler anstieg. Schlie?lich schlangelte sie sich in Serpentinen durch einen Wald auf die andere Seite der Anhohe. Von hier hatte Alexandra einen herrlichen Blick auf das Tal dahinter. Ein schmaler Bach platscherte zwischen saftig grunen Wiesen dahin, auf denen ein paar Kuhe und Pferde zufrieden grasten.
Noch einmal beschrieb die Stra?e eine Linkskurve, und dann auf einmal erhob sich vor Alexandra das von der Mittagssonne beschienene Kloster. Das Erste, was einem Betrachter auffiel, war die Schlichtheit des Gebaudes, die fur ein Kloster selbstverstandlich war, nicht jedoch fur ein Hotel. Aber es war gerade dieses Dezente, Verhaltene, was Alexandra so beeindruckte.
Das Hauptgebaude bestand aus einem breiten Bauwerk mit wei? gestrichener Front. Ein dunkles Satteldach sa? auf dem ersten Stockwerk; auf dem rechten Trakt ragte ein romanischer Glockenturm in die Hohe. Die grunen Laden an den recht kleinen Fenstern waren geoffnet. Rechts des Klosters konnte sie eine ebenso schlichte Kapelle erkennen, die von einem Bauzaun umgeben war.
Was sich hinter dem Hauptgebaude befand, war von Alexandras Position aus nicht auszumachen, aber nach den Fotos zu urteilen, die sie gesehen hatte, gab es dort noch etliche Nebengebaude. Die Stra?e verlief an dem Bauwerk vorbei ins Tal, doch kurz bevor sie wieder abschussig wurde, zweigte ein Feldweg in Richtung Kloster ab, der auf einen Platz mit einem kunstvollen alten Brunnen fuhrte. Links davor befand sich ein weitlaufiger Parkplatz, der den Eindruck erweckte, als hatte man ihn erst vor Kurzem auf einem Stuck Weideland angelegt. Mehrere Autos sowie ein Bus waren dort abgestellt worden, was darauf hindeuten mochte, dass das Hotel gut ausgelastet war. Vielleicht hatte aber auch nur eine Reisegruppe auf dem Weg durch die Eifel hier eine Rast eingelegt, um zu Mittag zu essen.
Alexandra hielt diese Beobachtung mit ihrem Diktiergerat fest, nachdem sie ihren Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Als sie ausstieg, druckte sich der Kies durch die dunnen Sohlen ihrer Schuhe. Sie holte die Reisetasche aus dem Kofferraum und ging den Weg entlang, bis sie den schatzungsweise drei?ig Meter entfernten Eingang erreicht hatte. Die Mittagssonne brannte ihr auf den Rucken; die Warme wurde jedoch durch einen leichten Wind gelindert. Von der Weide auf der anderen Seite der Landstra?e klang das Muhen von Kuhen heruber. Ein Meisenparchen flog laut zwitschernd dicht uber Alexandras Kopf hinweg.
Die schwere Eingangstur war aus massiver Eiche und musste nach au?en aufgezogen werden. Alexandra musste unwillkurlich an einen der Texte im Prospekt denken, mit dem fur das Klosterhotel geworben wurde.
Im Foyer fand der schlichte Stil seine Fortsetzung, da es in dem quadratischen Raum lediglich einen Holztresen und eine Sitzgruppe aus Korbmobeln gab, die nur einer Hand voll Gaste Platz bot. Die Wande schmuckten einige Olbilder mit bekannten Eifeler Motiven. Hinter dem Tresen hingen ein gro?es Schlusselbrett und eine Wandtafel mit farbigen Steckkarten, die vermutlich Auskunft uber die Belegung der Zimmer gaben. Diese eigentlich vorsintflutlich anmutende Tafel erfullte jedoch wahrscheinlich ihren Zweck genauso wie ein aufwendiges Computerprogramm.
Alexandra durchquerte das recht kleine Foyer und tippte mit der flachen Hand auf die Glocke, die auf dem langen Tresen stand. Eine Fliege, die offenbar auf der abgewandten Seite auf der Glocke gesessen hatte, flog summend auf und suchte sich irgendwo einen ruhigeren Platz. Gleich darauf wurde eine Tur geoffnet, die in ein Buro hinter dem Empfang fuhrte. Ein hochgewachsener, kraftiger Mann Ende zwanzig mit kurz geschnittenem blondem Haar kam nach vorn. Er trug eine dunkelbraune Monchskutte, um die Taille lag ein grobes Hanfseil.
»Guten Tag und herzlich willkommen im Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹! Mein Name ist Bruder Andreas. Was kann ich fur Sie tun?« Die Begru?ungsformel kam ihm so leicht uber die Lippen, als hatte er sie allein in der letzten Stunde schon zwanzig Mal gesagt.
»Fur mich wurde ein Zimmer reserviert. Entweder auf den Namen Alexandra Berger oder auf den der Redaktion, fur die ich arbeite:
»Aha.« Bruder Andreas hatte offenbar nur mit halbem Ohr zugehort. »Einen Augenblick, ich muss das erst heraussuchen.« Er blatterte in einem ausladenden querformatigen Buch. »
»Ja, richtig.«
»Oh, dann haben wir …«, begann er, kam aber nicht weiter, da in diesem Moment eine Tur links neben dem Tresen aufgerissen wurde und ein Mann ins Foyer sturmte, der gut einen halben Kopf kleiner war als Alexandra. Er trug einen leuchtend roten Trainingsanzug, der ihm etwas zu weit war und der den Eindruck erweckte, als hatte er ihn eben erst gekauft und gleich anbehalten. Sein mittelbraunes Haar trug der Mann ordentlich gescheitelt, was ihn etwas junger erscheinen lie?. Dennoch schatzte Alexandra ihn auf Mitte vierzig.
»Sagen Sie mal, wie lange soll ich denn noch darauf warten, dass der Kurier eintrifft?«, fuhr er Bruder Andreas an und schob sich vor Alexandra.
»Herr Wilden«, erwiderte der Monch in einem Tonfall, der deutlich machte, dass er sich mit aller Macht beherrschen musste, um ruhig und freundlich zu bleiben. »Ich sagte Ihnen doch bereits, ich rufe Sie an, sobald der Kurier das Packchen fur Sie abgegeben hat.«
»Bislang haben Sie mich aber nicht angerufen!«
»Bislang ist der Kurier auch noch nicht hier gewesen«, gab der jungere Mann zuruck, wobei es ihm nun sichtlich schwerfiel, seine Gereiztheit zu verbergen. Offenbar kennt auch die Geduld eines Monchs ihre Grenzen, uberlegte Alexandra und bemuhte sich, ein Schmunzeln zu unterdrucken.
»In welchem Ton reden Sie eigentlich mit mir?« Der Mann namens Wilden erhob die Stimme und schlug mit der flachen Hand auf den Tresen, woraufhin sich Bruder Andreas zu seiner vollen Gro?e aufrichtete und den Wuterich vor dem Tresen nun um mehr als einen Kopf uberragte. »Und uberhaupt: Der Kurier ist noch nicht da gewesen! Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, oder was?«
Durfte fur Bruder Andreas keine Schwierigkeit sein
Wilden drehte sich ruckartig zu ihr um und kniff die Augen zusammen, als bemerkte er sie erst jetzt. »Schon, dass
»Augenblick mal«, beschwerte sich Alexandra, die sich so nicht behandeln lassen wollte. »Ich stehe hier, um einzuchecken, und wenn Sie eine Beschwerde haben, dann warten Sie bitte schon, bis Sie an der Reihe sind.«
Der Mann schuttelte verstandnislos den Kopf. »Sie werden doch noch funf Minuten warten konnen, oder nicht? Ich erwarte einen Kurier, der mir au?erst wichtige Unterlagen bringt, und …«
»Und der noch nicht eingetroffen ist, wie ich eben gehort habe. Also sind Sie derjenige, der im Augenblick warten muss.«
»Horen Sie, Frau … wie auch immer Sie hei?en. Ich wei? nicht, ob Ihnen das Laurentius-Hilfswerk in Kaiserslautern ein Begriff ist, aber ich bin der Kreisgeschaftsfuhrer dieser Einrichtung, und auch wenn ich nicht im Buro bin, laufen die Geschafte weiter.«
»Das mag ja sein«, erwiderte sie, »doch offenbar lauft jetzt erst mal nichts, solange Ihr Kurier Ihnen nicht die Unterlagen gebracht hat. Sie konnen die Zeit vielleicht nutzen und einen Spaziergang an der frischen Luft