Totschlage: an dem Viehhandler, an Murph und an Ihnen! Die Strafe ist also nur gerecht.«
»Dabei bleibt ihm der unbegrenzte Horizont der Reue«, erganzte Rudolf Davids Worte; »und mit funftausend Franks, David, wird er doch auskommen?« – »Unbedingt, Hoheit!« – »Mein Freund«, wandte Rudolf sich an Schuri, der ganz verblufft ihm zugehort hatte, »mit dem Herrn hier mu? ich ein paar Worte sprechen. Tritt unterdes hier in dies Nebenzimmer. Auf dem Schreibtische wirst du eine Brieftasche finden. Nimm funf Tausendfranks-Scheine heraus und bring sie mir her!« – »Fur wen?« fragte Schuri unwillkurlich. – »Fur Bakel! Zugleich sage den Leuten, da? sie ihn herschaffen.«
Siebentes Kapitel.
Bakels Strafe
In einem rot ausgeschlagenen, glanzend erleuchteten Zimmer, an einem gro?en, mit rotem Teppich bedeckten Tische sitzt, im langen schwarzen Schlafrock, der die Blasse seines Gesichts noch mehr hervorhebt, Rudolf zwischen dem schwarzen Arzte und Schuri. Auf dem Tische liegen zwei Brieftaschen. Die eine hat Bakel gestohlen, die andere gehort ihm. Neben ihnen liegt die vergoldete Kette der Eule, an der der kleine heilige Geist aus Lapis Lazuli hangt, ferner der noch blutige Dolch, mit dem Murph verwundet worden, das Brecheisen, dessen sich Bakel bei seinen Einbruchen zu bedienen pflegt, endlich die funf Tausendfranks-Scheine, die Schuri aus dem ihm von Rudolf bezeichneten Zimmer geholt hat.
Bakel liegt, noch immer gefesselt, auf einem in die Zimmermitte geschobenen gro?en Rollstuhle. Rudolf ist nicht mehr in gereizter Stimmung, sondern ruhig und gefa?t, ernst und bekummert. Er steht im Begriffe, eine feierliche, schreckliche Tat zu begehen ... »Du bist aus dem Bagno von Rochefort entwichen. Du warst auf Lebenszeit verurteilt wegen Falschung, Diebstahl und Mord. Dein wirklicher Name ist Anselm Duresnel.« – »Ich bestreite alles, was man mir nicht beweisen kann,« erwiderte Bakel trotzig. – »Was willst Du bewiesen haben?« fiel Schuri dazwischen, sich zu Bakel herumdrehend, »sind wir nicht beide zusammen in Rochefort gewesen?«
Rudolf winkte Schuri, zu schweigen, und fuhr fort: »Du bist Anselm Duresnel und wirst es, wenn wir weiter sind, auch eingestehen. Auf der Stra?e von Poissy hast du einen Viehhandler beraubt und erschlagen.« – »Ich bestreite es.« – »Nun, auch das wirst du spater zugeben.« – Der Rauber blickte Rudolf verwundert an. – »Du bist in der vergangenen Nacht in dieses Haus eingedrungen in der Absicht, zu stehlen, und hast seinen Besitzer verwundet. Tags vorher hast du einen Mann und eine Frau in Alt-Paris uberfallen, hast ihnen diese Brieftasche geraubt und dich ihnen gegenuber erboten, mich fur den Preis von eintausend Franks zu ermorden.«
»Sie sind nicht mein Richter,« rief Bakel trotzig, »ich verweigere Ihnen von jetzt ab jede Antwort.«
»Es war mir bekannt, da? du aus dem Bagno gebrochen, wie auch, da? du die Eltern eines unglucklichen Madchen kennst, die allein durch deine Mitschuldige, die Eule, ins Ungluck gesturzt worden ist. Ich hatte weiter nichts im Schilde, als dich durch einen Diebstahl hierher zu locken. Denn es ist mir kein Zweifel: in ehrlicher Absicht dich herzuschaffen, ware ja doch ausgeschlossen gewesen. Gestern habe ich deinen wahren Namen durch einen Zufall erfahren.« – »Der Name, den Sie mir beimessen, ist falsch. Ich hei?e nicht Duresnel.« –
»Heiligtumschander!« rief Rudolf, indem er die Halskette der Eule von dem Tische nahm und auf den kleinen Heiligen Geist aus Lapis Lazuli zeigte, mit drohender Stimme: »Heiligtumschander! Diese Reliquie hast du einem ehrlosen Geschopf gegeben, trotzdem sie dir dreimal heilig hatte sein sollen, denn deinem Sohne ist sie als fromme Gabe von seiner Mutter und seiner Gro?mutter zu teil geworden.«
Wie vom Donner geruhrt durch diese Aufklarung, lie? Bakel den Kopf sinken und gab keine Antwort.
»Gestern,« nahm Rudolf wieder das Wort, »erfuhr ich, da? du vor funfzehn Jahren deinen Sohn seiner Mutter geraubt hast, sowie da? du allein wei?t, was aus ihm geworden ist. Und eben dies war ein neuer Grund fur mich, dich festzunehmen. Was mich personlich angeht, will ich nicht rachen; aber heute nacht hast du abermals Blut vergossen, ohne da? du Ursache dazu gehabt hattest, denn der Mann, den dein Mordstahl getroffen hat, ist zu dir gekommen voll Vertrauen und hat nach deinem Begehren gefragt ... Und was hast du ihm darauf geantwortet? »Das Geld oder das Leben!« und hast mit dem Dolche nach ihm gesto?en.«
»Was du redest, ist falsch und erlogen,« schrie Bakel. – »Murph lugt nicht,« erwiderte Rudolf mit Kaltblutigkeit, »deine Verbrechen schreien nach Bu?e. Du mu?test das Blut, das du vergossen, suhnen durch den eigenen Tod. Aber aus Mitleid mit deinem Sohne und seiner Mutter, die einst deine Frau war, soll dir die Strafe des Schafotts erspart bleiben. Es soll hei?en, du seiest bei dem Kampfe umgekommen. Bereite dich also zum Tode vor! Du siehst, die Gewehre, deren Kugeln dich niederstrecken sollen, sind geladen.«
Aus Rudolfs Zugen sprach unversohnlicher Ha?. Bakel hatte im Vorzimmer zwei Manner mit Gewehren stehen sehen. Das man wu?te, wie er in Wirklichkeit hie?, bezweifelte er nicht mehr, ebensowenig, da? man ihn umbringen wolle, um seiner Familie diese letzte Schmach zu ersparen. Wie alle seines Schlages, war er eben so roh wie feige. Er hielt seine Stunde fur gekommen und zitterte vor Schreck; mit kreidewei?en Lippen rief er einmal uber das andere: »Gnade! Gnade!« – »Fur dich,« erwiderte Rudolf, »gibt es keine Gnade, und wird dir keine Kugel durch den Kopf gejagt, dann winkt dir uber kurz oder lang doch das Blutgerust.« – »Es soll mir lieber sein,« schrie er, »denn um ein Viertejahr lebe ich dann doch noch langer. Ihnen kann es doch gleich sein... Darum gewahren Sie mir Gnade! Gnade!« – »Willst du mir sagen, wo sich dein Sohn befindet?« – »Ja, wenn mir einige Zeit noch zu leben vergonnt wird, will ich alles, alles bekennen, was ich wei?,« lallte Bakel. – »Willst du mir sagen, wie die Eltern des jungen Madchens hei?en, das die Eule in seiner Jugend so schandlich gequalt und gemartert hat?« – »In meiner Brieftasche liegen Papiere, die Sie auf die rechte Spur fuhren werden. Die Mutter scheint eine sehr vornehme Dame zu sein.« – »Und wo ist dein Sohn?« – »Ich habe ihn einem Komplizen ubergeben, der so glucklich war zu entkommen, als ich verhaftet wurde. Er hat ihn aufgezogen und ihm beigebracht, was ihm zu wissen not tat, damit er eine Stelle in einem Bankgeschaft bekleiden konnte. Von da aus sollte er uns uber gewisse Dinge regelma?igen Bericht erstatten. Wahrend ich alles fur meine Flucht aus Rochefort bereitete, korrespondierten wir in Chiffreschrift.« – »Den eigenen Sohn also hat er auf die Bahn des Verbrechens gefuhrt!« rief Rudolf schaudernd, und schlug die Hande vor das Gesicht. – »Es handelt sich ja blo? um eine kleine Falschung«, fuhr der Rauber fort, »und als mein Sohn vernahm, wozu er die Hand bieten sollte, gab es einen schlimmen Tanz zwischen ihm und dem Manne, der ihn erzogen hatte, erzogen zu unseren Zwecken, und so verschwand er eines Tages. Das mag vor etwa anderthalb Jahren passiert sein. In Paris hat mein Komplize seine Spur verloren. Er hat alles mogliche versucht, ihn wieder in seine Gewalt zu bekommen; aber es hat ihm alles nichts genutzt. Ich habe Ihnen gesagt, was ich wei?, und erwarte nun, da? Sie Ihre Zusage, mich nur wegen des gestern begangenen Diebstahls zu strafen, erfullen.«
»Und wie steht es mit dem Viehhandler aus Poissy?« fragte Rudolf. – »Das kann unmoglich herauskommen, denn es existieren gar keine Beweise. Ihnen will ich es ja bekennen, um Ihnen meinen guten Willen zu zeigen; aber wirklichen Richtern wurde ich alles abstreiten, so lange sie mir nichts beweisen konnen.« – »Du gibst also den Mord zu?« – »Ich wu?te nicht, wovon ich leben sollte; die Eule hat mir davon abgeraten; und wenn Sie mich der Justiz nicht ausliefern wollen, so wurden Sie wohl noch erleben, da? ich mich bessere.« – »Nun gut, du sollst leben und der Justiz nicht uberantwortet werden, aber ich werde dich richten und strafen«, schlo? Rudolf mit drohnender Stimme; »du sollst weder ins Bagno kommen, noch aufs Schafott, denn aus dem Bagno brachest du bei deiner gewaltigen Starke doch wieder aus, und vom Gerichtssaale bis zum Schafott ist der Weg zu kurz, um als Strafe gelten zu konnen. Aus diesem Grunde also sollst du nicht das Schafott besteigen, und sollst auch nicht wieder zuruck ins Bagno.«
Bakel war wie vernichtet, denn zum ersten Male in seinem Leben furchtete er eine unbestimmte Zukunft mehr als den Tod; und solche unklare Furcht war ihm gra?lich.
»Anselm Duresnel,« nahm Rudolf wieder das Wort, »ich werde deine Krafte lahmen! Bisher haben die Starksten vor dir gezittert; jetzt sollst du vor den Schwachsten zittern! Morder, du hast Geschopfe Gottes in ewige Nacht gesturzt, fur dich wird das Dunkel der Ewigkeit schon bei Lebzeiten beginnen, in dieser selbigen Stunde. Deine Strafe soll deinen Verbrechen gleichkommen, aber sie wird dir wenigstens einen Vorteil sichern: den unbegrenzten Horizont der Reue lassen. Fur immer von der Au?enwelt geschieden, wirst du gezwungen sein, unablassig in dein Inneres zu schauen, und auf diese Weise wird, wie ich hoffe, deine eiserne Stirn sich noch einmal mit Schamrote bedecken, wird deine verstockte Seele sich der Milde erschlie?en. Du bist kuhn und grausam, und weil hinfort du schwach sein wirst, wirst du sanft und demutig werden. Nach einem langen, der Bu?e fur deine Verbrechen gewidmeten Leben wird dein letztes Gebet aufsteigen, dir das unverhoffte und