eine endlose Aufnahme sein.«

»Du hast recht. Siebenundneunzig Minuten. Da ist bestimmt die Diktierfunktion nicht ausgeschaltet worden …«

»Sie ist bis 23.44 Uhr gelaufen.« Wieder deutete Alexandra auf die Anzeige. »Dann hat Wilden um diese Zeit noch gelebt! Klick mal schnell auf Wiedergabe und lass die letzten zwei Minuten laufen! Vielleicht horen wir ja irgendwas, das uns weiterhilft.«

Tobias nickte kurz. Seine Wangen waren gerotet, und er schien genauso aufgeregt wie Alexandra zu sein. Mit angehaltenem Atem spielte er den Rest der Aufnahme ab. »Nichts«, sagte er entmutigt, als aus den Lautsprechern des Laptops nur ein regelma?iges leises Klicken drang.

»Geh weiter zuruck!«

Schritt fur Schritt wanderte Tobias ruckwarts, wechselte von zwei-auf funfminutige Intervalle, schlie?lich ging er auf zehn Minuten. Alexandra furchtete bereits, dass die Diktierfunktion sich nur versehentlich aktiviert hatte und es gar nichts zu horen geben wurde, als auf einmal Gerausche aus den Lautsprechern ertonten, die sie zuerst nicht zuordnen konnte. Was war das? Es klang wie ein unterdrucktes Achzen, dann wie ein Knirschen auf sandigem oder steinigem Boden.

»Das sind nur ungefahr zehn Minuten«, merkte Tobias an. »Ich spiele die Aufnahme von Anfang an ab.«

Die Wiedergabe begann. Tobias und Alexandra lauschten gebannt. Alexandra wagte gar nicht zu atmen, wahrend Kater Brown auf ihrem Scho? lag und im Schlaf leise schnaufte.

Eine Gansehaut kroch ihr den Rucken hinunter, und sie suchte fassungslos Tobias’ Blick. Nach gut zehn Minuten ertonten wieder die Achz-und Knirschlaute. Sie ergaben nun einen grauenhaften Sinn. Alexandra atmete schockiert aus. »Oh Mann!«

»Das kannst du laut sagen«, murmelte Tobias erschuttert und schluckte mehrmals. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und er schuttelte immer wieder unglaubig den Kopf.

»Hatten wir Wildens Handy schon gestern Morgen entdeckt, wurde Assmann jetzt noch leben«, flusterte sie.

»Was machen wir denn jetzt?«

»Wir rufen Pallenberg an«, entschied sie. »Er muss sofort zuruck zum Kloster kommen.«

19. Kapitel

Es war neunzehn Uhr am Sonntagabend, als sich alle im Saal III versammelt hatten. Die Monche sa?en auf den Stuhlen links des Mittelgangs, die Hotelgaste auf der rechten Seite. Polizeiobermeister Pallenberg hatte neben dem Rednerpult Platz genommen. Alexandra und Tobias standen am Pult, vor sich den Laptop, der mit der Lautsprecheranlage des Saals verbunden war. Nach Absprache mit dem Polizeiobermeister waren sie ubereingekommen, die Aufnahme allen vorzuspielen, die sich an diesem Wochenende im Klosterhotel aufgehalten hatten.

Kater Brown lag auf einem Beistelltisch in der Nahe. Er hatte die Pfoten eingeklappt und musterte die Anwesenden aus unergrundlichen grunen Augen. Seine flaumigen schwarzen Ohren zuckten von Zeit zu Zeit leicht.

Alexandra hatte sich nach der ungeheuerlichen Entdeckung, die sie gemacht hatten, endlich wieder so weit gefasst, dass sie ruhig und sachlich sprechen konnte. »Guten Abend«, begru?te sie die Anwesenden mit lauter, klarer Stimme. »Danke, dass Sie alle hergekommen sind. Wir danken auch Herrn Pallenberg, der inzwischen wie wir davon uberzeugt ist, dass nicht nur Herr Assmann, sondern auch Herr Wilden umgebracht wurde.«

»Wir haben in den letzten zwei Tagen sehr viele Theorien durchgespielt«, ergriff Tobias das Wort. »Und wir mussten dabei feststellen, dass einige Personen in diesem Raum ein mehr oder weniger ausgepragtes Motiv hatten, sowohl Herrn Wilden als auch Herrn Assmann aus dem Weg zu raumen. Zunachst hatten wir Kurt Assmann auch im Verdacht, weil er durchaus Bestrebungen gehabt haben konnte, Herrn Wildens Platz einzunehmen. Nach Assmanns Tod allerdings mussten wir uns von dieser Theorie verabschieden. Aber es waren ja immer noch genug Tatverdachtige ubrig, dass wir nicht mal mit Sicherheit sagen konnten, ob fur beide Morde ein Tater verantwortlich war oder ob vielleicht blo? jemand die Gelegenheit genutzt hatte, Herrn Assmann zu toten und den Verdacht auf Bernd Wildens Morder zu lenken.«

»Wollen Sie jetzt Agatha Christie nachspielen und jedem von uns ausfuhrlich darlegen, aus welchem Grund er Wilden und Assmann ermordet haben konnte?«, warf Kramsch ungehalten ein. »Ich finde, es ist eine Unverschamtheit, dass Sie Verdachtigungen aussprechen, die an Rufmord grenzen.«

»Herr Kramsch, ich wusste nicht, dass wir Sie als Tatverdachtigen bezeichnet hatten«, erwiderte Alexandra ruhig.

»Ich habe das nicht nur auf mich bezogen, sondern auf alle meine Kollegen!«

»Oh, aber Sie mussen doch zugeben, dass das Nachrucken auf einen begehrten Geschaftsfuhrerposten durchaus ein Motiv fur einen Mord darstellen konnte.«

»Vielleicht in Ihrer verdrehten Welt«, konterte Kramsch, dessen Gesicht vor Arger gerotet war. Alexandra beschloss, sich nicht weiter auf eine so fruchtlose Diskussion einzulassen. »Meine Damen und Herren, wir mochten Sie nicht mit einer langatmigen Zusammenfassung unserer Uberlegungen langweilen, und wir mochten Sie auch nicht unnotig auf die Folter spannen. Stattdessen werden wir Ihnen ein Tondokument vorspielen, das erst heute Nachmittag in unseren Besitz gelangt ist.«

Sie trat an den Laptop und tauschte einen raschen Blick mit Herrn Pallenberg. »Die Wiedergabe der Aufzeichnung beginnt jetzt.«

Bruder Johannes, auf dessen Gesicht sich vor Aufregung rote Flecken gebildet hatten, hob schlie?lich eine Hand. »Wenn Sie gestatten, Frau Berger, Herr Rombach, wurden meine Bruder und ich noch gern ein Gebet sprechen und den Herrn bitten, mit dem Tater Nachsicht zu uben.«

Alexandra und Tobias nickten.

Wenig spater klickte Alexandra das Start-Symbol an.

»Aktennotiz vom Zwanzigsten des Monats, zweiundzwanzig Uhr und zehn Minuten. Assmann daran erinnern, dass Direktor Magnussen von der Sparkasse eine gesonderte Spendenquittung fur sein besonderes Engagement in der Sache erhalt«, ertonte Wildens Stimme aus den Lautsprechern. Die Kopfe einiger seiner fruheren Mitarbeiter ruckten hoch, und Yasmin Tongers Augen weiteten sich erschrocken. Im Hintergrund horte man das leise Rauschen des Windes, der sich in Baumkronen verfing. »Au?erdem eine Quittung an Frau Ho …«

»Da sind Sie ja, Herr Wilden«, erklang da eine vertraute, aber ungewohnlich energische Stimme. »Haben Sie alle Vorbereitungen getroffen, um Ihren teuflischen Plan in die Tat umzusetzen?«

»Bruder Johannes? So spat noch unterwegs?« Ein Klacken ertonte – offenbar war dies der Moment, da das Handy in den Spalt zwischen Sitz und Mittelkonsole gerutscht war.

Ein Raunen wurde im Saal laut, und die Blicke der Anwesenden wanderten zu Bruder Johannes hinuber, der mit gesenktem Kopf reglos auf seinem Platz sa?. Nur seine ineinander verkrampften Hande, deren Knochel sich wei? unter der Haut abzeichneten, verrieten seine innere Anspannung.

»Ich habe Sie etwas gefragt!«

»Es ist kein teuflischer Plan. Reden Sie nicht einen solchen Unsinn, Bruder Johannes!«, widersprach ihm Wilden in der ihm eigenen ruppigen Art. »Sie haben sich von Ihrer Bank etwas aufschwatzen lassen, um Ihr geliebtes Kloster zu retten, und dabei ist nichts Besseres herausgekommen als ein Abenteuerspielplatz fur Erwachsene. Mit diesem lacherlichen Hotelkonzept werden Sie in einem halben Jahr auf Grund laufen. Dieser Quatsch, den Leuten um zehn Uhr abends das Licht abzustellen und ihnen das Mittagessen vorzuenthalten, um sie an die armen, hungernden Kinder in Afrika zu erinnern, zieht ein Mal. Aber von Ihren Gasten werden bestenfalls zehn Prozent wiederkommen. Ich habe das Konzept unseren vier Hausbanken vorgelegt, und alle sind der gleichen Meinung.«

»Mich interessiert die Meinung dieser Banker nicht …«

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