Kratzer da unten?«, fragte sie die anderen, die ebenfalls naher gekommen waren.

»Diese bogenformigen Streifen? Sie sehen so aus wie die Kratzer unter einer Tur, unter der sich Steinchen festgesetzt haben, die dann beim Offnen uber den Boden schaben.«

Der Polizist richtete sich auf, warf Alexandra einen anerkennenden Blick zu und betrachtete das Regal, dann sah er zu Bruder Johannes. »Das ist offensichtlich eine Geheimtur. Waren Sie so freundlich, sie fur uns zu offnen?«

Der Monch nickte schweigend, ging an Alexandra vorbei, schob einen Karton zur Seite und druckte auf die Holzplatte, die an der Regalruckseite befestigt war. Ein Teil der Platte gab nach, ein Mechanismus wurde in Gang gesetzt, und das Regal bewegte sich wie eine Tur an Scharnieren zur Seite. Dahinter kam eine schmale, steile Treppe zum Vorschein, die nach oben fuhrte.

»Ich glaube, wir mussen nicht erst dorthinaufsteigen, um zu sehen, wohin die Treppe fuhrt«, meinte Alexandra. »Sie endet unter dem Regal in Ihrem Quartier, in dem Sie Ihre Krimisammlung aufbewahren, nicht wahr, Bruder Johannes?«

Der Monch nickte und schenkte ihr ein spottisches Lacheln.

»Auf dem Weg konnten Sie unbemerkt Ihr Quartier verlassen.« Sie wandte sich zu den anderen um. »Aber kommen Sie bitte!« Die Gruppe folgte ihr. Im Nebenraum standen die Steinsarge. Auf einem von ihnen hatte sich Kater Brown niedergelassen. Seine Blicke folgten der kleinen Prozession, die sich an ihm vorbei in den Korridor bewegte, von dem aus man in den Vorratsraum der Klosterkuche gelangte.

Am Durchgang zur Kapelle blieb Alexandra stehen. »Dort entlang konnte Bruder Johannes uber den Umweg durch die Klosterkapelle nach drau?en gelangen.«

»Dort entlang?« Pallenberg sah sie unglaubig an. »Doch wohl kaum durch die Holzwand da. Der Weg ist ja bewusst versperrt worden, damit keiner die Kapelle betritt.«

»Der Weg ist nicht ganz versperrt.« Alexandra zeigte wieder auf den Boden. »Bruder Johannes ist, wie Sie wohl selbst sagen mussen, recht schmal gebaut. Die Bretter schlie?en unten nicht mit dem Boden ab. Der Freiraum ist gro? genug, dass jemand von Bruder Johannes’ Statur dort muhelos hindurchpasst.« Sie schaute uber die Schulter zuruck und fragte den alteren Monch: »Wollen Sie es Herrn Pallenberg vorfuhren?«

Der Mann schuttelte den Kopf. »Danke, nein.«

»Dann frage ich Sie jetzt noch einmal: Geben Sie auch den Mord an Kurt Assmann zu?«, vergewisserte sich der Polizist.

Der Monch hob die Schultern. »Ja. Ich habe getotet, ich wurde uberfuhrt, ich werde dafur bu?en. Trotzdem habe ich mein Ziel erreicht: Weder Herr Wilden noch Herr Assmann kann uns wegnehmen, wofur wir so sehr gekampft haben.«

»Und das ist zwei Menschenleben wert?«, entfuhr es Alexandra fassungslos.

»Wilden und Assmann haben nur an sich und ihren personlichen Profit gedacht«, stellte Bruder Johannes klar. »Ich hingegen habe selbstlos gehandelt und wollte nur meine Bruder schutzen. Bin ich deshalb ein schlechterer Mensch als diese beiden?«

»Sie sind ein zweifacher Morder«, entgegnete Pallenberg. »Mehr hat mich nicht zu interessieren.« Damit zog er die Handschellen aus dem Gurtel.

Sie schlossen sich mit einem metallischen Klicken.

»Augenblick bitte, Herr Pallenberg«, meldete sich Alexandra zu Wort. »Ich glaube, hier gibt es noch etwas, was Sie interessieren durfte.« Sie ging in den Nebenraum zuruck, wo sie vor dem Sarkophag stehen blieb, auf dem sich Kater Brown niedergelassen hatte. Bei ihrem Anblick miaute der Kater laut, stand auf und kam ihr ein Stuck entgegen, um seinen Kopf an ihrem Arm zu reiben.

»Bruder Dietmar und Bruder Siegmund, wurden Sie mir jetzt bitte verraten, was hier drin ist?« Dabei zeigte sie auf den Steinsarg.

Die beiden Monche wirkten ehrlich erstaunt und tauschten einen ratlosen Blick miteinander.

»Was haben Sie zu verbergen, von dem nicht einmal Bruder Johannes erfahren soll? Und bitte verschonen Sie mich mit weiteren haarstraubenden Geschichten!«

Auch der Polizist und Bruder Johannes waren ihnen in den Kellerraum gefolgt, Letzterer sah seine Glaubensbruder verstandnislos an.

»Ich denke, darin befinden sich die sterblichen Uberreste eines der Grundervater unseres Klosters. Von etwas anderem wei? ich nicht«, erwiderte Bruder Dietmar verunsichert. »Ich wei? uberhaupt nicht, was Sie meinen.«

»Okay«, sagte Alexandra. »Dann werden wir jetzt diesen Sarg offnen. Immerhin ist Kater Brown offenbar der Meinung, dass wir darin etwas Wichtiges entdecken werden, sonst hatte er sich nicht so zielstrebig daraufgesetzt.«

Als wollte er ihr zustimmen, sprang der Kater laut maunzend auf den Boden.

»Offnen? Aber … Wie sollen wir denn den Deckel von der Stelle bewegen?«, wollte Bruder Siegmund schaudernd wissen. »Das ist doch massiver Stein.«

»Nehmen Sie mir bitte die Handschellen ab, Herr Pallenberg!«, sagte Bruder Johannes da. »Die beiden haben nichts verbrochen. Ich kann Ihnen zeigen, wie sich der Steinsarg offnen lasst.« Dabei warf er Kater Brown einen zornigen Blick zu und knurrte: »Es stimmt, dass Katzen vom Teufel personlich auf die Erde geschickt wurden! Darum haben sie auch von jeher die Nahe von Hexen gesucht … die Nahe des Bosen.«

Alexandra fuhr zu ihm herum. »Dann mussten sie Ihnen in Scharen nachlaufen. Haben Sie deswegen versucht, Kater Brown zu vergiften? Damit er uns nicht zu diesem Sarg fuhrt?«

Wortlos lie? der Monch sich die Handschellen abnehmen, dann naherte er sich dem Sarkophag. Er strich mit den Handen langsam uber die Oberflache, als suchte er etwas. »Sarge wie dieser wurden in den Drei?igerjahren gern so hergerichtet, dass man sie als Versteck benutzen konnte. Dort wurden wahrend des Dritten Reichs wichtige Dokumente aufbewahrt, die keinem Unbefugten in die Finger fallen sollten.« Er druckte auf eine unscheinbare Verzierung am Sargrand. Im nachsten Moment wurde der Deckel ein Stuck nach oben gedruckt. Nun konnte er auf zwei massiven Schienen zur Seite geschoben werden.

In dem Sarg lag etwas, das in dicke Plastikfolie gewickelt war. Der eigentlich transparente Kunststoff war nicht mehr durchsichtig, da er etliche Male ubereinandergelegt worden war.

»Noch eine Leiche?«, entfuhr es Pallenberg mit einem Achzen und er presste sich ein Taschentuch vor die Nase. In seinen Augen war unverkennbarer Schrecken zu lesen.

Alexandra nickte. Sie spurte eine leise Ubelkeit in sich aufsteigen, die nicht nur von dem su?lichen Verwesungsgeruch herruhrte, und sah zu Tobias hinuber.

Auch ihm stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Langsam drehte er sich zu Bruder Johannes um. »Das ist Abt Bruno, nicht wahr?«

Der Polizist stohnte auf.

»Er wollte uns im Stich lassen«, sagte der Monch leise. »Ich erhielt einen Anruf vom Landschaftsverband, weil bei den Antragen fur die Forderung unserer Behindertenwerkstatt eine Angabe vergessen worden war, und man wollte das ganz unburokratisch auf dem kleinen Dienstweg erledigen. Sonst hatten wir die Abgabefrist versaumt und damit riskiert, nur den halben Zuschuss in Hohe von zwanzigtausend Euro zu erhalten. Zuerst nahm ich an, dass es sich um einen Irrtum, eine Verwechslung handelte, aber die Daten zum Kloster selbst stimmten alle. Nur dass es hier keine Behindertenwerkstatt gab. Nein, das stimmt nicht ganz: Die Bankverbindung war ebenfalls nicht die unsrige. Es handelte sich um ein Konto, das Abt Bruno auf den Namen des Klosters eingerichtet hatte, von dem jedoch sonst niemand wusste. Ich schlich mich in einem unbeobachteten Moment in sein Zimmer und durchsuchte die Unterlagen. Dabei stie? ich auf dieses Konto und stellte fest, dass sich darauf noch ein paar Tage zuvor fast zwei Millionen Euro befunden hatten und es danach komplett leergeraumt worden war. Der Betrag war als ›Auszahlung‹ vermerkt worden, aber es gab keinen Vermerk daruber, was anschlie?end damit geschehen war.

Als ich am Abend Abt Bruno auf dem Klostervorplatz begegnete und er mir wie nebenbei erzahlte, er habe vor, am nachsten Morgen fur zwei Tage nach Koln zu fahren, um dort mit dem Kardinal zu reden, wusste ich, er wollte sich in Wahrheit absetzen! Ich stellte ihn zur Rede, er stritt nichts ab, und er war so unverschamt, mich auch noch auszulachen. Er fuhlte sich vollig sicher. Aus irgendeinem Grund war er davon uberzeugt, ich wurde ihn nicht aufhalten. Er verspurte nicht die mindeste Reue, und es kummerte ihn nicht, was seine Unterschlagungen fur uns alle bedeuteten. Ich war au?er mir vor Zorn und … zog den Hammer aus der Tasche meiner Kutte. Ich hatte gerade im Foyer einige neue Bilder aufgehangt. Und als der Abt mir den Rucken zuwandte, um mich einfach

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