in dem Schlamme gefunden haben, dem er zu entrinnen suchte. Sein Signalement ist ja in aller Leute Handen, und wenn es sich um einen solchen Bosewicht handelt, werden doch von der Polizei alle Register gezogen. Acht Wochen ist er nun freilich schon aus dem Bagno heraus ...«

Rudolf stockte unwillkurlich ... Die Frau fiel ihm ins Wort ... »O, sagen Sie es nur! Ja, vor acht Wochen ist er ausgebrochen, meines Sohnes Vater!« – Wieder erbebte die Frau am ganzen Leibe. – »O, wenn das ungluckliche Kind noch lebt, wenn es seinen Namen nicht geandert haben sollte, wie ich ... o, dann welche Schmach! Welche Schmach! O, und wer wei?, vielleicht hat sein Vater gar die schlimme Drohung, die er gegen mich ausstie?, wahr gemacht?« – Sie hielt eine Weile inne, das Gesicht mit den Handen bedeckend... . »Herr Rudolf, zuweilen befallt mich eine schreckliche Angst, denn mir ist immer zu mute, als ob mein Mann gesund aus Rochefort entkommen sei und mit der Absicht sich truge, mir nach dem Leben zu fahnden, wie er wohl auch meinen Sohn schon ermordet haben mag, denn was sollte er sonst mit ihm angefangen haben?«

»Sie sagten mir«, erwiderte Rudolf, »er habe vor funfzehn Jahren ins Ausland fliehen wollen? Da mu?te ihm freilich ein Kind in solchem Alter beschwerlich sein.« – »O, lieber Herr Rudolf, als mein Mann« – die ungluckliche Frau erbebte wieder, als sie dieses Wort uber die Lippen brachte – »an der Grenze verhaftet und ins Gefangnis uberfuhrt wurde, wo ich ihn sehen durfte, da rief er mir die schrecklichen Worte zu: »Dein Kind habe ich an mich genommen, weil du an ihm mit deinem Herzen hangst, und weil es mich in die Lage setzt, Geld von dir herauszupressen Dich gehts nichts an, ob es am Leben bleibt oder stirbt. Lebts, so wird es sich in den besten Handen befinden: darauf verla? dich; stirbts, soll seine Schande uber dich kommen, wie du schon seines Vaters Schande zu schleppen hast.« Vier Wochen spater war mein Mann zu lebenslanglichem Bagno verurteilt. Seitdem hat all mein Schreiben, all mein Bitten nichts gefruchtet; kein Wort habe ich vernommen von dem Schicksale meines Kindes, das damals funf Jahre alt war, und jetzt, wenn es noch lebt, in sein zwanzigstes Jahr tritt... Ach, Herr Rudolf, wo mag mein Sohn sein? was mag aus ihm geworden sein?«

»Hatte Ihr Sohn denn gar kein Zeichen an sich, woran er sich erkennen lie?e?« fragte Rudolf. – »Nein, Herr Rudolf«, sagte Frau Georges, »nur den kleinen heiligen Geist, in Lapis Lazuli geschnitten, den er an einem silbernen Kettchen am Halse trug. Von meiner Mutter ererbte ich dieses vom Heiligen Vater geweihte Kleinod. Sie trug es schon als Kind und hielt es in hohen Ehren. Auch ich habe es getragen, bis ich es meinem Sohne umhangte. Und gerade dieser Talisman sollte ihm zum Verderben werden. Ach, der arme Knabe! der arme Knabe!«

»Wie kann man das sagen, liebe Frau Georges? Wie kann man zweifeln an Gottes Allmacht?« – »Ich zweifle gewi? nicht, Herr Rudolf, an Gottes Macht und Gottes Gute. Hat mich nicht seine Gute schon mit Ihnen bekannt gemacht, Herr Rudolf?« – .Wohl, wohl, meine liebe Frau Georges! Aber es hatte nur schon fruher geschehen sollen! Da ware Ihnen doch manches Jahr des Kummers erspart worden!« – »Es ist mir ja der schwerste Kummer durch Sie genommen worden, Herr Rudolf! Sie haben dies Gut fur mich gekauft...« – »Und zufolge Ihrer trefflichen Verwaltung, liebe Frau Georges, bringt mir dies Gut ...« – »Aber,, Herr Rudolf,« unterbrach ihn Frau Georges, »zahle ich nicht den Pachtschilling an unsern braven Abbe Laporte? Und wird er nicht auf Ihren Wunsch an die Armen verteilt?« –

»Sie haben den lieben Mann doch von meiner Ankunft unterrichtet? Ich mochte ihm gern meinen kleinen Schutzling ans Herz legen. Meinen Brief hat er doch bekommen?« – »Gleich am Morgen seines Eintreffens hat ihn Herr Murph dort abgegeben.« – ,Ich habe dem Abbe darin erzahlt, wie es sich mit dem armen Madchen verhalt, weil ich noch nicht genau wu?te, wie es sich mit meiner Herkunft machen wurde. Hatte ich nicht kommen konnen, so hatte Murph das Madchen hergebracht.« –

Ein Bauer trat in den Garten, wo sich Rudolf mit Frau Georges unterhielt, und sagte zu Frau Georges, da? der Herr Pfarrer auf sie warte. – »Sind die Postpferde zur Stelle?« fragte Rudolf. – »Eben werden sie eingespannt, Herr Rudolf«, erwiderte der Mann. – Frau Georges, der Pfarrer, sowie alle auf dem Pachthofe beschaftigten Leute kannten Mariens Beschutzer unter keinem andern Namen als dem eines Herrn Rudolf. – »Was ich Ihnen noch sagen mochte, liebe Frau Georges«, nahm Rudolf wieder das Wort, als er mit der wackern Frau zum Wohnhaus zuruckging, »Marie hat meines Wissens eine recht schwache Brust; es wird gut sein, einen tuchtigen Arzt zu Rate zu ziehen; Sie lassen mir doch recht oft Nachricht zukommen, wie es ihr geht? Wenn sie sich erholt hat, wollen wir uns mit ihrer Zukunft befassen. Ich meine, es ware wohl das beste, wenn sie immer bei Ihnen bleiben konnte. Daruber la?t sich aber erst sprechen, wenn Sie sagen konnen, da? Sie in allen Hinsichten zufrieden mit ihr sind.«

»Das ist mein hei?er Wunsch, Herr Rudolf! Ich mochte, das Madchen konnte mir mein Kind ersetzen, das den Gegenstand meiner steten Sehnsucht bildet.« – »Hoffen wir das Beste fur Sie und fur Marien!«

Gerade als Rudolf mit Frau Georges sich dem Wohnhause naherte, betraten es auch Murph und Marie. Murph ging jedoch, sobald er Marien der Frau Georges ubergeben, wieder aus dem Zimmer, um die Zurustungen zur Abreise zu treffen. Am Kamine sa? der weit uber achtzig Jahre alte Abbe Laporte, der an dem Kirchlein schon seit der Revolution angestellt war. Sein hageres Gesicht war von wei?em Haare eingerahmt, das tief auf den Kragen und auf die Soutane niederfiel. Die Hande zitterten ihm, als er sie aufhob, die Eintretenden zu segnen ... »Herr Abbe«, sagte Rudolf, indem er sich tief vor dem Greise verneigte, »Frau Georges will so gut sein, sich des armen Madchens anzunehmen, und auch Sie, Herr Abbe, mochte ich recht bitten, ihr mit Liebe entgegenzukommen.« – »Auf unsre Liebe hat sie ein Recht wie alle, die sich uns mit Liebe nahen. »Gottes Gute ist unerschopflich, mein liebes Madchen, und er hat es Ihnen bewiesen dadurch, da? er Sie in den schmerzlichen Prufungen, die er uber Sie verhangte, nicht verlie?, sondern schutzend die Hande uber Sie hielt. Der edle Mann, der Sie aus Not und Drangsal rettete, hat das Wort der Schrift erfullt, das da hei?t: Der Herr ist nahe denen, die ihn anrufen; er wird die erhoren, die ihn furchten; er wird ihre Stimme erhoren und sie erretten. – Auch an Frau Georges werden Sie ein Beispiel Seiner Gute vor Augen haben, und in mir jederzeit einen willigen Ratgeber. So wird der Herr in Seiner Gute sein Werk vollenden.«

»Und ich werde«, sagte Marie, »zu Ihm beten fur die, welche Mitleid mit mir gehabt und mich wieder zu Ihm gefuhrt haben, mein Vater«, sagte Marie, mit einer fast unwillkurlichen Bewegung vor dem Geistlichen auf die Kniee sinkend. – »Und nun leben Sie Wohl, Marie«, sagte Rudolf, ihr ein goldenes Kreuz an schwarzem Samtbande gebend; dann setzte er hinzu: »Nehmen Sie das kleine Kreuz zum Andenken an mich! Ich habe heut morgen den Tag Ihrer Befreiung und Erlosung eingravieren lassen – es wird ja nicht lange dauern, bis ich wieder herkomme ...« Murph offnete, wahrend Marie das Kreuz inbrunstig an die Lippen druckte, die Tur und meldete, da? die Pferde angespannt seien ... »Leben Sie Wohl, mein Vater«, sagte Rudolf zu dem Abbe, »leben Sie Wohl, meine gute Frau Georges! Ich lege Ihnen Marien ans Herz ... Und Sie, Marie! Noch einmal lebewohl!«

Zweites Kapitel.

Die Zusammenkunft.

Tags darauf befand sich Rudolf, noch immer in Handwerkertracht, Punkt 12 Uhr vor der Tur des Wirtshauses »Zum Bienenkorbe«, unweit vom Tore von Bercy. Abends vorher hatte Schuri sich an dem ihm von Rudolf bezeichneten Orte eingefunden. Um Mittag herum go? es in Stromen. Rudolf sah von Zeit zu Zeit ungeduldig nach dem Tore hin. Endlich sah er in der Ferne einen Mann mit einem Weibe kommen, in denen er, trotzdem sie durch einen Schirm beschattet wurden, Bakel und die Eule erkannte. Als sie naher kamen, erkannte er weiter, da? mit beiden Personen eine vollige Umwandlung vorgegangen war: der Rauber trug jetzt nicht mehr seine armliche Kleidung, sondern ging in langem, grunem Rock, mit blendend wei?em Halstuch uber einem saubern Hemd, und hatte einen braunen runden Hut auf dem Kopfe. Das Weib hatte einen gro?en Schal um und eine wei?e Haube auf. In der Hand hielt sie einen Strickbeutel. Waren nicht beide so schrecklich anzusehen gewesen, der Mann mit dem von Vitriol verbrannten Gesicht und das Weib mit ihrem einen Auge, so hatte man sie recht gut fur ehrsame Burgersleute halten konnen.

Der Regen hatte momentan ausgesetzt. Rudolf ging, seinen Abscheu uberwindend, dem ha?lichen Paare ein paar Schritte entgegen. Bakel sprach jetzt nicht mehr Rotwelsch, sondern ein elegantes Franzosisch, das sich um so befremdlicher anhorte, als es einen Mann von guter Bildung verriet und von dem Wesen eines Verbrechers, als den Rudolf den Mann gestern gesehen, grell abstach. Rudolf wurde, als er Bakel gegenubertrat, mit einem tiefen Buckling von ihm begru?t, wahrend das Weib heuchlerisch knickste.

»Freut mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Bakel, »oder vielmehr aufzufrischen«, setzte er hinzu; »aber wichtige Dinge sinds, die uns jetzt zusammenfuhren. Gestern abend gegen elf Uhr habe ich den

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