die Halfte von 60 000 Franks ein bi?chen anzustrengen, will ich den Versuch machen. Aber sogleich heute abend oder uberhaupt nicht. Wird es nichts, wei? ich, wie ich mit Ihnen daran bin; und Sie durfen, wenn ich damit schlecht abschneide, sicher drauf rechnen, da? ich mich fruher oder spater bei Ihnen abfinden werde.« – »Nun, und da? ich Ihnen nichts schuldig bleiben werde, darauf durfen Sie ebenfalls rechnen.« – »Aber wozu denn all die Reden?« mischte sich die Eule ein; »es ist ja weder gehauen, noch gestochen. Mein Mann hat doch ganz recht. Entweder gleich heut abend oder uberhaupt nicht.«
Rudolf sah sich in die argste Verlegenheit gesetzt. Lie? er sich diesen Anla?, den Mann in seine Gewalt zu bringen, entgehen, so fand sich jedenfalls in absehbarer Zeit kein anderer. Er verlie? sich auf den Zufall, auf seine Gewandtheit, Kraft und Unerschrockenheit und sagte zu Bakel: »Gut also, wir bleiben bis zum Abend beisammen. Eine Zigarre gibts doch bei Ihnen?« – »Selbstverstandlich,« erwiderte Bakel, »meiner Frau macht ein bi?chen Tabaksqualm gar nichts aus.« – »Werden Sie auch genug Zigarren haben?«« fragte Rudolf aufstehend; »ich konnte ja welche holen.« – »Nichts da! Bleiben Sie nur. Das kann meine Frau besorgen.«
Der Rauber hatte seine Absicht durchschaut, die Frau, ging und Rudolf setzte sich wieder. Beide Hande unter der Bluse versteckend, unterhielt er sich wieder mit dem Rauber und nahm, als er sich unbeobachtet wahnte, einen Bleistift aus der Westentasche und brachte flink ein paar Worte auf einen Zettel. Alles verrichtete er aber unter seiner Bluse. Um den Worten einen gewissen Grad von Deutlichkeit zu wahren, setzte er sie weit auseinander, und nachdem es ihm gegluckt war, damit zu stande zu kommen, ohne die Aufmerksamkeit seines Kameraden zu wecken, stand er auf und trat ans Fenster, denn nun galt es, den Zettel seiner Bestimmung zuzufuhren. Er begann ein Liedchen zu trallern und an die Scheibe zu trommeln. Bakel trat zu ihm und fragte: »Nun, Kamerad, was ist denn das fur eine Melodie?« – »Meine Rose kriegst du nicht!« – »Sehr nette Melodie! Mochte blo? wissen, ob sie anderen auch gefallt. Man siehts ja sofort, wenn sich die Leute umdrehen.«
Drittes Kapitel.
Vorbereitungen.
Nach wenigen Augenblicken kam die Frau von dem Gange zuruck. – Rudolf sagte: »Wie es scheint, hat der Regen nachgelassen. Wie ware es, wenn wir uns nach einem Wagen selbst bemuhten? Man wird ja ganz steif vom Sitzen.« – »Was sagen Sie?« meinte Bakel; »nicht mehr regnen sollte es? Sie sind doch nicht etwa blind geworden?« – Nun, dann wollen wir von der Kellnerin einen Wagen holen lassen«, sagte Rudolf, sich eine Zigarre ansteckend: »hergeholt werden mu? einer.« – »Das war das gescheiteste, was Sie bisher gesagt haben«, erwiderte Bakel, »heda, Jungfer!« Und als die Person kam, druckte ihr Rudolf ein paar Sous in die Hand. Im Nu war sie unterwegs, einen Wagen zu holen. Im Wirtshause befand sich auch ein Weinschank. Am Schenktische stand ein Kohlentrager mit geschwarztem Gesicht, den gro?en Hut uber die Augen gedruckt, und bezahlte seine Zeche, als die drei Personen vorbeigingen. Rudolf tauschte, so scharf ihn auch der Rauber uberwachte, einen Blick mit Murph aus; er wollte, um auch ein paar Worte mit ihm zu wechseln, zuletzt einsteigen, aber Bakel zwang ihn, gleich hinter dem Weibe sich in den Wagen zu setzen. Leise rief ihm Bakel zu, ob er es durchaus drauf anlegen wolle, sich um alles Vertrauen bei ihm zu bringen, aber der Kohlentrager erschien, ebenfalls ein Lied trallernd, auf der Schwelle der Schenke und warf Rudolf einen verwunderten, fast besorgten Blick nach.
Der Kutscher fragte, wohin er fahren solle. Rudolf rief laut: »In die Allee des Veu –« ... Aber Bakel fiel ihm ins Wort und uberschrie ihn: »Ins Waldchen, in die Akazienallee!« Dann warf er den Schlag zu. – »Was fallt Ihnen blo? ein«, sagte er im Wagen zu Rudolf, »vor allen Leuten zu sagen, wohin wir wollen? Solche Unvorsichtigkeit kann uns am ehesten ins Pech bringen.« – Der Wagen setzte sich in Gang. – »Das stimmt«, erwiderte Rudolf, »daran habe ich nicht gedacht. Aber gut ware es doch, wir machten ein Fenster auf? Der Rauch wird unertraglich in dem engen Abteil.«
Rudolf lie?, ohne auf Antwort zu warten, das Fenster herunter und lie? dabei den Zettel, auf den er unter seiner Bluse ein paar Worte geschrieben, und den er zusammenzudrehen verstanden hatte, hinausfallen. Murph hatte den Wagen nicht aus den Augen gelassen; Rudolfs Beginnen war ihm nicht entgangen. Als er das zusammengedrehte Stuck Papier aus dem Fenster fallen sah, war er sogleich zur Stelle, es aufzuheben.
Als der Wagen etwa eine Viertelstunde weit gefahren war, rief Bakel dem Kutscher zu, nach der Place de Madeleine zu fahren, da er sich anders besonnen hatte. – Rudolf sah ihn verdutzt an. – »Nun«, meinte Bakel, »von diesem Platze aus kann man uberallhin gelangen, mein junger Herr, und wenn man uns molestieren wollte, so durfte zum wenigsten die Aussage des Kutschers belanglos sein.«
Als der Wagen sich dem Weichbilde naherte, galoppierte ein lang aufgeschossener Mann in wei?leinenem Oberrock, den Hut tief in die Stirn gedruckt, so da? das an sich braune Gesicht fast schwarz aussah, auf stolzem Rappen voruber. – Rudolf, sich aus dem Wagen beugend und Murph nachblickend, sagte: »Das mu? man sagen, ein schones Pferd ohne stattlichen Reiter ist immer eine halbe Sache. Seh einer, wie der Hune jagt! Haben Sie den Mann gesehen?« – »Er, war zu schnell vorbei«, erwiderte Bakel, »als da? man ihn hatte sehen sollen.« – Rudolf lie? sich nichts von seiner Freude daruber merken, da? Murph seinen Zettel gefunden und die fast hieroglyphischen Zeichen darauf glucklich entziffert hatte. Bald hielt der Wagen auf der Place de Madeleine. Einen Augenblick hatte der Regen ausgesetzt; die Wolken aber hingen noch so schwer am Himmel, da? es fast bereits Nacht war. Die drei Personen gingen nach dem Cours-la-Reine ... »Da fallt mir etwas ein«, sagte der Rauber; »man sollte sich doch uberzeugen, ob auch alles zutrifft, was Sie mir von dem Hause in der Rue des Veuves erzahlt haben. Wozu hat man denn eine Frau?« – »Sie wollen sie wohl auf Kundschaft ausschicken?« fragte Rudolf. – »Allerdings.« –
Die Eule zitterte formlich vor Ungeduld. – »Nr. 17 wars, nicht wahr?« fragte sie; »ich habe freilich blo? ein Auge; aber sehe besser darauf, wie andere auf beiden. Da, nimm den Schirm, Dicker«, sagte sie zu ihrem Manne, »in einem halben Stundchen bin ich wieder da. Verla? dich drauf. Was gemacht werden kann, das wird gemacht.« – »Wir setzen uns die Zeit uber ins Blutige Herz, gleich hier in der Nahe. Findest du den Lahmen unterwegs, dann bring ihn mit. Er kann Schmiere stehen, wahrend du drinnen visitierst.« – »Richtig. Der Lahme ist pfiffig wie ein Fuchs, und wenn er auch erst zehn Jahre alt ist, so hat er doch ...«
Bakel blinzelte ihr zu, und die Eule schwieg. – »Was fur eine Schenke ist denn das Blutige Herz?« fragte Rudolf. – »Daruber mussen Sie sich selbst beim Wirte erkundigen«, antwortete Bakel. – »Wie hei?t er?« – »Sie konnen ihn nennen, wie es Ihnen pa?t«, antwortete Bakel, »denn er hat uberhaupt keinen Namen, steht aber Rede und Antwort auf jeden. Aber da sind wir schon zur Stelle, und gerade zur rechten Zeit, denn es fangt schon wieder zu regnen an.« – »An Ort und Stelle? Wie meinen Sie das?« sagte Rudolf, »wo soll denn das Wirtshaus stehen? Ich sehe ja keins.« – »Aber gucken Sie sich nur ordentlich um!« – »Na, aber wo denn?« – »Na, mu? denn alles uber der Erde liegen? Blicken Sie doch mal unter sich! Da werden Sie gleich erblicken, was Sie suchen!«
Rudolf war es entgangen, da? er vor einem jener Wirtshauser unter der Erde stand, deren es vor einigen Jahren noch an manchen Stellen der Champs Elysees, namentlich in der Nahe des Cours-la-Reine, gab. Zu einer Art Grube fuhrte eine in dem fetten Erdreiche angelegte Treppe hinunter. An sie lehnte sich ein niedriger, schmutziger Bau, dessen Dach, mit Ziegeln hergestellt, auf denen dichtes Moos wucherte, kaum zur Erdoberflache hinauf reichte. Als Keller und Schuppen dienten der erbarmlichen Spelunke ein paar wurmstichige Bretterhutten. Ein halbzerbrochenes Blechschild, ein von einem Pfeile durchbohrtes blutiges Herz darstellend, rasselte, vom Winde geschuttelt, hin und her.
»Na, wie gefallt Ihnen unsere Stammkneipe?« fragte Bakel, Rudolf mit spottischen Blicken messend; »aber ehe wir hinuntergehen, mu? ich erst zusehen, ob der Wirt auch da ist.« – Dabei gab er mit der Zunge einen seltsamen Schnalzlaut von sich. Gleich darauf erklang von unten herauf ein ebensolcher Klang. – »Na, der Wirt ist also da« sagte Bakel; »Pardon, junger Mann! Immer den Damen das Vorrecht! Lassen Sie die Eule vorangehen. Ich schlie?e mich als letzter Ihnen an.
Viertes Kapitel.
Das blutende Herz
Der Wirt dieser seltsamen Spelunke trat, nachdem er den Schnalzlaut des Gastes erwidert hatte, auf die Schwelle. Es war jener Mann, den Rudolf schon mehrere Tage in Alt-Paris gesucht hatte, und den er bisher blo?